Paradigmenwechsel im Museum – Fotografievorlage oder Plattform?

Was bringt der Paradigmenwechsel im Museum, den Wolfgang Ullrich vor einigen Wochen im Deutschlandfunk beschrieb? „Statt sich in die Betrachtung eines Werkes zu versenken“, schreibt er „wird es als Anregung begriffen, das eigene soziale Netzwerk zu pflegen, vielleicht auch als Herausforderung, ein besonders witziges, originelles, effektstarkes Foto davon zu machen und so Anerkennung bei denen zu finden, denen man es postet.“

Das Museum verkommt so bei Ullrich zu einer Fotografievorlage, einem Open-Source-Medium, dessen sich jeder bedienen kann, um Inhalte ins Netzt zu speisen. Ausstellungshäuser perfektionierten sich zunehmend für den Besucherblick durch die Kamera. Reproduktionen der eigenen Werke in den sozialen Medien würden von den Museen willkommen geheißen und sogar aktiv gefördert, um eine möglichst breite Masse an Besuchern zu erreichen. Im Subtext klingt Ullrichs Kritik an der Gleichmacherei an, die den Exponaten hierdurch widerfahre: In den sozialen Medien würden sie gleichwertig mit Bildern von schicken Autos und veganen Pizzen erscheinen.

Eine weniger kulturpessimistische Perspektive nimmt Peter Weibel in seinem Essay „Das Museum im Zeitalter von Web 2.0“ ein. Das Museum könne es durch die digitale Erweiterung schaffen, eine Form der Öffentlichkeit zu erzeugen, die sich jenseits des Kunstmarktes bewegt. In den Medien stellten nämlich die Sensationsmeldungen des Kunstmarktes das Museum in den Schatten und es könne nur noch durch Skandalisierung, Legendenbildung und Verzerrung die Aufmerksamkeit auf sich lenken. Dem könne das Museum entkommen, indem es offensiv die Möglichkeiten nutze, den „verzerrten Blick, den Medien und Markt auf die Kunst werfen“ zu entzerren.

Dies kann bei Weibel nur durch eine radikale Öffnung des Museums geschehen. Museen müssten die Chance ergreifen, sich in Plattformen zu verwandeln. Die digitale Erweiterung bedeute nicht die Erweiterung des Katalogs, sondern JEDE(R) müsste hier ihre/seine Kunst abstellen können. Der Besucher wird Kurator. Eine digitale Ausstellung zu kuratieren bedeutet somit, ein demokratisches Bollwerk gegen einen marktgesteuerten Kunstdiskurs zu errichten.

Welche Entwicklung die Museen verfolgen, ob sie sich zur Fotografievorlage oder zur Plattform transformieren, lässt sich noch nicht sagen. Manche Museen nutzen beide Wege wie z. B. das Frankfurter Städel Museum. Es bedient alle wichtigen Kanäle der Social Media (Twitter, Facebook, Instagram) und stellt gleichzeitig eine „Digitale Sammlung“ ins Netz, die einen alternativen und persönlichen Zugang zum Museum fördern will, der vom physischen Museumsbesuch abweicht (hierbei handelt es sich jedoch um eine Art der Plattform, bei der nur die Zugriffsart, jedoch nicht die Inhalte durch den digitalen Besucher frei gestaltbar sind). Einen Schritt weiter geht das Frankfurter Weltkulturenmuseum mit seinem jüngst entwickelten Projekt „Open Lab“. Registrierte Besucher können hier die Bearbeitung digitalisierter Inhalte aktiv mitgestalten.

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3 Antworten zu Paradigmenwechsel im Museum – Fotografievorlage oder Plattform?

  1. Dina Kollbach sagt:

    Schaut man den von Ullrich beschriebenen Hashtag #musepose an, so finden sich bei Instagram 1062 Bilder. Auffallend ist, dass bestimmte Kunstwerke immer wieder mit diesem Hashtag gepostet werden. So findet man die Skulptur „Air“ von Aristide Maillol, welche vor dem Getty Center in Los Angeles steht, mehrmals auf Instagram. Wenn man genau hinschaut, kann man den Grund dafür auf den Bildern finden: Auf den Treppenstufen vor der Skulptur ist ein Schild befestigt mit der Aufforderung ein #musepose Bild zu posten. Hier wird die Verbreitung von Kunstinhalten auf sozialen Netzwerken aktiv von Museumsseite gefördert.
    Zu sehen ist solch eine #musepose vor dem Getty Center hier: https://www.instagram.com/p/9PX03PLt0q/?tagged=musepose

    • mmeyer sagt:

