Nun, wir wissen also alle, dass es gesund ist, raus in die Natur zu gehen. Was oft nicht mitbedacht wird, ist, dass viele Menschen aus verschiedenen Gründen keinen einfachen Zugang dazu haben. Menschen, die in Großstädten leben, können oft nicht ohne größeren Zeitaufwand in den Wald gehen. Auch haben die meisten kein Auto, sodass der Weg in die Natur schon eine Herausforderung darstellen kann, insbesondere da öffentliche Verkehrsmittel in Pandemiezeiten nicht die entspanntesten und sichersten Orte sind. Kostet der Weg hin und zurück einen mehr Energie, als man dort regeneriert, geht die Rechnung nicht auf. Ein Aspekt ist also, wie viel Zugang man überhaupt hat, in räumlicher und finanzieller Dimension.
Ein anderer Aspekt ist psychischer Natur. Wie bereits erwähnt, befinden wir uns in einer Bedrohungssituation und die meisten von uns verspüren Angst. Für Menschen, die vorher schon viel mit Angst zu tun hatten, ist die Situation meist besonders belastend. Der Umgang mit psychischen Erkrankungen hat viel mit Struktur und Gewohnheit zu tun, die für viele plötzlich weggefallen sind. Es kann sich so anfühlen, als seien alle Erfolge, die man sich erarbeitet hat, einfach weg. Da greift der Ratschlag „einfach rauszugehen“ einerseits viel zu kurz und wirkt oft nicht sehr empathisch, andererseits ist rausgehen für viele in dieser Situation sehr angstbehaftet und nicht entspannend. Muss man dafür dann noch mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, wird es oft unmöglich. Auch spielen widersprüchliche Aussagen gegebenenfalls eine Rolle: Einerseits soll man unbedingt zu Hause bleiben, andererseits aber raus in die Natur gehen, aber nur alleine und am besten nicht mit dem Bus… man bekommt, gerade in der Stadt, schnell das Gefühl, dass man es nicht richtig machen kann und irgendwie fühlt sich alles unverantwortlich an.
Ich habe keine Lösungen für diese Probleme. Ich möchte aber gern mit euch teilen, was mir geholfen hat und immer noch hilft. Nämlich: die Kleinigkeiten. Sie lösen die Probleme nicht, doch sie machen sie etwas angenehmer. Ein paar Minuten am Tag können schon zu etwas besserem Wohlbefinden beitragen und man kann auch noch stolz darauf sein, trotz allem etwas für sich getan zu haben. Vielleicht spricht dich ja das Eine oder Andere an!
1. Frische Luft
Wie wäre es, frische Luft zu einem Ritual zu machen? So könnte man zum Beispiel direkt nach dem Aufwachen erstmal das Fenster ganz öffnen und 5 Minuten liegen und darauf achten, wie die Luft riecht und wie sie sich auf der Haut anfühlt. Doch auch zwischendurch kann frische Luft viel bringen. Besonders wenn man merkt, dass gerade etwas nicht stimmt oder die Konzentration weg ist – das Fenster öffnen und ein paar tiefe Atemzüge nehmen. Luft ist Natur und Luft ist überall – so kannst du sie einfach zu dir reinholen.
2. Pflanzen
Pflanzen in der Wohnung zu haben bringt ein bisschen Draußen nach Drinnen. Sie sehen hübsch aus, fühlen sich schön an und es macht Spaß, sich um sie zu kümmern. Sie wachsen zu sehen kann so schön sein! Besonders wenn man sie selbst gepflanzt hat, ist der Effekt deutlich spürbar. Aus einem winzigen Samen einen frischen Keim kommen zu sehen, aus dem dann eine ausgewachsene Pflanze wird, gibt irgendwie Hoffnung und kann daran erinnern, dass es Zeit braucht, damit Dinge wachsen können. Pflanzen können einem auch helfen, Gewohnheiten zu etablieren (gießen) und selbst daran zu wachsen, dass man sich um etwas kümmert.
3. Lebensmittel
Ein typisches Beispiel für Selbstfürsorge ist sicherlich kochen. Doch auch ohne aufwändige Vorgänge können Lebensmittel helfen. Versuche, es mit allen Sinnen wahrzunehmen: Wie fühlt es sich an? Wie riecht es? Strahlt es Wärme oder Kälte ab? Wie fühlt sich die Textur im Mund an? Und natürlich: wie schmeckt es? Schmeckt es genauso wie immer, gibt es Unterschiede? Dafür muss man keine Stunde am Herd stehen, denn das geht auch mit einer Gurke. Man glaubt gar nicht, wie besonders so ein Stück Gemüse werden kann, wenn man ihm seine volle Aufmerksamkeit widmet. Die Gurke kommt aus einem kleinen Samen, der mit Wasser, Licht und Erde eine ganze Weile gewachsen ist und irgendwann Früchte getragen hat – die du jetzt essen kannst. Jedes Stück Nahrung ist auch Natur, genauso wie du selbst Teil der Natur bist.
4. Wasser
Wasser ist Leben. Nimm dir ein Glas Wasser und überlege mal: Es ist seit mindestens 3,8 Millionen Jahren auf der Erde. Wow! Wo dieses Glas Wasser wohl schon überall gewesen sein könnte? Es befindet sich in einem stetigen Kreislauf und bedeckt 70% unseres Planeten. Erinnert schon ein bisschen an Menschen, oder? Erwachsene Menschen bestehen zu ca. 60-70% aus Wasser und es spielt bei fast allen Vorgängen im Körper eine tragende Rolle. Macht man sich all das bewusst, entdeckt man vielleicht neue Dankbarkeit für diese besondere Ressource. Erinnere dich hin und wieder beim Trinken daran, dass es dir Energie gibt und du deinem Körper, und damit auch deinem Geist, etwas Gutes tust.
5. Kleine Schätze
Was Sammeln angeht, bin ich vielleicht etwas speziell, doch eine kleine Sammlung persönlicher Schätze ist allen zu empfehlen. Such dir ein nettes Behältnis, vielleicht eine kleine Truhe, oder eine offene Schale – wie es dir am besten gefällt. Darin kannst du kleine Schätze sammeln, die dich an schöne Erlebnisse erinnern. Vielleicht eine Muschel vom Strand im Urlaub, oder eine gepresste Blume aus Omas Garten, es kann aber auch einfach eine Kastanie vom letzten Spaziergang sein – was auch immer du möchtest. Hauptsache sie lösen positive Gefühle aus, die dich auch in schwierigen Zeiten daran erinnern, dass es schon bessere Zeiten gab und dass auch wieder bessere Zeiten kommen. Denn das tun sie.
Zum Abschluss: wie wäre es mt einem Dankbarkeitstagebuch, um deine Eindrücke aus den obigen Dingen festzuhalten? Such dir ein kleines Notizbuch und schreibe rein, wofür du dankbar bist. Zum einen findet man meist auch an schlechten Tagen etwas, wofür man dankbar ist (siehe Punte 1 – 5), zum anderen kann man in schweren Zeiten immer wieder reinschauen und sich daran erinnern, dass es auch noch positive Dinge gibt.
Wie holst du dir die Natur nach Hause?