Ein Gastbeitrag von Hanna Göbel
Siebeneinhalb Jahre Studium – 15 Semester…
Es ist seltsam, auf diese Zahl zu schauen, denn irgendwie fühlen sich diese siebeneinhalb Jahre länger an – und irgendwie auch kürzer.
Ich bin direkt nach dem Abitur an die Uni: voller Erwartungen, voller Hoffnung, voller Lerneifer. Ich hatte mich für die skandinavische Literaturwissenschaft entschieden, weil mich Sprachen interessierten, doch im Studium stellte ich fest, wie gerne ich mich auch mit Literatur beschäftige. Für mein Umfeld war das vermutlich weniger überraschend als für mich selbst, denn ich war schon immer die Leseratte meiner Familie und hatte in der Schule Deutsch und Englisch als Leistungskurs gewählt.
Ich war immer jemand, der weit voraus plant und die Sicherheit, die das mit sich bringt, braucht. Über ein Jahr vor meinen Abiturprüfungen entschied ich mich dazu, Skandinavistik in Frankfurt zu studieren. Es fühlte sich damals einfach richtig an; ich wollte die Sprachen lernen, ich habe einen Hang zu Nischenthemen, die mich von anderen abgrenzen, und ich musste nicht weit von meiner Familie wegziehen. Mit der Aussicht auf viele Auslandsaufenthalte – mit 18 hatte ich da sehr romantisierende Vorstellungen von – wollte ich nicht allzu weit von Zuhause wegziehen.


Am Ende wurde es nur ein Auslandsaufenthalt, denn ganz so einfach, wie das ERASMUS-Programm es verspricht, ist es dann doch nicht. Die Zuschüsse reichen häufig gerade für die Miete und viele Studierende müssen Geld ansparen und/oder noch weitere Fördermittel beantragen. Dazu kam die logistische Herausforderung, mein WG-Zimmer aufzugeben, meine Sachen für mehrere Monate unterzubringen und mit dem Zug – also nur begrenztem Gepäck – nach Dänemark umzuziehen. Damit will ich niemandem von einem Auslandssemester abhalten, ganz im Gegenteil: Der Aufwand lohnt sich! Meine finanzielle Situation ließ einen weiteren Auslandsaufenthalt und eine damit einhergehende Verzögerung meines Studienabschlusses jedoch nicht zu.


Zugreisen unter Corona
Und dann war da natürlich noch Corona… Ich war noch in Dänemark, als die ersten Nachrichtenberichte kamen. Und dann ging es irgendwie ganz schnell: Von heute auf morgen wurden alle Bildungseinrichtungen geschlossen und mit der Aussicht, die nächsten drei Monate alleine in meinem Wohnheimzimmer zu sitzen (meine Mitbewohnerin war Corona-bedingt in die USA zurückgereist), entschied ich mich, den Aufenthalt vorzeitig abzubrechen. Dann musste ich nur noch innerhalb von wenigen Tagen mein Wohnheimzimmer leerräumen, Lebensmittelvorräte spenden, Koffer packen, einen Weg über die eigentlich geschlossene Grenze finden und schließlich mit zwei Koffern, zwei großen Taschen und einem Rucksack dreizehn Stunden Zug fahren, dabei dreimal umsteigen (viermal, wenn man die Straßenbahnfahrt zum Bahnhof mitzählt) und mich von einem Schaffner in Fredericia scherzhaft fragen lassen, ob ich etwa umziehe („Skal du flytte?“), was ich wohl eher hysterisch lachend mit „Ja!“ beantwortete. Noch heute habe ich viele Einzelheiten dieser Zugfahrt genauestens im Gedächtnis. Zum Beispiel die angekündigten Grenzkontrollen, die letzten Endes daraus bestanden, dass ein Polizist an der Zugtür stand, als der Zug in Flensburg hielt, und beim Aussteigen der Passagiere Ausweise kontrollierte. Oder, dass ich die einzige Person im ICE-Waggon von Hamburg nach Frankfurt war und deshalb irgendwann meine Musik ohne Kopfhörer gehört habe. Ich sehe mich bei dieser Zugfahrt immer mit Maske, dabei wurde die Maskenpflicht erst später eingeführt…
Von Goethe zu Schiller und wieder zurück
Fast zwei Jahre vor meinem Bachelor-Abschluss entschied ich mich für einen Master. Durch Zufall hatte ich den Master Deutsch als Fremd-/Zweitsprache an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena gefunden und wusste sofort: DAS ist es. Und somit war mir noch in meinem Auslandssemester in Dänemark klar, dass ich eineinhalb bis zwei Jahre später nach Jena ziehen würde.


