Der Einsatz von Fotosammlungen und Lichtprojektion in kunsthistorischen Vorlesungen

Zunächst experimentierte der Karlsruher Professor Bruno Meyer mit der Lichtbildprojektion. Bereits 1873 stellte er auf einem kunstwissenschaftlichen Kongress in Wien die „neue Art der Vermittlung“ vor. Meyers Hauptinteresse lag auf der Beschreibung der technischen Möglichkeiten des Skioptikons zur Verbesserung der Unterrichtsdidaktik und auf der Herstellung von kunsthistorischem Bildermaterial für die Forschung.

Jedoch wurden seine Ausführungen kaum beachtet und stießen vorwiegend auf negative Resonanz bei den wenigen Anwesenden.

Seit 1892 wurde aber sein Kollege Hermann Grimm (1872−1901) zum entscheidenden Vermittler und Proklamator der Diaprojektion. Grimm propagierte anders als Meyer einen Mehrwert an Erkenntnis und berichtete empathisch aus seinen Vorlesungen davon, wie die Projektion der Bilder seine Deutungen der Werke inspiriert. Technische Weiterentwicklung und die daraus resultierende weitaus weniger gefährliche und leichter zu handhabende Variante des Projektors ab den 1890ern, die Autorität Grimms, seine sozialen Kontakte, sowie ein neu aufkommender kommerzieller Markt für kunsthistorische Lichterbilder, mögen Gründe für den Erfolg Grimms sein.

In einer Fotosammlung sah Grimm nun ein adäquates Mittel zur systematischen Professionalisierung des Faches Kunstgeschichte. Die Fotografie stellte für ihn, im Gegensatz zu den sich stark voneinander unterscheidenden Stichen eines Objektes, ein verlässliches Anschauungsmaterial dar und gewährleistete, die Aussagen eines Autors denen zu beweisen, die das Original nicht vor Augen hatten. Die neuen Möglichkeiten des fotografischen Werkvergleichs brachten ihn sogar zu der Meinung, dass Fotografiensammlungen für das Studium der Kunst beinahe wichtiger seien als Museen, da sie durch ihre Detailfülle den Werkvergleich erst ermöglichten.

Weiterhin ist Grimm ist in diesem Zusammenhang auch für seine organisatorische Initiative hervorzuheben. So forderte und veranlasste er den Ankauf von bereits vorhandenen Aufnahmen und Desideraten in Verzeichnissen zusammenzufassen, um einen Überblick über die, für die Aufnahmeerlaubnis zu knüpfenden diplomatischen Verbindungen zu gewinnen. Zunächst sollten staatlich beauftragte Fotografen die Aufnahmen übernehmen, Grimm erwog aber auch die Gründung eines Vereins, der in Eigenregie und auf eigene Kosten Fotografieprojekte tragen sollte. Bemerkenswert scheint bei diesem Projekt, dass er nicht nur eine Fotosammlung forderte, sondern auch erscheinende Publikationen zu den Werken anzukaufen, die vielen Einzelpersonen aufgrund des hohen Preises nicht zugänglich waren. Sein Ansinnen war es eine Sammlung schaffen, die zusätzlich Quellen und Kommentare über Maße, Angaben über originale Erhaltung Farben und die Geschichte und Provenienz der Objekte beinhaltete.

Vor- und Nachteile des Skioptikons

Grimm galt als besonders rhetorisch begabt und verfasste mit einem Artikel in der Nationalzeitung 1897 ein Pamphlet zu Gunsten der Diaprojektion. Ihm zufolge ermöglicht die Projektion die Synchronität von Wort und Bild und die gleiche Sichtbarkeit für alle Hörer. Sie besitze Vorteile durch die Vergrößerung, unterstütze die serielle Erläuterung von Entwicklungsgeschichten und ermögliche die vergleichende Betrachtung zweier Bilder. Durch den verdunkelten Hörsaal werde zudem eine verbesserte Aufmerksamkeit erreicht. Besonders in der Möglichkeit der optischen Vergrößerung sah er im Skioptikon einen wichtigen methodischen Vorteil. Grimm betrachtete es als Prüfstand für die Qualität eines Kunstwerks, vergleichbar mit einem Mikroskop wie es die Naturwissenschaftler verwendeten, eine Technik, die keinen „falschen“ Schein dulde. Er betonte die Möglichkeit, mit Hilfe der Fotografie und der Lichtbildprojektion Dinge sichtbar zu machen, die dem menschlichen Auge sonst verborgen geblieben wären. Damit betrachtete er die technische Apparatur als dem Sehvermögen des Auges überlegen: Erst mit Hilfe des Skioptikons werden uns die wahren Geheimnisse der schaffenden Fantasie der Künstler offengelegt.

