Adolf Behnes „Das reproduktive Zeitalter“ – Gestern und Heute

Wo Hermann Grimm (1828-1901) die in ein Lichtbild übersetzte Materialität eines Artefakts für seine Lehre und Kanonisierung der Großen Meister der Kunstgeschichte begrüßt, können wir mit Adolf Behnes (1885-1941) Beitrag »Das reproduktive Zeitalter« von 1917 eine kritische Stimme im Kontext der fotografischen Reproduktionen vernehmen. Behne, der ab 1907 unter anderem bei Wölfflin studiert, positioniert sich deutlich oppositionell zum „photographischen Kasten“ und dessen Produkten, den „Rechtecken“. In seinem Text klingen bereits Walter Benjamins rund 20 Jahre später formulierte Argumente an.

Das Runde muss ins Eckige – Rechteck und Beschneidung

Als problematisch erkennt Behne in dem rechteckigen Format der Reproduktionen den Verlust, die Beschneidung und damit verbundene Verfremdung des abgebildeten Kunstobjekts. Gilt seine Kritik in einem ersten Argumentationsschritt den Reproduktionsfotografen und ihrer unsauberen und mutwilligen Arbeit, wendet sich Behne im nächsten dem Kunsthistoriker zu. Obgleich dessen kunstwissenschaftliche Arbeiten in Publikationen den Anspruch auf Genauigkeit erheben, sei gegenüber den begleitenden Reproduktionen ein „kritikloses, müdes Vertrauen in die Technik“ erkennbar: dann nämlich, wenn die Fehlstellen nicht erkannt würden.

Zu unterscheiden gilt es an dieser Stelle, auf welche Art der Publikation sich Behne bezieht. Die von ihm besprochenen „Klassiker der Kunst“, eine Serie von Künstlermonographien, setzt als eigenständige Publikation nicht die Auseinandersetzung beziehungsweise Korrektur etwaiger Fehlstellen mit und vor dem Original voraus. Die Reproduktionen werden so zum »Ist-Zustand« des Originals und werden Teil eines – mitunter fehlerhaften – Bildgedächtnisses.

Oskar Fischels Beitrag

Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgt Oskar Fischel (1870-1939) 1912 in „Die Meisterwerke des Kaiser-Friedrich-Museums zu Berlin“. Der Anspruch dieser Publikation wird gleich im ersten Satz des Vorworts versprachlicht:

„Der Text dieses Buches ist geschrieben, um in der Galerie vor den Bildern gelesen zu werden.“

Der Aufbau folgt diesem Credo: Textteil und Bildteil sind voneinander getrennt, das Lesen des Texts und der unmittelbare Nachvollzug im Bild ist nicht intendiert. Zusätzlich zu dieser Trennung von Bild und Text werden dann auch die Bilddaten gesondert organisiert, eine ganzheitliche Erschließung des Werks im Buch ist damit erschwert. Die Beschreibungen Fischels gehen zudem detailliert auf das Kolorit und die durch die Farbigkeit evozierte Atmosphäre im Bildraum ein. Im Buch erscheinen uns aber schwarz-weiß Abbildungen, wodurch das Studium vor Ort erforderlich wird.

Was Fischel mit dieser Publikation verdeutlicht, ist die Tatsache, dass eine direkte ästhetische Erfahrung nur durch die Präsenz des Originals und im direkten Studium desselbigen möglich sei. Der Katalog wird nicht zum Substitut der in ihm abgebildeten Kunstgegenstände. Anders als Behne entzieht er sich in seiner Publikation aber nicht den fotografischen Reproduktionen. Denn dieser fordert:

„Wir müssen die Herrschaft der Technik abschütteln. […] [P]rimitiv [werden und uns] auf die Welt des Erlebens beschränken.“

Fischel würde in diesem Kontext wohl dem Studium der Originale die gleiche Bedeutung beimessen und den von Behne formulierten Appell an seine Kollegen im Umgang mit Reproduktionen mittragen, sich aber weniger der Technik als solches verweigern.

Vom Gestern ins Heute

Behnes Aufforderung an uns Kunsthistoriker_innen, bewusst und kritisch mit Reproduktionen umzugehen, verliert seine Gültigkeit auch rund 100 Jahre nach dem Erscheinen des Artikels nicht. Denn wo die fotografische Reproduktion vieles vereinfacht, die Lehre maßgeblich bestimmt und unser Bildgedächtnis mit formt, sollten wir, Behne im Hinterkopf, das Studium vor dem Original nicht vergessen.

 

 

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