Ich bin auch nach Jena gezogen und der Studiengang war das Richtige für mich – nur leider nicht berufsperspektivisch und schon gar nicht unter Corona-Bedingungen. Ich fand den Studieninhalt super interessant, besonders die Aspekte der Didaktik und Unterrichtsplanung. Ich konnte bereits im ersten Semester Praxiserfahrungen sammeln, ich fand schnell Anschluss bei Kommiliton*innen und verliebte mich in die Stadt. Aber nach zwei Jahren Online-Studium (2020-2022) waren meine Batterien leer und die Berufsperspektiven mit dem Studium waren nicht das, was ich mir erhofft hatte. Und so musste ich nach nur einem Jahr Jena schweren Herzens wieder verlassen.
Das schwierigste an dieser Phase war für mich das Eingeständnis, eine für mich falsche Entscheidung getroffen zu haben. Das mag für viele seltsam klingen, aber bisher hatte ich mich immer auf mein Bauchgefühl verlassen können, alle großen Entscheidungen, die ich bis dahin getroffen hatte, hatte ich aus dem Bauch heraus getroffen und es war immer aufgegangen. Rückblickend siegt hier die Erkenntnis, dass es nicht falsch war, nach Jena zu gehen, sondern dass es ein Umweg war, den ich brauchte. Ich habe viel gelernt in diesem Jahr, über das Leben, über die Welt, aber vor allem über mich selbst. Ich glaube auch, dass ich unter anderen Umständen – z. B. ohne Corona – dieses Studium nicht abgebrochen hätte.
Und so führten meine Wege nach einigen Überlegungen schließlich wieder zurück nach Frankfurt an die Goethe-Universität, wo ich einen Master in der Vergleichenden Literaturwissenschaft begann. Mein Studienfokus lag offiziell auf deutscher Literatur, tatsächlich war es dann aber eher die dänische, was der komparatistische Blickwinkel zum Glück zuließ. Mit der Rückkehr nach Frankfurt fand ich auch meinen Weg ans Schreibzentrum, wo ich insgesamt zwei Jahre als Peer Tutorin arbeitete. Dieser Job brachte mich auf die Idee, als Lektorin zu arbeiten, doch auch der Plan verflüchtigte sich nach einer Weile – nicht zuletzt, weil es unglaublich schwer ist, Praktika zu bekommen, und ich es mir letztendlich auch nicht leisten konnte, für drei Monate auf mein Einkommen zu verzichten, um ein unbezahltes Praktikum zu machen.
Als ich mein Studium begann, wusste ich noch nicht, was danach kommen würde. Die Frage, die ich – und sicherlich alle Geisteswissenschaftler*innen – am häufigsten gestellt bekam, war: „Und was macht man dann damit?“ Ich hatte das große Glück, dass meine Eltern mir Zeit gaben, die Antwort auf diese Frage zu finden. Und allen Studierenden der Geisteswissenschaften kann ich sagen: So ganz weiß ich das noch immer nicht, obwohl ich mein Masterzeugnis in der Hand halte. Was ich weiß, ist, was ich die nächsten Monate damit machen werde, aber alles danach steht noch in den Sternen.
Ich habe lange gedacht, dass ich Lehrerin werde, dann Übersetzerin, dann wieder Lehrerin, dann Lektorin. Natürlich habe ich auch mit dem Gedanken gespielt, in der Literaturwissenschaft zu forschen und zu promovieren, doch bisher hat sich das für mich nicht richtig angefühlt. Erst einmal bleibe ich am Schreibzentrum, wo ich mich sehr wohl fühle und meinen Interessen für das Schreiben und die Lehre nachgehen kann. Tatsächlich überlege ich auch, mich auf einem zweiten Standbein selbstständig zu machen. Doch jetzt liegt der Fokus zunächst mal darauf, im Berufsleben anzukommen und mir die Zeit zu nehmen, mich von meiner Studienzeit zu verabschieden.
Ohne zu wissen, was in den nächsten Jahren auf mich zukommt, schaue ich relativ entspannt in die Zukunft. Neben allem Inhaltlichen hat mein Studium mich vor allem gelehrt, abzuwarten und das Leben geschehen zu lassen. Meistens fügen sich die Dinge von allein.
Über die Autorin: Hanna Göbel hat vier Jahre bei Kulturkiosk mitgearbeitet. Im März 2025 schloss sie ihr Literaturstudium mit einem Master ab. Seit April 2025 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Schreibzentrum der Goethe-Universität.