Ein Artikel im Rahmen von #opco11. Die zweite Aufgabe in der dritten Woche des Open Course 2011 reizt mich doch, um meine Erfahrungen zu „Möglichkeiten bzw. Grenzen dieser Lernform“, gemeint ist E-Learning oder Online-Lernen zu reflektieren.
Eine kurze Anmerkungen zu den Begrifflichkeiten: „E-Learning“ bzw. „Online-Lernen“ können (noch) synonym verwendet werden. Die Verwendung des letzteren Begriffes soll meiner Beobachtung nach subtil zeigen, dass man in der Edu-Community mehr up-to-date ist. Der Begriff E-Learning ist altmodisch, das E steht ja für „elektronisch“ und das ist viel zu technisch. Mindestens Blended-Learning, also die Kombination von E-Learning und Präsenzphasen verspricht nach allgemeinem Konsens den größten Lernerfolg. Es gibt auch die Haltung (die ich ja auch teile): Betone das „Learning“, nicht das „E“.
Man kann auch vom Online-Lernen 2.0 reden, sorry ich meine Social Learning, siehe die 2. Woche von opco11.. Ich übertreibe mal: E-Learning ist out, Social Learning ist in. Na toll. Vielen Dank an den oder die Verfasser der Aufgabe für die 3. Woche, in dem noch vom altmodischen E-Learning gesprochen wird. Schauen wir uns die englischen oder deutschen Artikel zu E-Learning bei Wikipedia an, erahnt man wie viele Gedanken wir uns alleine über die Begrifflichkeiten machen können. Ich müsste jetzt aus Trotz nur vom E-Learning sprechen. Ich bitte um Verzeihung, dass ich mich mit dem Begriff Online-Lernen aber wohler fühle.
Aber nun zum Thema, meine Erfahrung mit Online-Lernen im Unterricht: ich setze seit 2004 die Lernplattform oder Learning-Management-System (LMS) Moodle in meinem und für meinen Unterricht ein. Im Umfang bedeutet dies, dass ca. 10 -30 % der Aufgaben, Übungen, Inhalte und Kommunikation über diese Plattform verlaufen. Abgesehen davon, dass ich bei der Einführung von Moodle ein- oder maximal zweimal mit einer Klasse in den schulischen Computeraum gehe, findet die Betätigung außerhalb der Unterrichtszeit statt. Konkret also für die meisten Schülern zu Hause. Und ja, die Betätigung ist notenrelevant, es fließt zwischen 10 – und 33% des Outputs in die Zeugnisnote ein.
Ich werde immer wieder gefragt: Haben die Schüler denn den Zugang zu Hause? Kann man sie denn verpflichten? Die Antwort: ja, sie haben zu etwa 97% den Zugang, die Eltern sind durch einen Elternbrief informiert und geben eine Rückmeldung. (Der Elternbrief ist als Vorlage gestaltet und kann frei benutzt und geändert werden.) Und ja, man kann sie verpflichten. Vielleicht hat ein Schüler aus einer 30er-Klasse keinen Internetzugang, dies aber meist nur vorübergehend. Er oder sie kann dann in unserer Schulbücherei bzw. in der Stadtbücherei umsonst Computer und das Internet ab 11:30 Uhr den ganzen Tag benutzen. Somit gibt es keine wirklichen technischen Hindernisse. Das ist auch wichtig, damit später nicht Ausreden kommen wie z. B.: „mein Internetzugang ging nicht, ich hatte einen Virus, meine Schwester hat meinen Computer gecrasht, ich habe Computer(spiele)verbot“, usw. Unsere Schüler können im Grunde rund um die Uhr die mediale Infrastruktur der Schule oder der Stadtbücherei nutzen.
Die Eltern sind dankbar, dass das Internet schulisch genutzt wird. Rückmeldungen sind inhaltlich immer positiv, häufig technisch und manchmal ist bei jüngeren Schülern der Umgang mit einem „Computerverbot“ auszuhandeln. Ich hatte auch mal die Information über den Zeitumfang der Betätigung für meinen Unterricht geben müssen (maximal 30 Minuten die Woche), da sich manche Eltern darüber wunderten, dass ihre Kinder „stundenlang“ für den Physikunterricht lernen müssten. Ach so, meine Zielgruppe sind Schüler ab der 6. Klasse, meist aber älter.