Ein Zitat Johannes Rößlers fasst in diesem Zusammenhang noch einmal die Relevanz der Errungenschaften Grimms für die Kunstwissenschaft zusammen:

„Die inszenatorischen Qualitäten des neuen Mediums sollten die Erfahrbarkeit von Kunstwerken derart steigern, dass die meist jungen Zuhörer zu einer neuen Spiritualität geführt wurden (…) Eine neue Form der Lebensbedingungen hatte damit für Grimm begonnen, für die kulturell neue Antworten gefunden werden mussten, auch deshalb, um die moderne Dominanz der Naturwissenschaften und die Gefahr des Materialismus zu bändigen. In dem Angriff auf die Abgestumpftheit des Publikums war das Skioptikon als Massenmedium das geeignete Instrument, den fast verloren geglaubten Zusammenhang von Kunst und Leben wieder herzustellen“ (S. 85)

Auch wenn Grimm noch auf die maßstabsgetreue Wiedergabe der Werke Rücksicht nahm, so überwiegen doch seine Aussagen, die die Projektion ihrer Fähigkeiten wegen über das eigentliche Werk zu stellen: Die Wirkung werde durch die Vergrößerung erhöht, die Aufnahme ins Gedächtnis erleichtert und sie zeige die wahre Qualität eines Werkes, denn „nur die Werke ersten Ranges bestehen die Probe“. Grimm erwähnt zwar, dass die Reproduktion und nicht das Original in Erinnerung bleibe, doch thematisiert er diese Problematik nicht weiter.

Mehrfach spricht er davon, dass die Projektion das Werk erhöhe und vereinfache und somit ihren Kunstwert steigere. In diesem Sinne wirke das Skioptikon also als eine Art Kunstverstärker, unterstütze damit aber auch den Rezipienten passiv werden zu lassen, so Wolfgang Ullrich.

Man darf außerdem nicht außer Acht lassen, dass Grimm in seiner Proklamation für den Einsatz des Skioptikons innerhalb des Kunstwissenschaftsbetriebs zwar einerseits immer wieder die objektiven Befunde, die das Instrumente liefere, hervorhebt, aber andererseits in seiner Herangehensweise alles andere als objektiv vorging. Darin werde nach Ansicht Ullrichs der Professor „zum Interpreten, der die Werke noch eindrucksvoller in Szene setzen und vermitteln kann als ehedem ein Kupferstecher. Denn während dieser sich an die Gestalt des Vorbilds zu halten hatte, wechselt Grimm vom Bild zum Wort und bringt verschiedene Bilder in eine Choreographie. Damit hat er größere Freiheiten der Dramatisierung und Neugestaltung“ (S.96)

In diesem Bemühen um Pathos und Erhabenheit wird zwar Grimms Anliegen, seine Studenten und sein Publikum zu faszinieren deutlich, jedoch wird zeitgleich ein Mangel an Objektivität offenbart. Im Vordergrund steht sein persönliches Kunstverständnis, nur ‘lohnenswerte’ Gemälde können einer genaueren Betrachtung unterzogen werden und dieser stand halten. So bleibt ein Problem bestehen, das auch noch heute seine Geltung nicht verloren hat und auf das Dorothee Haffner in ihrem Artikel verweist. Das Einfügen von Bildunterschriften, Hervorheben oder Kombinieren von Details, Möglichkeiten bei dem der Vortragende wie auch Hermann Grimm didaktische Gruppierungen vornehmen und sich als Verbesserer und Vollender des Kunstwerkes imaginieren kann, steigern den Grad der Manipulation von Bildern und sind deshalb von vorn herein nicht mehr neutral rezipierbar.

 

Quellen:

Dilly, Heinrich: Die Bildwerfer. 121 Jahre kunstwissenschaftliche Dia-Projektion. In: Zwischen Markt und Museum. (= Rundbrief Fotografie, Sonderheft 2), S. 39-44, Göppingen 1995.

Dilly, Heinrich: Weder Grimm, noch Schmarsow, geschweige denn Wölfflin…Zur jüngsten Diskussion über die Diaprojektion um 1900. In: Fotografie als Instrument und Medium der Kunstgeschichte, hrsg. von Constanza Caraffa, S. 91-116, Berlin 2009.

Grimm, Hermann: Die Umgestaltung der Universitätsvorlesungen über Neuere Kunstgeschichte durch die Anwendung des Skioptikons (1892). In: Theorie der Fotografie (I) 1839 – 1912, hrsg. von Wolfgang Kemp, S. 200-205, München 1999.

Haffner, Dorothee: „Die Kunstgeschichte ist ein technische Fach“. Bilde an der Wand, auf dem Schirm und im Netz. In: Bild/Geschichte: Festschrift für Horst Bredekamp, hrsg. von Philine Helas, S. 119-129, Berlin 2007.

Matyssek, Angela: Kunstgeschichte als fotografische Praxis, Berlin 2009.

Reichle, Ingeborg: Fotografie und Lichtbild: Die ‚unsichtbaren’ Bildmedien der Kunstgeschichte. In: Sichtbarkeit und Medium. Austausch, Verknüpfung und Differenz naturwissenschaftlicher und ästhetischer Bildstrategien, hrsg. von Anja Zimmermann, S.169-181, Hamburg 2005.

Rößler, Johannes: Erlebnisbegriff und Skioptikon. Hermann Grimm und die Geisteswissenschaften an der Berliner Universität. In: In der Mitte Berlins: 200 Jahre Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität, hrsg. von Horst Bredekamp, S. 69-91, Berlin 2010.

Ullrich, Wolfgang: Raffinierte Kunst. Übung vor Reproduktionen, Berlin 2009.

 

Dieser Beitrag wurde unter alle Beiträge, zu den Seminarstunden veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.