Am 21.01.16 besuchte wir im Rahmen des Seminares das Deutsche Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg. Das Dokumentationszentrum ist ein Bildarchiv mit Forschungs- und Servicefunktion, das getragen wird von der Philipps-Universität Marburg. Foto Marburg ist ein eigenständiger Fachbereich, wobei eine enge Verknüpfung mit dem Fachbereich der Kunstgeschichte besteht. Einerseits durch die thematische Verbindung in der Forschung und andererseits durch Prof. Dr. Hubert Locher, dem Direktor vom Bildarchiv Foto Marburg, der ebenfalls einen Lehrstuhl am Fachbereich Kunstgeschichte innehält. Auf der Website des Bildarchives wird der Auftrag von Foto Marburg wie folgt umrissen:
„Der Auftrag umfasst die Sammlung, Erschließung und Vermittlung von Fotografien zur europäischen Kunst und Architektur sowie die Erforschung der Geschichte, Praxis und Theorie der Überlieferung von visuellem Kulturgut, insbesondere die Erkundung der damit verbundenen medialen Transformationsprozesse, der Bedingungen des Speicherns von Wissen in visueller Form, der Bedeutung der Erinnerung visueller Kultur in der Gesellschaft.“[1]
Für unser Seminar ist der Ansatz, die komplette Kunstgeschichte mithilfe von Fotos zu dokumentieren, natürlich sehr interessant. Dieser Ansatz wurde von Richard Hamann, dem Institutsgründer Foto Marburg ins Leben gerufen. Hamann war ein passionierter Sammler und Fotograf, dem es durch Erwerbe von Negativen sowie große Fotokampagnen gelang bei seiner Emeritierung 1949 ein Fotoarchiv mit 250.000 Fotografien zu hinterlassen. Diese Sammlung ging damals schon über das Format einer Lehrsammlung für die Kunstgeschichte weit hinaus.[2] Heutzutage umfasst das Archiv mehr als 2 Millionen Fotografien auf unterschiedlichsten Speichermedien wie beispielsweise Glasnegativen, Dias und Servern.
Hamann erstellte die Sammlung mit einem Lehrgedanken. Es ging darum das zeigen zu können, was sich weit entfernt befindet. So ist das Bildarchiv eine Dienstleistung für die Forschung. Das Bereitstellen von Forschungsmaterial als Bildagentur und –sammlung ist nach wie vor eine Hauptaufgabe von Foto Marburg. Heutzutage kann das Bildarchiv außerdem auf ein großes Know-how zur Bereitstellung von Informationen zurückgreifen, das ebenfalls zur Beratung von anderen Institutionen dient.
Empfangen wurden wir von Dr. des. Sonja Feßel, der wissenschaftlichen Kuratorin, sowie Susanne Dörler, der Abteilungsleiterin der Katalogisierung, im Ernst-von-Hülsen-Haus. In dem Haus, das 1927 als Jubiläumsbau zum 400 jährigen Jubiläum der Philipps-Universität Marburg eröffnet wurde, sind verschiedenste Fachbereiche untergebracht. Derzeit entsteht ein Neubau, in den das Bildarchiv Foto Marburg 2019 umziehen wird.
Erster Anlaufpunkt der Führung durch das Haus war das Eingangsarchiv. Das Bildarchiv Foto Marburg generiert auf zwei Wegen neue Fotografien. Einerseits durch die Übernahme von vorhandenen Sammlungen, durch Schenkungen oder Ankäufe, wobei das meist analoge Objekte sind. Zweite Möglichkeit sind eigene Fotokampagnen, die durch Forschungsprojekte angestoßen und von eigenen Fotografen ausgeführt werden. Fotografien die auf erstem Weg zum Bildarchiv finden, kommen als erstes im Eingangsarchiv an. Dies ist ein Arbeitsarchiv in dem Sammlungen gesichtet, inventarisiert und mit Erschließungsinfos versehen werden. Meist ist keine aktive Akquise nötig, da Angebote über das Telefon ins Haus kommen. Diese stammen beispielsweise von Verlagen, die ihre Archive verkaufen möchten oder Nachkommen von verstorbenen Fotografen und Kunsthistorikern, die eine private Sammlung hinterlassen haben. Wenn die Sammlung in das Sammlungsprofil passt und Bilder im Zusammenhang mit Kunst, meist Architektur aber auch Malerei und Skulptur, beinhaltet, kann diese vom Bildarchiv übernommen werden. Bei einem Sammlungseingang ist eine Stückzahl von 11.000 Negativen eine kleine Menge. Bei der Sichtung werden drei Kategorien durchgegangen. Zuerst muss das Motiv der Fotografie relevant sein, dann ist die fotografische Qualität natürlich bedeutend und zum Schluss ist der konservatorische Zustand entscheidend dafür ob das Objekt in die Sammlung aufgenommen oder kassiert wird.