Wo liegt denn nun der Mehrwert, dass ich ein LMS einsetze, wie Moodle eines ist? (Es gibt ja auch andere LMS, aber um es gleich zu sagen: nehmt Moodle, es ist lizenzfrei, und überhaupt das Beste). In Moodle wird der Unterricht konkret: es gibt viele Aufgaben von mir. Nur das, was die Schüler selbst tun und lösen, beherrschen sie auch am Ende – vielleicht. Ja, ich verbreite auch Lernmaterial, z. B. klassische Arbeitsblätter, aber neuerdings gar nicht so gern. Ich mache dies nur für die paar Schüler zuliebe, die im Präsenzunterricht krank waren. Aber auch die lieben Schlamper, die das Arbeitsblatt verlieren, fragen nicht mehr nach, sie können es sich ja herunter laden.
Seit ich Moodle im Unterricht einsetze (nehmen wir mal Physik
), kontrolliere ich recht individuell die Beiträge und Lösungen der Schüler, bzw. sie werden – je nach Aufgabentyp – automatisch korrigiert (Testobjekt in Moodle). Dies habe ich in den 13 Jahren zuvor nie so intensiv getan bzw. konnte es tun. Meine Erfahrung – und das ist wirklich immer so – offene Aufgaben korrigieren sich am Computer doppelt so schnell wie auf dem Papier. Nehmen wir mal eine Frage, die mit einem oder zwei Sätzen beantwortet werden kann. Ich benötige in Moodle dazu ziemlich genau 10 Minuten bei 30 Schülern. Eher sogar weniger. Würde ich Blätter einsammeln, dauert dies, mit dem Notieren einer Note, mindestens 20 Minuten eher mehr. Ich habe es vielfach ausprobiert, es ist so.
Ich bin immer wieder über die qualitative Bandbreite der Lösungen und Antworten erstaunt. Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu viel Aufgaben aufgebe. Weniger ist tatsächlich mehr. Dafür erlebe ich, dass die Aufgaben wirklich bewusster und genauer gelöst werden. Anfängliche Betrugsversuche (Paste & Copy aus Wikipedia zum Beispiel), hören ganz schnell auf. Sicher holen sich meine Schüler aus ihrem Umfeld Hilfen, aber ich merke dennoch – im Abgleich mit dem Präsenzunterricht – ganz schnell, wie gut sie ihre Antworten selbst verstanden haben oder nicht.
Ich kann als Resümee sagen, dass die Aufgaben in Moodle um ein Vielfaches besser bearbeitet werden als wenn ich sie nur klassisch als Hausaufgabe aufgebe, die nur im Heft gelöst werden soll. Davon abgesehen, wer erledigt schon wirklich Physikhausaufgaben? Der scheinbare „Nachteil“ für die Lehrkraft dabei: meine Schüler verlangen dann aber auch ein unmittelbares und möglichst individuelles Feedback von mir. Dies kann ich aber rein zeitlich nicht in allen Physikklassen leisten. Deswegen kann ich auch nicht alle Aufgaben in Moodle stellen (was viele sogar von mir fordern), sondern nur einen kleinen Ausschnitt.
Was ist noch bedeutsam? Lernvideos, Videos zu Experimenten, Video-Beiträge aus dem Bildungsfernsehen, Links zu bekannten Physikunterrichtsseiten werden im LMS von mir zur Verfügung gestellt. Und ja, auch Links zu klassischen Web2-Angeboten, zum Beispiel zu Flashcards, wie z. B. Quizlet.com. Abstimmungen, Themenwahlen, etc. finden online in Moodle statt.Die Schüler laden in Datenbanken ihr gefundenes Material oder Beispiele hoch. Präsentationen und Projektarbeiten werden abgegeben. Fachliche Wörterbücher (Objekt Gloassar) werden gemeinsam angelegt.
In geschlossenen Foren (ein wichtiges Objekt) tauschen die Schüler sich zu bestimmten Fragestellungen aus. Dies trainiert die Kompetenzen Kommunikation und Bewertung im naturwissenschaftlichen Kontext. Da habe ich zwar meist positive Erfahrung gemacht, aber leider nicht immer. Manchmal werden Foren doch nur zur Blödelei benutzt, da muss ich dann strikt eingreifen. Die Schüler müssen tatsächlich erst lernen diese Form der Kommunikation ernsthaft zu nutzen, was sie zumindest in einem weiteren Anlauf meist auch tun.