      Am Schluss des Beitrags von Wolfgang Ullrichs heißt es, dass sich „der Status von Kunst verändert, dass sie zu einem Sujet unter vielen wird, mit dem in der Welt des Internet kommuniziert und soziales Kapital erzeugt wird“, ich denke so gravierend ist die Veränderung nicht die Ullrich hier sieht. Das Internet ist in unserer Zeit nun einmal ein nicht mehr wegdenkbares Kommunikationsmedium und das posten von Selfies vor Kunstwerken ist in einer fotogeilen Gesellschaft leicht zu erklären. Was noch lange nicht heißt, dass sich dadurch der Status von Kunst verändert, oft findet im Gegenteil eine Bestärkung der Tradition statt. Welche Kunstwerke werden am häufigsten mit einem Hashtag versehen? Die Stars des Kanons. Die teuersten Werke der letzten großen Auktion, die Must-have-seens der aktuellen Kunstmesse. Wunderbar lässt sich dieses Phänomen gerade jetzt unter dem Hashtag #monalisa ablesen, hier trifft La Joconde auf einen momentanen Liebling der Art Basel Miami Beach (https://www.instagram.com/explore/tags/monalisa/). Dies ist eine Weise sich über Kunst auszutauschen, was nicht bedeuten muss, dass damit tiefere Auseinandersetzung oder individuelle Kontemplation nicht mehr existieren. Peter Weibels Ansatz von 2007 klingt für mich hingegen etwas veraltet. Die Befürchtung, dass Markt und Medien eine Einheit bildeten, indem das Museum Gefahr habe zu bestehen, ist wohl veraltet. Welche/r Sammler/in lässt sein Werk nicht gerne als zwischenzeitliche Leihgabe adeln? Oder umgeht mit dem öffentlichen Engagement der langjährigen Leihgabe die Erbsteuer? Welche ernstzunehmende Galerie versucht nicht in irgendeiner Weise ein bestimmtes Kontingent an Werken eines Künstlers in ein öffentliches Museum zu bringen? Um den Marktpreis zu erhöhen, den allgemeinen Prestigewert zu steigern und vielleicht auch um dem alten Anspruch der Bewahrung für die Nachwelt gerecht zu werden. Und auch die Idee Weibels, dass jede/r Kurator/in sein könnte, hat sich wohl erübrigt in einer Zeit in der Curatorial Studies schon durch einen Master in Performance Curation ergänzt ist.
      (http://www.artandeducation.net/announcement/call-for-applications-low-residency-ma-in-performance-curation-at-the-institute-for-curatorial-practice-in-performance-icpp/) Um die Gleichsetzung von Kunst und veganen Pizzen weiter zu hofieren: Viele Menschen sind schon damit überfordert was sie kochen sollen, wie sollen sie selber im Stande sein auszusuchen, welche Kunst überhaupt erst ins Museum kommt?

  2. annabelru sagt:

    @ mmeyer: Bei deinem ersten Punkt gehe ich vollkommen mit. Die Angst, das Kunstwerk könne in den sozialen Medien zu etwas Alltäglichem verkommen und das Interesse am Museum schmälern, hat sich nicht erfüllt. „Je höher die Präsenz eines Kunstwerks in den Medien ist, je häufiger es gedruckt, hochgeladen oder gepostet wird, desto mehr nimmt beim Publikum der Wunsch zu, auch das Original zu sehen“, schreiben Julia Voss und Rose Maria-Gropp am 26.11.2015 in der FAZ (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/kunst/debatte-um-kunstmuseen-oeffentliche-sammlungen-13932039.html). Allerdings deutest du ja mit deinem #monalisa-Beispiel darauf hin, was stattdessen eintritt: Der Kunstmarkt zieht enorm viel Aufmerksamkeit auf sich. Wahrscheinlich ist der Kunstmarkt sogar DER maßgebliche Faktor, der momentan unsere Kunstwahrnehmung umwälzt. Es wird nicht nur ein neuer Kanon durch die hohen Marktpreise geschrieben wird, auch die öffentlichen Museen kommen gegen den Druck der Privatmuseen und Privatsammler nicht mehr an. Ein unglaublich schnelllebiger Ausstellungsbetrieb hat sich entwickelt, in dem die Museen um ihr Image konkurrieren. Nicht zuletzt deshalb, weil die Imagepflege das Haus attraktiv macht für Sammler wie du sie nennst. Sammler, die ihre Werke einige Jahre im Museum „parken“ um ihren Wert zu steigern. Das beschreibt doch gerade die Abhängigkeit der Museen, weshalb ich Weibels Kritik für sehr aktuell halte! Klar könnte man sagen, dass das Museum irgendwie systemrelevant für den Kunstmarkt ist, aber da die öffentlichen Mittel auf der anderen Seite wegbrechen und die privaten Mittel immer wichtiger werden, ist es mit der Autonomie der Museen genauso vorbei wie mit der Autonomie des Kunstwerks. (Das Symposiums „Grenzen des Wachstums“ hat die Frage diskutiert, inwiefern öffentliche Museen sich überhaupt dem Druck des Marktes beugen sollten: http://grenzendeswachstums.com/ ) Ich halte es deshalb für einen reizvollen Gedanken, dass die Museen dank der digitalen Erweiterung ein Stück weit diesem Druck entkommen können. So sehen es übrigens auch Voss und Gropp: „Womöglich kann die Digitalisierung zudem Alternativen zum überhitzten Ausstellungsbetrieb schaffen.“ Klar muss man unterscheiden, wo und wie Digitalisierung eingesetzt wird. Digitalisierung, die mir nur die technischen Mittel bereitstellt, um meine Kaffeetasse mit meinem Lieblingsmotiv zu bedrucken, will ich auch nicht…

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