Rezension des dänischen Romans „Judith Fürste“ von Adda Ravnkilde

Ein Gastbeitrag von Katharina Zech

Der Roman Judith Fürste von Adda Ravnkilde zählt zur Literatur des modernen Durchbruchs („det moderne gennembrud“) Ende des 19. Jahrhunderts in Dänemark. Das Leben der Autorin endete tragisch. Mit nur 21 Jahren beging sie Suizid und erlebte somit die Veröffentlichung ihrer Werke nicht mehr. Stattdessen wurden sie posthum bearbeitet und, im Falle von Judith Fürste, von Georg Brandes mit einem Vorwort versehen, editiert und herausgegeben. Adda Ravnkilde bewunderte Georg Brandes und er nahm die Rolle eines Mentors für sie ein. Brandes, der Literaturforscher und -kritiker war und an der Universität Kopenhagen lehrte, schuf mit seinem Werk Det moderne Gjennembruds Mænd (dt.: Die Männer des modernen Durchbruchs, 1883) den Grundpfeiler für den literarischen Aufbruch in die Moderne in Dänemark.
Erstmals im Jahre 1884 veröffentlicht, stellt Judith Fürste den einzigen Roman von Adda Ravnkilde dar. Eine deutsche Übersetzung von Mathilde Mann erschien 1888. Aus Ravnkildes Feder stammen außerdem zwei Erzählungen, En Pyrrhussejr (dt. Ein Pyrrhussieg) und Tantaluskvaler (dt. Tantalusqualen), gesammelt und herausgegeben unter dem Titel To Fortællinger (dt. Zwei Erzählungen, 1884).

Judith Fürste handelt von dem Leben der gleichnamigen Protagonistin. So beginnt der Roman mit einer bedeutungsvollen Szene zwischen Judith und ihrem Stiefvater, in der er ihr prophezeit, dass ihr störrisches Verhalten ihren Mitmenschen und ihr selbst nichts als Unglück bringen wird. Darauf folgt ein Einblick in Judiths Kindheit und die Jugendjahre ihrer Mutter. Diese war damals als Ballkönigin bekannt und heiratete später einen Leutnant, der jedoch bald darauf im dänisch-preußischen Krieg fiel. Judiths Mutter vergötterte ihren Ehemann zeit seines Lebens und auch noch über seinen Tod hinaus. Umso härter trifft es daher Judith, als ihre Mutter sie eines Tages vor vollendete Tatsachen stellt: Sie möchte erneut heiraten. Für ihre Mutter stellt die Liebe eine Notwendigkeit dar, was für Judith zu diesem Zeitpunkt noch völlig unverständlich ist. Dieses Ereignis stellt sich als prägend in Judiths Leben heraus, insbesondere für ihre eigene Ehe. Judith möchte sich mit dem Erbe, das ihr verstorbener Vater ihr hinterlassen hat, selbst ein unabhängiges Leben aufbauen und arbeiten gehen. Ihr Stiefvater möchte ihr es jedoch erst nach Erreichen der Volljährigkeit auszahlen. Während eines Aufenthalts auf dem Land lernt sie den Grundbesitzer Johan Banner kennen. Die beiden begegnen sich erneut bei einem Ball, und obwohl Judith eigentlich andere Pläne für ihr Leben hat, nimmt sie seinen Heiratsantrag an, weil sie akzeptieren muss, dass sie als alleinstehende Frau niemals genügend Geld verdienen würde, um Teil der feinen Gesellschaft zu werden. Außerdem sehnt sich Judith insgeheim nach Liebe.

