Damals wurde dem Erklären der Wissenschaft mit Logos als Aufmerksamkeit für die physische Welt gefrönt. Früher wie heute: Dass Wissenschaft sich zum behandelten Phänomen intensional verhält ist problematisch, wenn ihr Vorhaben doch darin besteht, eine Adäquatheit zum Gegenstand zu gewinnen. Das dabei entstehende Dilemma bei der Entfernung der Gegenstände aus ihrer gegebenen Natur zur Entfremdung hinein ins Labor ist bedenklich, und beim Berufen auf Abbildungen in der Kunstgeschichte weiter problematisch. Inwiefern wurde das Kunstwerk adäquat behandelt, wenn das Ergebnis der Arbeit ein Kommentar zur Paraphrase des Phänomens ist? Der Kunsthistoriker erzählt Geschichte basierend auf dem Wiedererzählten dieser; und es heißt wissenschaftlich belegt.
Dieses in der Kunstgeschichte exemplarische Problem ist allgemein im wissenschaftlichen Betrieb und ein vorrangiges Thema in der philosophischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Die Sensibilisierung für jene Problematik ist konstitutiv, um Wissenschaft nicht als Methode per se zu verhärten und damit, so scheint es, steht sie bereits am äußersten Rand ihrer Möglichkeiten.
Die neuzeitliche Physik ist nicht deshalb Experimentalphysik, weil sie Apparaturen zur Befragung der Natur ansetzt, sondern umgekehrt: weil die Physik, und zwar schon als reine Theorie, die Natur daraufhin stellt, sich als einen vorausberechenbaren Zusammenhang von Kräften darzustellen, deshalb wird das Experiment bestellt, nämlich zur Befragung, ob sich die so gestellte Natur und wie sie sich meldet.1
Und niemand meldet sich. Leonardo ruft nicht an, dass diese Ehefrau Lisa zu ihrem Lächeln und der Frau, die sie facettiert, degradiert ist. Er, die ihn darstellenden Ornamente und die jene studierenden Kunsthistoriker können es nicht gutheißen, dass ihre kontemplative Sicht der Dinge zur verbeulten Unterhaltung missbraucht wird von der ab sie eine Sezession versuchen. Und diese schaffen: Das Archiv kunsthistorischer Institutionen ist die Alternativrealität, die zur Interpretierbarkeit tauglich in den Regalen einlagert.
Die Kulturkonsumenten
Es gibt nicht bloß herabgesunkene, provinziell gewordene Kunst, es gibt auch herabgesunkene, halbgebildete Verhaltensweisen. Der Begriff des Kitsches ist zu gut dafür. Eine davon ist das Angaffen von Bildern mit Namen, das Anhören sogenannter guter Musik, das Einheimsen von Lektüre, kurz, die aneignende Rezeption halbverstandener Kulturprodukte auf Grund ihrer Geltung. Dazu gehört durchaus das Bewußtsein, vielmehr die Selbsttäuschung, man genieße sie. Die Vorstellung entsteht zumeist wohl aus narzißtischer Genugtuung, mit sowas Berühmtem oder Pikfeinem in Berührung zu stehen, während ein geschicktes Flickwerk mit demselben Stempel es genauso täte. Der Mechanismus ist der Begeisterung ähnlich, die das geistvolle Wort des Genies auslöst, ohne daß der damit Bedachte es von einer Trivialität zu unterscheiden wüßte, oder umgekehrt der Unfähigkeit, der Wahrheit im Munde des Genies, die dem Wortlaut nach der Trivialität des Spießers gleicht, auch nur anzumerken, was die beiden voneinander trennt. Die Rezeption der Kulturprodukte als Sammlung von Bildung, profitable Freizeitgestaltung – wieviel flacher ist sie als der unmittelbare Gebrauch, den die Feudalen davon machten, unter denen die meisten entstanden sind, Werkzeuge des Prestiges, pompöse Dekoration, oder als der Stolz der Kaufleute, die es den Feudalen nachtun wollten und sie rasch überflügelten. Heute aber, wo Kulturproduktion längst sich selber aufhebt, den sogenannten Schätzen der Vergangenheit nachzulaufen ist bloß die andere Seite, vielmehr ein System der Verrohung, Verbauerung, die das Schicksal Europas ist, eine Art armseliger Fetischisierung, Verdinglichung des Geistigen, das – eingespannt in Zweckzusammenhängen – einmal seine Unabhängigkeit bewies und sogleich stirbt, wenn es zum Zweck erniedrigt wird. Die Massenbesuche der Museen und Theater gehören zu den harmlosen Vorübungen zur Massenverehrung anderer Art.2
- S. 22 in: Heidegger, Martin: Die Frage nach der Technik, in: Gesamtausgabe. 1. Abteilung: Veröffentlichte Schriften 1910-1976. Band 7 Vorträge und Aufsätze, Vittorio Klostermann, 2000, Frankfurt am Main ↩
- S. 377 in: Horkheimer, Max: Gesammelte Schriften Band 6, Fischer Verlag, 1991, Frankfurt am Main ↩