Die Kunstgeschichte – ein Grabungsfeld für die Medienarchäologie?

In der rechten Hand den Laserpointer, die linke an der Tastatur – die digitale Bildprojektion ist aus der Arbeitsweise einer Kunsthistorikerin heute nicht mehr weg zu denken. Dabei gerät ein alter Begleiter, der Diaprojektor, der ihr noch bis um das Jahr 2000 treu zur Seite stand, langsam in Vergessenheit. In der Methodik vieler Kunsthistoriker hat das Gerät deutliche Spuren hinterlassen, besonders eindrücklich in der Heinrich Wölfflins. Bisher ist allerdings wenig untersucht, wie technische Instrumente die Forschungsweisen und -ergebnisse der Kunstgeschichte beeinfluss(t)en. Der junge Wissenschaftszweig der Medienarchäologie könnte dabei Abhilfe schaffen.

Was ist der Gegenstandsbereich der Medienarchäologie?

Mit ihrem Sammelband „Media Archeaology“ von 2011 fassen die Medientheoretiker Erkki Huhtamo und Jussi Parikka wichtige Positionen der Medienarchäologie zusammen.1 Die dargebrachten Forschungsansätze variieren hinsichtlich ihrer Thematik und ihrer Vorgehensweise stark. Allgemein lässt sich sagen, dass Medienarchäologinnen in der Geschichte der vergangenen Jahrhunderte nach technischen Übertragungsmedien „graben“, die in Vergessenheit geraten sind. Sie analysieren die materiellen „Fundstücke“ und ermitteln, welchen Einfluss diese auf die Verwendungsweise verbreiteter Medien hatten. Eine solche Neubewertung der Gegenstände soll den Medienarchäologinnen zu Folge historische Umbrüche in der Mediennutzung aufdecken und die herkömmliche Geschichtsschreibung reformieren. Bei den verschiedenen Denkanstößen lässt sich das Ziel erkennen, die medienarchäologischen Befunde in allgemeine Medientheorien, wie der Marshall McLuhans, einzuordnen.

Was hat die Kunstgeschichte mit der Medienarchäologie zu tun?

Für die Medientheoretikern Jana Mangold2 war es die ausgeprägte „Mediensensibilität“ der Kunsthistorikerinnen, die das Fachgebiet für ihr Forschungsvorhaben über die Medientheorie Marshall McLuhans interessant machte. Sie bietet den Gedanken an, dass Kunsthistorikerinnen über einen medienarchäologischen Zugang neue Erkenntnisse über die eigenes Forschungsmethodik gewinnen könnten. Umgekehrt könnte die Kunstgeschichte  nach Mangold zu einem Grabungsfeld für die Medienarchäologie werden, um zu untersuchen, wie Medien eingesetzt werden, um Wissen zu generieren. McLuhan selbst habe sich mit den Methoden von Heinrich Wölfflin und Jacob Burkhardt auseinandergesetzt, so Mangold. Für die Kunstgeschichte ergeben sich aber Probleme, wenn medienarchäologische Forschungsmethoden in das eigene Repertoire übernommen werden sollen. Denn Kunsthistorikerinnen hadern oft damit, ob das Original oder die Reproduktion eines Kunstwerks für Forschungsfragen ausschlaggebend sein sollten. Für Mangold steht dagegen fest, dass es sich bei „Original“ und „Reproduktion“ um Kategorien handelt, die überwunden gehören. Sie spricht von einer „Enthierarchisierung“ der Medien.

Warum wird die Unterscheidung von „Original“ und „Reproduktion“ zum Problem, wenn die Kunstgeschichte Anregungen aus der medienarchäologischen Forschungspraxis übernehmen soll?

Geprägt durch die kybernetische Sprachforschung in den USA der 1960er geht es bei medientheoretischen Untersuchungen meist um den kommunikativen Akt zwischen Sender und Empfänger, der sich durch das technische Medium vermittelt ergeben kann. Auch in der medienarchäologischen Forschung steht der funktionale Aspekt eines Mediums im Vordergrund. Der Inhalt des Übermittelten tritt gegenüber den materiellen Eigenschaften eines Mediums zurück. Definiert man ein Kunstwerk als ein solches funktionales Medium, so ergibt sich, dass sich das Original nur aufgrund seiner spezifischen materiellen Eigenschaften von seiner Reproduktion unterschiedet. Original und Reproduktion sind dann lediglich mediale Formen eines Kunstwerks. Ihre Medienspezifik ergibt sich aus dem Produktionsprozess, der damit auch die jeweils eigene Rezeptionsform der Werke bedingt. Aus einem medienarchäologischen Blickwinkel würde die Rezeptionsform also materialistisch begründet, ästhetische oder normative Bewertungen gerieten aus dem Blick. Angesichts dieser funktionalen Ausrichtung der Medienarchäologie scheint es fragwürdig, inwiefern der Forschungsansatz für die Kunstgeschichte fruchtbar zu machen ist. Ob Kunstwerke als materielle Kommunikationsmedien zu betrachten sind, oder ob die Werke nicht den Horizont ihrer eigenen Medialität selbst neu zu definieren vermögen, wird die Kunstwissenschaft von Fall zu Fall klären müssen.