Der Roman liest sich dank des flüssigen Stils der Autorin schnell. Oftmals werden wahre Gefühle eher angedeutet als explizit erwähnt und lassen sich zwischen den Zeilen erahnen. Ravnkildes bildhafte Sprache und Judiths eigenwilliger Charakter, dessen Entwicklung man gerne weiterverfolgt, erhalten die Lesefreude, selbst wenn die Handlung nur gemächlich voranschreitet. Zu Beginn des Romans verläuft diese nur langsam weiter und ist geprägt von Streit, der wiederholten Diskussion um das Erbe, Judiths Unzufriedenheit und Langeweile. Durch diese wiederkehrenden Schilderungen wird das Gefühl der Langeweile dem Leser sprachlich nähergebracht. Dafür nimmt die Handlung an Fahrt auf, nachdem einige Jahre vergangen sind und Judith ihr erstes Kind zur Welt bringt. Der Plot wird tragischer und ereignisreicher. Neue Figuren und daraus resultierende veränderte Charakterdynamiken lassen Spannung aufkommen und enthüllen neue Eigenschaften der Protagonisten. Judith und ihr Ehemann durchlaufen eine Wandlung, die durchaus nachvollziehbar ist und sie als Figuren interessanter erscheinen lässt. Judiths Handlungen und Gedanken rücken den ersten Teil des Romans in ein anderes Licht, was den zweiten Teil und das Ende umso packender gestaltet. So sieht sie zum Beispiel ein Foto von Banner, das ihn als jungen Mann zeigt, was dazu beiträgt, dass sich ihre Einstellung zu ihm wandelt.

Die Figuren sind psychologisch sehr interessant und werden gut dargestellt, was es dem Leser leicht macht, sich in sie hineinzuversetzen. Gerade Judith als Romanheldin macht auch Fehler und ist in ihren Handlungen nicht immer die Sympathieträgerin, was sie zusätzlich realistisch wirken lässt. Der Roman beleuchtet außerdem Themen, die für uns auch heute noch von Relevanz sind, u.a. die Rolle der Frau in der Gesellschaft, soziale Machtgefälle, der Verlust von geliebten Menschen, Depressionen und Suizid. Darüber hinaus ist es sehr spannend zu lesen, wie das Leben in Dänemark Ende des 19. Jahrhunderts geschildert wird und mit welchen Limitationen und Möglichkeiten Frauen konfrontiert wurden.
Judith Fürste ist ein Klassiker, der es definitiv wert ist, wiederentdeckt und gelesen zu werden. Besonders empfehlenswert ist er für alle, die bereits Fan der Literatur des 19. Jahrhunderts sind oder sich für Frauenschicksale interessieren. Mit nur 21 Jahren gibt die Autorin bereits einen beeindruckenden Überblick über die Rolle der Frau in der dänischen Gesellschaft ihrer Zeit und porträtiert gekonnt die Lebensphasen und Beziehungen ihrer Romanfiguren.

Infobox:
Der Roman ist als Digitalisat in dänischer und deutscher Fassung auf der Webseite der Dänischen Königlichen Bibliothek (Det Kgl. Bibliotek) frei zugänglich.
Link zum dänischen Original: https://soeg.kb.dk/permalink/45KBDK_KGL/143rgf3/alm a99122024248405763
Link zur deutschen Übersetzung: https://soeg.kb.dk/permalink/45KBDK_KGL/143rgf3/alm a99122282381205763
Diese Rezension ist bereits in Ausgabe Nr.8 des Institutsmagazins Von A bis Å im Sommersemester 2024 erschienen.
Link zur Ausgabe: https://www.uni-frankfurt.de/152614422.pdf

Über die Autorin: Katharina Zech absolvierte ihren Abschluss im Bachelor Skandinavistik als Hauptfach, mit Nebenfach Japanologie, im Sommersemester 2023 an der Goethe-Universität Frankfurt und studiert dort seitdem auch Skandinavistik im Master. Sie ist Teil der Fachschaft und Mitglied im Redaktionsteam des Institutsmagazins. Katharina interessiert sich besonders für mittelalterliche Literatur und die des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ihre Freizeit verbringt sie gerne mit einem guten Buch und einem Kaffee oder Tee.

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