Mit den im Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg gewonnenen Einblicken zum Umgang mit analogem und digitalem Abbildungsmaterial, wandten wir uns in der letzten Seminarstunde (04.02.2016) einer weiteren fotografischen Sammlungseinrichtung zu: Der Photothek des Kunsthistorischen Institutes Florenz (KHI), MPI. Ähnlich wie das Bildarchiv Foto Marburg versteht sich das seit 1897 bestehende Institut in Florenz als Forschungseinrichtung. Sieht das Bildarchiv in Marburg ihren Auftrag sowohl in der Sammlung, Vermittlung und der Erschließung von Fotografien zur europäischen Architektur und Kunst als auch der Ermittlung von Praxis, Theorie und Geschichte der Überlieferung, so begreift auch die Photothek des KHIs die Fotografie nicht nur als Instrument und Werkzeug der Kunstgeschichte, sondern ebenso als Forschungsgegenstand selbst, den es zu untersuchen gilt. Der Bestand der Photothek des KHIs, der sich mit derzeit über 614.000 Fotografien schwerpunktmäßig auf die Abbildung italienischer Kunst in Ober- und Mittelitalien von der Spätantike bis zur Moderne konzentriert, befindet sich größtenteils im Haupthaus im Palazzo Grifoni Budini Gattai in Florenz und wird dort Forscherinnen und Forschern zur Verfügung gestellt. Durch Fotokampagnen, Schenkungen, Nachlässe oder Ankäufe wird dieser Bestand stetig erweitert. Bereits nach der Jahrtausendwende und nachdem 2002 das gesamte Institut in die Trägerschaft der Max-Planck-Gesellschaft übergeht, werden Teile dieses Bestandes schrittweise digitalisiert, sowie über eine digitale Photothek online frei zugänglich gemacht.
Der steigende Wert analoger Fotografien im Zuge der Digitalisierung
Zwar musste auch die Photothek des KHIs auf neue Entwicklungen im Bereich der Technologie und den damit verbundenen digitalen Abbildungsmöglichkeiten im Internet reagieren, doch führte die schrittweise Etablierung des Digitalen im Fotoarchiv des Kunsthistorischen Institutes Florenz zu der Realisierung der Bedeutsamkeit analogen Abbildungsmaterials. Von ersten Anzeichen alarmiert, analoge Fotoarchive könnten durch die Digitalisierung ersetzt und aufgelöst werden und in einen obsoleten Status fallen, plädiert die Photothek in der 2009 veröffentlichten Florence Declaration auf den Erhalt analoger Fotoarchive und auf eine Förderung der Bedeutung analoger Archive und Fotografien. Diese Erklärung verweist auf die Defizite der digitalen Verbildlichung analoger Fotografien und fordert eine notwendige Unterscheidung von Bild und Fotografie. Sie argumentieren für eine höhere Wertschätzung des analogen Fotos gegenüber seiner digitalisierten Abbildung folgendermaßen: Die Fotografie verfüge als Objekt über eine Biografie (Technik, Herstellungszeitraum, Geschichte der Benutzung oder konstituierende Merkmale wie Bildauflösung oder Taktilität), die auf dem Weg der Übertragung ins Digitale verloren ginge. Durch die digitale Übertragung ändere sich nicht nur die Konservierung, der Gebrauch und der Inhalt der Fotografie, sondern vielmehr käme es zu einer Reduktion der Komplexität des fotografischen Objekts. Digitale Fotoarchive können demnach in keinster Weise einem analogen Archiv gleichgesetzt werden, geschweige denn sie ersetzen. Sie bedienen andere Formen des Umgangs mit fotografischen Abbildungen und verfolgen andere Fragestellungen als analoge Archive. Mag die Argumentation durchaus nachvollziehbar sein, so gleicht die Florence Declaration jedoch mit der darin geforderten Aufwertung analoger Fotobestände in erster Linie einer Selbstlegitimation, eine Art Hilferuf vor dem Beginn ihrer Absenz. Ähnlich wie auch in der kulturhistorischen Sammlung der Museumsstiftung Lüneburg wird Fotografie nicht mehr nur als Mittel zu Dokumentationszwecken verstanden. Ihr Status ändert sich und wird zunehmend mehr als Gegenstand der Forschung und als wertvolles kulturhistorisches Objekt begriffen. Ganz im Sinne des „material turns“ rückt auch die Fotografie als Objekt in den Mittelpunkt der Forschung. Wie Frau Dr. Costanza Caraffa im Einleitungstext der Publikation „Fotografie als Instrument und Medium der Kunstgeschichte“ (2009) 1 schreibt, erlangen analoge Fotografien mit der zunehmenden Digitalisierung sogar den Wert eines Originals. Nicht kompatibel erscheint diese Auffassung jedoch mit der Art ihrer Aufbewahrung. So werden diese „kostbaren“ Fotografien bis auf wenige Ausnahmen, darunter die Glasnegative der Sammlung, in nicht klimatisierten Räumlichkeiten archiviert.