Wie ist der Nutzen medienarchäologischer Forschungsansätze für die Kunstgeschichte zu bewerten?

Als richtungsweisend für die medienarchäologische Forschungsmethode sehen Huhtamo und Parikka unter anderem die Werke Walter Benjamins, die auch in der Kunstgeschichte zum wissenschaftlichen Kanon gehören, wenn es um die massenmediale Verbreitung von Abbildern geht. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Benjamin darüber reflektiert, inwiefern die Verfügbarkeit von Reproduktionen auf die qualitativen Eigenschaften eines Originals zurückwirken: Während das Kunstwerk durch seine Reproduktionen für die Masse zu einem konsumierbaren Kulturgut wird, „erneuern“ sich beim Original die Qualitäten seiner zeitlichen und räumlichen Präsenz. Es verliert seine Bedeutung als kultisches Objekt, gewinnt durch seine Reproduzierbarkeit aber Bedeutung als historisches „Beweisstück“, dessen Betrachtungsweise durch massenhaft verbreitete Fotografien angeleitet werden kann.3 Der Kunsthistoriker Heinrich Dilly lehnt sich in einem kurzen Aufsatz von 1995 an die Thesen Benjamins an, wenn er beschriebt, wie sich der Diaprojektor in der akademischen Welt um 1900 durchzusetzen begann4. Während die Kollegen von 1873 den Diaprojektor bei einer ersten Demonstration aufgrund der schlechten Bildqualität ablehnten, waren ähnliche Geräte bereits zehn Jahre später schon fester Bestandteil kunsthistorischer Vorlesungen. Dilly meint, dass gerade durch die neuen Zugangsmöglichkeiten zu den Abbildungen das Interesse der Forscher für das sogenannte „Original“ anwuchs.5 Dillys medienarchäologischer Blick durch Benjamins Brille zeigt, das die Fragen nach Original und Reproduktion nicht getrennt voneinander verhandelt werden können. In diesem Sinne könnte die kunsthistorische Forschung von den „enthierarchisierenden“ Methoden der Medienarchäologie profitieren, um ihre Vorstellungen von „Original“ und „Reproduktion“ zu hinterfragen und althergebrachte Analysemuster neu zu überdenken. Obwohl die Frage, ob ein Kunstwerk als „Medium“ aufzufassen ist, offen bleiben muss, könnte die Medienarchäologie der Kunstgeschichte hinsichtlich einer kritischen Befragung der Fachgeschichte durch ihre „Grabungen“ zur Seite stehen.

  1. Erkki Huhtamo, Jussi Parikka: Media Archaeology. Approaches, Applications and Implications, Berkeley und Los Angeles 2011.
  2. Jana Mangold ist seit 2015 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Theater-, Film und Medienwissenschaften an der Goethe-Universität Frankfurt.
  3. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser (Hgg.): Walter Benjamin, Gesammelte Schriften, Band I (2), Frankfurt am Main 1991, S. 482 – 485: „Mit den verschiedenen Methoden technischer Reproduktion des Kunstwerks ist dessen Ausstellbarkeit in so gewaltigem Maße gewachsen, daß die quantitative Verschiebung zwischen seinen beiden Polen (Kultwert; Ausstellungswert) (…) in eine qualitative Veränderung seiner Natur umschlägt.“ Diese qualitative Veränderung beobachtet Benjamin in den Fotografien Eugène Atgets. Durch ihre Menschenleere und Bühnenhaftigkeit scheinen sie an natürlicher „Echtheit“ zu verlieren und können daher nicht mehr als Teil einer rituellen Praxis tradiert werden. Sie erhalten Bedeutung als „Beweisstücke im historischen Prozeß“ und stellen die Geschichte aus, anstatt selbst in ihre Praktiken eingebunden zu sein. Benjamin hält fest, dass die Abbildungen illustrierter Zeitschriften mit ihrer schriftartigen Bilderfolge gleichermaßen richtige wie falsche „Wegweiser“ sein könnten, eine neue Rezeptionsform für den funktionalen Charakter der Fotografien Atgets zu entwickeln.
  4. Heinrich Dilly: Die Bildwerfer. 121 Jahre kunstwissenschaftliche Diaprojektion, in: Zwischen Markt und Museum, Beträge der Tagung „Präsentationsformen von Fotografie (Juni 1994, Reiß-Museum der Stadt Mannheim), Rundbrief Fotografie, Sonderheft 2, Göppingen 1994, S. 39 – 44.
  5. „Gerade die Sensibilität für die spröde Materialität der Originale“, schreibt Dilly „(…) wuchs in den Fachkreisen in dem Maße, wie im allgemeinen das Reproduktionswesen zunahm, während sie bei den bloß Interessierten in entsprechendem Maße abnahm.“ Dilly 1995, S. 42.
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