Von allen bisherigen Themen im opco12 ist interessanterweise das trockenste dasjenige, das die meisten Emotionen zu wecken scheint: Learning Analytics (LA), d.h. massig Daten sammeln und aufarbeiten mit der Intention, die Lehr- und Lernsituation zu verbessern – im kleinen (sprich beim einzelnen Lernenden) wie im großen (sprich in einer Institution, einer Richtung etc.).
Die Definition klingt unschuldig und nach großer Chance, doch taucht in vielen Beiträgen das Wort vom “Bösen” im selben Absatz auf. Falls dieses Wort im Zusammenhang mit Tablets, Game-based Learning oder Mobile bereits genannt wurde, dann ist es mir entgangen.
Was löst diese Aversion aus?
- Ist es die Erfahrung, dass bisherige Programme dieser Art (es wurde z.B. das “programmierte Lernen” angesprochen) auch unter großen Erwartungen starteten, aber recht schnell für Desillusion sorgten?
- Ist es die Überzeugung, dass nur eine leibhaftige Lehrperson mit Erfahrung die richtigen Schlüsse aus dem aktuellen Leistungsstand seiner Schützlinge ziehen kann und diese Schlüsse durch die LA-Ergebnisse in Frage gestellt bzw. womöglich ersetzt werden?
- Ist es das ungute Gefühl, selbst als Lehrperson geprüft zu werden? Von einem undurchsichtigen Apparat als “unter dem Durchschnitt liegend” und damit förderungsbedürftig disqualifiziert zu werden? Ausselektiert zu werden?
- Ist es die Ahnung, dass die Auswertungskriterien als entscheidender Faktor für das Ergebnis von anderen als pädagogischen Gedanken geprägt werden? Und die Ergebnisse für bare Münze genommen und entsprechend das Ruder schwungvoll in eine katastrophale Richtung geworfen wird?
Die Aufzählung von möglichen Gründen ist bei weitem nicht vollständig. Und wahrscheinlich ist es jeweils auch eine Mischung von Gründen, die das ungute Gefühl nähren.
Jetzt gibt es im Grunde genommen zwei Arten, mit nebulösen unguten Gefühlen umzugehen: Die eine ist, den vermeintlichen Verursacher zu verteufeln und ihm so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Die zweite ist, in den Nebel einzudringen, sich Klarheit zu verschaffen und die Dinge so weit möglich im positiven Sinne zu beeinflussen. So manches Gespenst hat auf diese Weise seinen Schrecken verloren (man erinnere sich an Snape in Großmutters Kleidern (-: ).
Im Chat fiel die Bemerkung, dass ja nicht nur die von LA profitieren könnten, die als schwächer identifiziert werden, sondern auch die, die besonders schnell die geforderte Kompetenz erlernt haben (die “Hochbegabten”). Als Antwort kam – sinngemäß – “Dann werden die armen Hochbegabten auch noch mit LA gequält.” LA wird also mit Qual gleichgesetzt, die man allerhöchstens denen zumuten kann, die sonst nicht zu Potte kommen. Schade eigentlich!
Schade, nicht nur weil hier eine negative Emotion mit einer Technik verbunden wird, noch ehe man ihr Potenzial wirklich erkundet hat. Schade auch, dass das mögliche Potenzial sogleich auf die Förderung der Schwächeren reduziert wird, anstatt das Potenzial für alle Lernenden zu erkunden.
Ich will hier keine kritiklose Lanze für die LA brechen, aber es ist mit LA wie mit Beton: Es kommt darauf an, was man draus’ macht. Es scheint mir lohnender, sich intensiv über die richtigen Auswertungskriterien zu streiten, als über den Sinn und Unsinn einer Technik, die wohl eh nicht aufzuhalten ist. Denn hinter den LA im Großen steht das drängende Problem der Ressourcenknappheit, sprich Geld. Und wo immer Geld im Spiel ist, senkt sich die Waage über kurz oder lang in die Richtung des Instrumentes, dass Einsparungen oder – euphemistisch gesagt – den Outcome-orientierteren Einsatz von Ressourcen verspricht.
In diesem Sinne lautet mein Appell: Wenn es nicht die Pädagogen sind, die die Auswertung von Lerner-Daten als ihren ureigenstes Terrain für sich erobern, dann schaut’s in der Tat düster aus um die LA.
Deshalb: Nur Mut und auf sie mit Gebrüll!