Diese komplexe Aufgabe übernimmt Sonja Feßel. So muss jedes Mal reiflich abgewogen werden, welche Fotografien kassiert werden. Trotz weniger relevantem Motiv kann eine Fotografie beispielsweise behalten werden, da sie von einem bekannten Fotografen stammt, dessen Oeuvre nicht zerstört werden soll. Auch eine Dopplung in Motiven wird interessant, betrachtet man das gleiche Objekt in unterschiedlichen Zeiten und kann daran eine städtebauliche Entwicklung ablesen.
Diese Arbeit verlangt Gewissenhaftigkeit und ist daher sehr zeitintensiv. So wird bei der Inventarisierung von Sammlungen eine Prioritätenliste abgearbeitet. Hierbei sind Qualität der Sammlung, Empfindlichkeit der Objekte und inhaltliche Dringlichkeit entscheidend. Manche Objekte sind sehr empfindlich und müssen schnell konserviert werden in der Klimakammer. Andere Themen sind so akut, dass die Fotos so schnell wie möglich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen. Wie beispielsweise heute die Bilder vom syrischen Palmyra, welches nach der Zerstörung anhand der Fotografien des Originalzustanden wieder aufgebaut werden können.
Nach dem Eingangsarchiv besuchten wir die Plattenkammer. Die ist das größte analoge Archiv. Da ein Viertel der Aufnahmen Glasnegative sind, welche sehr hohes Gewicht haben, ist das gesamte Gewicht der Sammlung auf 33 Tonnen geschätzt worden. Der Großteil der Sammlung besteht jedoch aus Kunststofffilmen. In der Plattenkammer herrschen 16 bis 17 Grad, um diese zu schonen.
Bei dem Betreten der Plattenkammer war eine große Glasplatte mit dem Motiv des Eifelturmes für uns aufgestellt. Dies ist ein besonderes Objekt, da das Erstellen dieser Fotografie auf einer so großen Glasplatte mit viel Mühe verbunden ist. Ebenfalls sehr besonders sind die Glasplatten, welche uns danach präsentiert werden. Sie stammen aus der Galerie Fritz Gurlitt und kamen in einer Sammlung von 1500 Glasplatten zu Foto Marburg. Ein Teil der Platten bildete Kunstwerke ab, die in der Galerie gezeigt wurden. Da die Sammlung ohne Erschließungsinfos in das Archiv kam, wurden nur die 720 bekannten Kunstwerke digitalisiert. Unter den restlichen Glasplatten waren jedoch auch Aufnahmen von der Wohnung des Sohnes Wolfgang Gurlitt zu finden. Diese Aufnahmen geben einen Einblick in die expressionistische Einrichtung der Wohnung von 1920 bis 1921. Auch interessant sind Randbeschriftungen der Glasplatten von Edvard Munch Gemälden, die sich als Katalognummern begleitend zu einer Munch Ausstellung im Hause Gurlitt herausstellten. Womit es möglich wird den verschwundenen Katalog wieder zu rekonstruieren. Hier sieht man, dass das Bildarchiv mehr leistet als nur das Zusammentragen und Konservieren von Information sondern auch an der Forschung teilnimmt.
Nach der Plattenkammer gingen wir in die Klimakammer, in der 12 Grad sind um dort besonders empfindliche Objekte zu lagern. Die unterschiedlichen Beschädigungen der Objekte, die beispielsweise bei falscher Lagerung entstehen, beschreibt uns Horst Fenchel der Restaurator. Er zeigt, wie sich die Beschichtung von Glasplatten löst, Verfärbungen entstehen und Kunststofffilme schrumpfen. Auf einem Bild zeigt er uns einen Kunststoffilm, der sich verflüssigt hat und sehr giftig wird. Die Zersetzung hat sogar das Regal, in der das Objekt stand, angegriffen und zum rosten gebracht. Des Weiteren sehen wir in der Restauration die unterschiedlichen Retuschetechniken, die analog auf Glasplatten vorgenommen wurden.
