5 Jahre nach Corona: Ist der Mensch doch kein Gewohnheitstier?

Von Rebecca Jakobi – Master-Absolventin der Skandinavistik in Frankfurt

Letztens musste ich Speicherplatz auf meinem Handy schaffen und habe dabei einige Apps entfernt, die ich schon lange nicht mehr benutzt hatte. Eine dieser Apps war die Corona-Warn-App, die im Jahr 2020 entwickelt wurde und nachverfolgte, ob man mit einer COVID-infizierten Person Kontakt hatte. Später ließen sich auch Impfzertifikate darin anzeigen. Seit dem 1. Mai 2023 wird die App nicht mehr betrieben, ich hätte sie also schon vor zwei Jahren deinstallieren können. Allein der Gedanke an diese App brachte weitere Erinnerungen mit sich: Warnmeldungen auf dem Handy, Testergebnisse, Impftermine, das regelmäßige Überprüfen der aktuellen Inzidenz und der damit einhergehenden wechselnden Verhaltensregeln. Mit wie vielen Personen aus wie vielen Haushalten durfte man sich jetzt noch gleich treffen? Welche Geschäfte hatten geöffnet, welche nicht? Was waren die aktuellen Virusvariantengebiete? Biontech, Moderna, Astra Zeneca … 3G, 2G, 2G+ … FFP2-Maske oder doch nur die Stoffmaske? Je länger ich nachdachte, desto mehr Begriffe kamen mir wieder in den Sinn. Kontaktsperre, Lockdown, erst Delta, dann Omikron. Gleichzeitig wurde mir bewusst, wie lange all das schon wieder her ist. Oder besser gesagt: Wie lange her es sich anfühlt. Eigentlich sind fünf Jahre keine besonders lange Zeit. Doch jetzt in diesem Moment, während ich auf dem Sofa sitze und diesen Text schreibe, scheint die Coronazeit weit in der Vergangenheit zu liegen – obwohl in Deutschland erst vor etwas über zwei Jahren die Maskenpflicht aufgehoben wurde. Wie war das nochmal, als alles anfing?

Am 9. März 2020 war ich mit zwei Freundinnen verabredet. Wir backten einen Baumkuchen und redeten währenddessen unter anderem über dieses neue Virus, das in den Nachrichten allmählich immer öfter Thema war. Keine von uns schätzte das Ausmaß damals richtig ein. Ich ging davon aus, dass man in ein paar Wochen in Europa nichts mehr davon hören würde, so wie früher bei der Vogelgrippe und bei Ebola. Wenige Tage später, am 13. März, wurden dann die ersten offiziellen Maßnahmen in Deutschland verkündet. Ich war an diesem Nachmittag bei meinen Eltern, wir sahen die Pressekonferenz der hessischen Landesregierung live im Fernsehen. „Staatsfernsehen“, murmelte meine Schwester. Wir wussten, die Situation war ernst, aber gleichzeitig wirkte sie absurd. Unsere Mutter, von Beruf Grundschullehrerin, stieß einen schockierten Laut aus, als verkündet wurde, dass die Schulen bis zu den Osterferien geschlossen bleiben würden. Spätestens da war klar, dass Corona auch in ein paar Wochen noch eine Rolle spielen würde. Vor 2020 hatte ich bei dem Wort „Pandemie“ als erstes an Zombieapokalypsen gedacht. Jetzt gab es auf einmal eine echte Pandemie, und die Assoziationen beim Hören des Wortes änderten sich schlagartig.

Ähnlich schlagartig verliefen die Anpassungen. Im April kam die Maskenpflicht; in diesem ersten Jahr der Pandemie wurden in Deutschland vor allem Stoffmasken getragen. Anfangs fühlte es sich noch komisch an, aber innerhalb überraschend kurzer Zeit wurde es normal für mich. Auch andere Veränderungen wurden recht schnell zur Gewohnheit: Virtuelle Meetings an der Uni, Online-Treffen mit Freunden, Verzicht auf Aktivitäten wie Kino- oder Restaurantbesuche. Es war die Zeit, in der alle möglichen Menschen Animal Crossing spielten, stricken lernten, Brot backten und spazieren gingen. Ehrlicherweise habe ich in dieser Phase gar nichts neues gelernt oder für mich entdeckt. Computerspiele hatte ich auch vorher schon gerne gespielt, Spaziergänge gehörten ebenfalls schon seit jeher zu meinen typischen Freizeitaktivitäten. Insofern ist es doch gar nicht so verwunderlich, dass ich mich schnell anpassen konnte. Sogar meinen Job hatte ich schon vorher vollständig im Home Office ausgeübt, und geisteswissenschaftliche Studiengänge ließen sich leichter auf online umstellen als zum Beispiel naturwissenschaftliche, die Laborarbeit erforderten. In der Hinsicht hatte ich es wirklich leicht. Am schlimmsten fand ich (neben der Tatsache, dass der Eurovision Song Contest abgesagt wurde) aber die Ungewissheit. Niemand wusste, wie lange die Pandemie dauern und wie sie sich entwickeln würde. Die Impfstoffe gab es noch nicht, man hörte von den steigenden Todeszahlen und ich hatte auch wirklich Angst davor, mich zu infizieren und vielleicht zu sterben – obwohl es hieß, junge Leute ohne Vorerkrankungen seien keine gefährdete Gruppe. Auch vor Treffen „in Person“ machte ich mir jedes Mal Sorgen, zur Verbreitung des Virus beizutragen, und verurteilte es gedanklich, wenn ich fremde Menschen sah, die sich in größeren Gruppen trafen. Es war eine seltsame Zeit, doch gleichzeitig wurde das Seltsame normal. Es war eine Zeit, in der die eigene Anpassungsfähigkeit auf die Probe gestellt wurde.