Online-Ausstellungen als digitales Sprachrohr aktueller Forschungsschwerpunkte
Wie bereits in der Florence Declaration zum Ausdruck gebracht wird, leisten digitale Fotoarchive einen anderen Beitrag zur Forschung als analoge Archive. So bedient sich die Photothek des KHIs trotzdem an dem digitalen Medium, um online einen Einblick in ihre bedeutende wissenschaftsgeschichtliche Fotosammlung zu geben. Neben der Möglichkeit einzelne Objekte der Sammlung über die eigene Digitale Photothek, den Bildindex der Kunst und Architektur und Europeana online zu konsultieren, bietet die Digitale Photothek die Chance sich anhand von Online-Ausstellungen über aktuelle Forschungsprojekte und Kampagnen des Institutes zu informieren. Mithilfe dieser Online-Ausstellungen greift das digitale Fotoarchiv einen gewissen Gestus des Museums auf und nutzt diese Form des Zeigens zur Vermittlung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse von fotografischen Beständen. Wie Kunstwerke werden einzelne Objekte aus Beständen auserkoren, teilweise auch aus anderen Archiven entliehen, um anschließend ihren Weg in die Ausstellung zu finden. Der erhobene Status und die Aufwertung der dort präsentierten Fotografien wird bereits durch die Betitelung ihres Zeigerahmens deutlich. Hinweise über eine vergleichbare Analoge-Ausstellung der Photothek, die eine Zusammenstellung der wahrhaftigen analogen Fotografien bedeuten würde, sind nicht bekannt. Der Zugang zu den „Originalen“ scheint nur dem Spezialisten zugänglich, jener der im Rahmen seiner Forschungsarbeit über einen Besucherausweis verfügt.
Die Online-Ausstellungen verdeutlichen, dass die Photothek zwar das analoge Fotoarchiv nicht digital ersetzen will, digitale Technologien jedoch einen neuen Umgang mit dem Material ermöglichen, die für ein Institut, welches sich als Forschungseinrichtung betrachtet, unverzichtbar sind. Insbesondere am Beispiel der Online- Ausstellung „Visualisierung des Unsichtbaren in Zeichnungen Michelangelos aus der Casa Buonarroti“ wird demonstriert, dass auch die digitale Fotografie mit ihren neuen Möglichkeiten einen Beitrag in der Forschung leisten kann. Erst mithilfe von hochaufgelösten digitalen Aufnahmen konnten beispielsweise Griffelzeichnungen Michelangelos so abgebildet werden, dass man nicht nur die Stift-, sondern auch die Griffelzeichnungen erkennen konnte. Diese „Visualisierung des Unsichtbaren“ war bislang sowohl bei der Betrachtung der Zeichnung mit dem bloßen Auge als auch auf fotografischen Reproduktionen kaum möglich. Ähnlich verhält es sich mit neuen digitalen Montagetechniken bei architektonischen Aufnahmen. Sie ermöglichen eine neue Sichtweise auf Kunstwerke, die uns in der direkten Gegenüberstellung mit dem Werk verwehrt blieben, wie beispielsweise die fotografische Konstruktion eines sich über mehrere Meter erstreckenden Deckenfreskos.
Analogisierung digitaler Fotografien – Ein Rückschritt?
Die Photothek des KHIs arbeitet für aktuelle Forschungszwecke und Kampagnen mit den neuen Techniken digitaler Fotografie. Wenn nun mit der Digitalisierung analoge Fotos zunehmend an Wert gewinnen, wie Constanza Caraffa die Entwicklung beschreibt, was würde dies im Umkehrschluss für die neu entstehenden Digitalisate bedeuten?
Insbesondere über die Cimelia Photographica-(Online)-Ausstellung wird der Eindruck vermittelt, je länger die Biografie einer analogen Fotografie ist, desto wertvoller scheint ihr Status als Forschungs- und Geschichtsgegenstand zu sein. Die Unzuverlässigkeit bezüglich der Archivierungsdauer digitaler Informationen stellt das Risiko dar, digital gespeichertes Fotomaterial auf lange Zeit zu verlieren. Dies mag ein ausschlaggebender Grund dafür gewesen sein, dass die Photothek beschloss ihre digitalen Fotografien in gedruckter Form zu archivieren. Das Analoge ergänzt das Digitale. Sowohl die ausgedruckten Digitalisate als auch die analogen Fotografien der Sammlung werden in der Photothek als Objekte verstanden, denen eine wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung als Forschungsgegenstand zukommt. So werden auch die Ausdrucke des Digitalen weiterhin in Fotokartons archiviert und mit Inventarnummern, Stempeln und handschriftlichen Zuschreibungen versehen. Ähnlich wie vor 50 Jahren sollen auch heute über diese Form der Archivierung Spuren für die nächste Forschergeneration gelegt werden. Dies würde bedeuten, dass auch ihnen eines Tages ein Originalwert zugesprochen werden kann.
Doch erscheinen diese Form des Umgangs und eine solche Umkehrung zurück ins Analoge überhaupt zeitgemäß? In Anbetracht des zunehmenden Platzmangels in den Archiven der Photothek stellt sich ebenso auch die Frage nach der Praktikabilität des Ausdruckens digitaler Fotografien und der damit resultierenden Anhäufung von Informationsträgern in zweifacher Ausführung.
- Constanza Caraffa: Einleitung, In: Ders. (Hg): Fotografie als Instrument und Medium der Kunstgeschichte, Berlin München 2009, S. 25 ↩