Nach der Mittagspause wurde das Seminar von dem Direktor Hubert Locher begrüßt, der besonders auf das Magazin „Rundbrief Fotografie“ hinwies. Nach dieser netten Begrüßung gingen wir zu Thomas Scheidt, dem Leiter der Fotowerkstatt. Er zeigte uns die Seite des Fotografens im Bildarchiv. Dessen Aufgabe ist einerseits die Kampagnen Fotografie sowie andererseits die Digitalisierung über den Masterscan. Besondere Herausforderungen beim Kampagnen Fotografieren sind die naturgetreue Darstellung der Originale, was beispielsweise durch komplexe Lichtsituationen oder räumliche Gegebenheiten schwierig sein kann. Hier ist ein besonderes Fingerspitzengefühl gefragt, um Manipulation durch technische Mittel so gering wie möglich zu halten und keine Willkürlichkeit bei der Bearbeitung aufkommen zu lassen. Denn diese digitalen Datensätze werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und sind kostenlos freigegeben zur privaten und wissenschaftlichen Nutzung.
Angela Kailus die stellvertretende Direktorin informierte uns danach über Datenmanagement und digitales Publizieren. Zuerst beschrieb sie den Prozess der Digitalisierung der Datensätze über CD ROM zum Bildindex, dem online gestellten Archiv von Foto Marburg. Hier finden sich Mikrofishe Digitalisate, hochauflösende Scans und Fotografien. Derzeit ist eine neue Website, die durch eine Agentur erstellt wird, in der Mache. Diese soll die Bestände noch einfacher auffindbar machen. Hierbei müssen viele Faktoren und Prozesse bedacht werden, um die Anwenderoberfläche nach den heutigen Standards und passend für den Bildindex zu gestalten.
Die letzte Station unseres Besuches war die Betrachtung der Bildbände, Postkarten und anderer Replikate die im Haus Foto Marburg erstellt wurden. Interessant für unser Seminar ist die Herangehensweise des Archives an die Negative. Bei einer großen Menge von mitunter auch sehr alten Reproduktionen entsteht natürlich ein besonderer Umgang mit und Verständnis von Originalen und Reproduktionen. So wird ein Glasplattennegativ, das ein Gemälde abbildet und um die 100 Jahre alt ist, mit so großer Vorsicht wie das Original selber behandelt. Die unterschiedlichen Techniken der Datenerfassung sind Zeitzeugnisse und daher auch in ihren jüngeren Formen würdig erhalten und bewahrt zu werden.
[1] Foto Marburg: http://www.fotomarburg.de/leitbild (22.01.16)
[2] Foto Marburg: http://www.fotomarburg.de/forschung/ausstellungen/hamann (22.01.16)
Liebe Exkursionsteilnehmerinnen und -teilnehmer,
es war uns eine große Freude, Sie in Marburg willkommen zu heißen und Ihnen die Türen zu unseren Beständen zu öffnen! Ihr Seminarthema passte ja bestmöglichst zu unserem Haus und ihr Interesse an der Materie war entsprechend spürbar.
Wir arbeiten ja gewissermaßen mit den ‚traditionellen‘ fotografischen Techniken (selbstverständlich inkl. Digitaler Fotografie) – und verstehen deren Produkte (Negative wie Positive) selbst als Originale, als zu bewahrende Monumente eigenen Rechts -; dass sich diese Techniken nicht immer ausreichend zur Wiedergabe von Kunstwerken eignen, können Sie übrigens im kommenden (März) Heft des „Rundbrief Fotografie“ nachlesen. Dort beschreibt ein Forscherteam rund um Peter Fornaro, Digital Humanities Lab Basel, neue computerbasierte Verfahren zur Wiedergabe von Kunstwerken. Ob diese Darstellungsformen irgendwann jedoch ebenfalls ihren Weg in ein Archiv finden werden, wird sich noch zeigen müssen.
Wir wünschen jedenfalls weiterhin spannende Seminarsitzungen und rege Diskussionen!
Ihren Foto-Bericht habe ich mit Freude gelesen 🙂
Bei den gezeigten Glasnegativen in der Restaurierung handelt es sich allerdings nicht
um Beispiele für eine Zersetzung, sondern um zwei typische Schadensbilder:
Flecken als Folge schlechter Verarbeitung und Schichtablösung durch zu trockene Lagerung.
Mit gut restaurierten Grüßen,
Horst Fenchel
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