Malen nach Zahlen war eine meiner Lieblingsaktivitäten während Corona.
Das Computerspiel Valheim erschien Anfang 2021 und prägte „meine“ Coronazeit sehr.

Im Grunde zog sich das durch die gesamte Coronazeit. Immer wieder änderten sich die Regeln, immer wieder änderte sich auch die persönliche Auslegung der Regeln. In den Sommermonaten wurden persönliche Treffen allgemein mehr akzeptiert als im Winter. „Wir können ja lüften“, hörte man in diesen Phasen sehr oft. „Wir sind ja alle getestet“ oder später: „Wir sind ja alle geimpft“. Anfangs war es eine große Sache, wenn jemand tatsächlich Corona bekam, inzwischen hatte es fast jeder mal, viele sogar mehrfach. Ich erinnere mich, dass wir Ende 2021 ein lang ersehntes persönliches Treffen mit Freunden absagten, bloß weil einer von uns Kontakt mit einer infizierten Person gehabt hatte. Ein Jahr später hätten wir wahrscheinlich nicht mehr so gehandelt, sondern nur auf das Treffen verzichtet, wenn einer von uns selbst infiziert gewesen wäre. Die Anpassungen verliefen auch hier relativ schnell.

Zuvor hatte ich immer gedacht, ich wäre eine Person, die sich mit Veränderungen schwertut, doch in der Coronazeit kristallisierte sich das Gegenteil heraus. Auch als die Maßnahmen wieder gelockert wurden, zuletzt Anfang 2023 mit der Aufhebung der Maskenpflicht, hätte ich gedacht, es würde lange dauern, bis ich mich wieder daran gewöhne. Dann war das Bahnfahren ohne Maske aber schon beim zweiten Mal wieder normal. Viele Gewohnheiten stellten sich einfach wieder um.

Auf der anderen Seite fällt mir aber auch auf, dass ich einige angepasste Verhaltensweisen beibehalten habe – und da bin ich nicht die Einzige. Es sind die Dinge, die man rückblickend betrachtet als die positiven Aspekte der Coronazeit hervorheben könnte. Heute finde ich es seltsam, dass ich mich vor 2020 nie online mit Freunden verabredet habe. Mit mehreren Leuten mache ich das jetzt immer noch jede Woche. Wer weiß, ob wir ohne diese frühzeitige Anpassung nicht mit dem Ende des Studiums den Kontakt verloren hätten?
Gerade Deutschland wurde durch die Coronazeit auch zu mehr Digitalisierung gezwungen. Mittlerweile können die meisten Bürojobs zumindest teilweise von zu Hause aus ausgeübt werden. Auch in meinem Job ist das möglich und bringt mir durch den ausbleibenden Pendelweg zwölf zusätzliche Stunden Freizeit pro Woche ein.
Außerdem beobachte ich auch heutzutage manchmal Menschen in den öffentlichen Verkehrsmitteln, die, obwohl es keine Maskenpflicht mehr gibt, Maske tragen. Wenn ich das sehe, denke ich, sie sind vielleicht erkältet und wollen niemanden anstecken. Ich nehme es als rücksichtsvoll wahr. Generell ist ein größeres Bewusstsein dafür entstanden, wodurch sich ansteckende Krankheiten verbreiten – nicht nur Corona. Heute wird es mehr akzeptiert, wenn man wegen einer Erkältung zu Hause bleibt.

Der Mensch scheint also nicht nur anpassungsfähiger als gedacht zu sein, sondern sogar dazulernen zu können. Zumindest manchmal. Ein bisschen.

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