Was ist hier der konkrete Vorteil? Ich gebe ein Beispiel: Im Unterricht haben wir uns erarbeitet, dass die Sonne die Quelle aller Energie auf der Erde ist. Wirklich aller? Streng genommen nicht. Hätte ich das nur im klassischen Physikunterricht kurz angesprochen, sagen wir mal in einem 10-minütigen Lehrer-Schüler-Gespräch, fast alles wäre verpufft. Zwei oder drei Schüler hätten sich etwas davon behalten und wären überhaupt beteiligt gewesen. Der Rest der Klasse wäre ganz passiv und unbeteiligt. Durch das Forum aber hat sich – sogar klassenübergreifend – eine fantastische Diskussion über geschlagene 5 Tage entwickelt, in der die Schüler auf physikalische Aspekte eingingen, die ich mir auch nicht klar machte (z. B. die Anziehungskraft des Mondes als Energiequelle). Auch wenn hier nur eine Minderheit der Schüler die Diskussion getragen haben (aber weit mehr als nur im Klassengespräch), haben doch alle viel mehr davon gehabt. Und wie gesagt, dass Forum war nicht öffentlich, sondern eine geschlossenes. Über 70 Beiträge aus 2 Klassen – das hätte ich nie im Leben mit der reinen Gesprächsform erreicht. Schade, dass ich das Beispiel hier aus Datenschutzgründen nicht zeigen kann.
Ganz interessant sind auch Projektarbeiten, in der die Schüler ihre Gruppenergebnisse bzw. „Forschungsarbeiten“ wunderbar verwalten und präsentieren können. Hier ist Moodle dann eher ein Hafen! Das Arbeiten kann dann z. B. in Google-Docs oder sonst wo stattfinden (Prezi, Etherpad, …). Und die Kommunikation von mir aus in den begleitenden Facebook-Gruppen, dass ist mir ganz egal. Die Links sind dann in Moodle, von da kann man sich orientieren und „springen“. Ganz besonders geschieht dies übrigens in einem IT-Kurs von mir, in dem die Schüler den ECDL, den europäischen Computerführerschein absolvieren können.
Ich könnte noch viel über meine Erfahrungen mit Moodle reden, aber ich glaube es langt. Für mich ist der Gebrauch eines LMS ganz normal, nichts mehr besonderes. Es gibt Rückschläge. Nicht immer sind die Schüler motiviert. Ich entwickle mich auch in meiner methodischen bzw. didaktischen Arbeitsweise, wie ich es einsetze. Aber das entscheidende ist, es überhaupt zu benutzen, auch wenn manchmal Elemente (Aufgaben, Diskussionen, Tests, Umfragen, …) daneben gehen, also zu schwer, zu leicht zu langweilig sind. Die Technik tritt in den Hintergrund, Arbeitszeit wird dem Lehrer nicht wirklich erspart. Aber der Output des Unterrichts wird besser.
Aber bevor ein Totschlag-Argument wieder gebracht wird: Nach einer bestimmten Einarbeitungszeit ist der Einsatz eines LMS auch keine Mehrarbeit für den Lehrer. Es ersetzt ja bestimmte Dinge, die er sowieso tut. Manchmal denken Kollegen, ach, die Moodle-Tätigkeit ist nur Mehrarbeit, alle Tätigkeit ist zusätzlich. Das stimmt so nicht, denn bei vergleichender „individuellen“ Gestaltung des Unterrichts wäre die Vorbereitungs- und Korrekturzeit viel umfangreicher. Hier muss man pragmatisch vorgehen und nicht immer das Maximale wollen. Irgendwann ist mit der Individualität des pädagogischen Handelns auch mal Schluss.
Zuletzt muss ich der Versuchung widerstehen im neuem Halbjahr alles ganz anders zu machen. Ein LMS ist ja fast schon Mainstream, nichts mehr Besonderes und irgendwie bieder. Und natürlich fehlt mir genau eine bestimmte Funktion! Wäre das Klassen-Weblog nicht innovativer? Wie wäre es mit der Produktion von Video-Clips in Youtube? Und richtig, E-Portfolios mit Mahara. Das wär’s. Das Einführen von vielen neuen Dingen kann kontraproduktiv sein. Eine gesunde Routine und Rituale müssen aufgebaut werden. Neue Elemente müssen sehr behutsam eingeführt werden (Mahara werde ich noch einführen, ganz sicher). Ein Schüler hat mir mal gesagt, dass er lieber die Hausaufgaben traditionell im Heft lösen möchte. Das Internet ist für ihn kein Ort zum Lernen. Ich ließ nicht locker und siehe da, nach 4 Wochen hat er sich daran gewöhnt. Musste er ja.
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