In der Ausstellung „Neue Galerie: Die schwarzen Jahre. Geschichten einer Sammlung. 1933-1945“ im Hamburger Bahnhof in Berlin werden Reproduktionen zu unterschiedlichen Zwecken eingesetzt. Die Ausstellung zeigt Werke, die während der Zeit des Nationalsozialismus entstanden sind, in die Sammlung der Nationalgalerie kamen oder von den Nazis beschlagnahmt wurden. Hierbei stehen vor allem einzelne Bild- und/oder Künstlerschicksale im Fokus. Es sind sowohl Werke zu sehen, die als „entartet“ diffamiert wurden, als auch solche, die zu „nationaler“ Kunst erhoben wurden.
Zum einen werden Reproduktionen in Form von Fotografien zu Dokumentationszwecken verwendet. So werden beispielsweise Abbildungen von Werken im Kontext der Ausstellung „Entartet Kunst“ 1937 in München gezeigt. Zum anderen werden, und dies ist sicherlich in Hinblick auf die Bedeutung der Reproduktion weitaus spannender, großformatige Reproduktionen der Kunstwerke selbst gezeigt. Dies erfolgt auf vier sehr unterschiedliche Arten.
1. Karl Hofer, Selbstbildnis, 1935
Die erste ausgestellte Form einer Reproduktion findet sich bei Karl Hofers Selbstbildnis von 1935. Das Werk wurde 1937 als „entartet“ beschlagnahmt und in die USA versteigert. Unmittelbar danach malte der Künstler das Werk erneut. Es findet also eine „Reproduktion“ in dem gleichen Medium wie das „Original“ durch den Künstler selbst statt. Die Begriff „Original“ und „Reproduktion“ sind hier nicht auratisch zu sehen, sondern viel mehr im Sinne zweier Werke, die aufeinander bezogen werden müssen, da eines als Vorlage für das andere dient.
2. Erwin Hahs, Großes Requiem, 1944/45
Die zweite Form einer Reproduktion wird verwendet um die Geschichte des Bildes und dessen Entstehungszeit zu verdeutlichen. Erwin Hahs bekam den Auftrag ein Gemälde Hitlers anzufertigen für das ihm die benötigten Materialien zu Verfügung gestellt wurden, die während der Kriegszeit sehr rar waren. Hahs schuf eine Abbildung von Hitler vor brennenden Ruinen. Er wählte bewusst ein Motiv, das nicht ausgestellt werden würde, damit er die Leinwand anders weiterverwenden konnte. In der Ausstellung werden nun die übermalte sichtbare Version, also das Große Requiem, und eine Reproduktion einer Röntgenaufnahme mit der Abbildung des ursprünglichen Werks nebeneinander gezeigt.
3. Franz Marc, Der Turm der blauen Pferde, 1913
Franz Marcs Der Turm der blauen Pferde wurde ebenfalls 1937 von den Nazis beschlagnahmt. Im Gegensatz zu Karl Hofers Selbstbildnis tauchte das Werk aber nach Kriegsende nicht wieder auf und ist bis heute verschollen, weshalb nur eine Schwarz-Weiß-Reproduktion ausgestellt ist. Es wird durch den Einsatz der Reproduktion also ein Verlust und eine Leerstelle markiert, die auch die Qualität der Reproduktion bedingt.
4. Emil Nolde, Die Sünderin (Christus und die Sünderin), 1926
Auch von Emil Noldes Die Sünderin ist lediglich eine Schwarz-Weiß-Reproduktion ausgestellt. Direkt daneben befindet sich ein kleines Foto von Goebbels während seines Besuchs der „Entarteten Kunst“ Ausstellung bei ihrem Halt in Berlin, auf dem das Werk im Hintergrund abgebildet ist. Fraglich ist jedoch warum hier eine Reproduktion ausgestellt wurde bzw. warum die Reproduktion nur in Schwarz-Weiß abgebildet wurde, denn das Werk befindet sich seit 1999 wieder im Besitz der Nationalgalerie, ist derzeit aber an das Israel Museum in Jerusalem entliehen und dort bis zum 16. März 2016 in der Ausstellung „Twilight over Berlin“ zu sehen. Möglicherweise wird es danach für die restliche Zeit der Ausstellung in Berlin gezeigt und ist deshalb – quasi als Verweis auf die in Jerusalem stattfindende Ausstellung- als Reproduktion abgebildet. Doch auch dann hätte eine Reproduktion in besserer Qualität und in Farbe angefertigt werden können durch die dem Besucher ein deutlicheres Bild vermittelt werden hätte können.
Ein ähnlicher Umgang mit Original und Reproduktion, wie im Beispiel 3 und 4 aufgeführt, ist auch für die reinszenierte Ausstellung When Attitudes become form auf der Biennale von Venedig 2013 festzuhalten, wenn auch in einem anderen historischen Kontext. Von der Presse als „Retro-Zeremonie“, „Archivalienschau“ und „Veteranentreffen“ bezeichnet, sollte sie die legendäre gleichnamige Ausstellung in der Berner Kunsthalle des Jahres 1969, kuratiert von Harald Szemann knapp 40 Jahre später in der Fondazione Prada in Venedig detailgetreu reenacten. Aufgrund des Authentizitäts- und Vollständigkeitsanspruchs der neuen Ausstellungsmacher Germano Celant, Rem Koolhaas und Thomas Demand, wurden Werke, die für die Reinszenierung im Palazzo nicht ausgeliehen werden konnten, als Fehl- bzw. Leerstellen markiert. Konnte also weder das Original noch ein so genanntes Replacement, also ein neu angefertigtes Werk durch den/r selben Künstler/in, ausgestellt werden, machte eine gestrichelte Linie auf dem Boden oder auf der Wand das Fehlen des Kunstwerkes deutlich und wurde von einer Abbildung des ursprünglichen Originalwerks von 1969 ergänzt.
Vgl. u.a. Neue Züricher Zeitung vom 22.7.2013
Den Fall der Biennale finde ich ziemlich seltsam. Es macht doch nur dann Sinn, auf Leerstellen hinzudeuten, wenn die Leerstelle etwas über das Werk (seine Geschichte, die politischen Umstände seiner Zerstörung, den Umgang des Künstlers mit seinem Verlust etc.) aussagt. Leerstellen, die auf die Defizite einer Ausstellung hinweisen, die ihren Vollständigkeitsanspruch nicht einlösen kann, falllen doch eher negativ auf die Kurator_innen zurück, die nicht alle Leihgaben kriegen konnten…
Um ein weiteres Beispiel für Ausstellungen zu nennen, die vorgehen wie im Fall 3 und 4: Letztes Jahr hat im Bode-Museum die Ausstellung „Das verschwundene Museum“ stattgefunden. Hier wurden schwarz-weiß Reproduktionen im Originalformat (jedoch leider in schlechter Auflösung) inszeniert, einerseits um auf die Kiregsverluste wichtiger Werke hinzuweisen, aber auch um die historische Hängung sichtbar zu machen – in diesem Fall war die Verwendung der „Platzhalter“ absolut plausible und hat auch die Qualität der einstigen Sammlung vor Augen geführt.
Das ganze hatte auch einen höchst politischen Subtext, weil in den Begleittexten der Ausstellung immer wieder betont wurde, dass die Aufarbeitung von Fällen, bei denen eventuell Werke in Russland verblieben sind, noch nicht abgeschlossen ist.