Der Begriff Zoom-Fatigue ist, obwohl noch relativ neu, mittlerweile weit verbreitet. Er bezeichnet die Müdigkeit, die viele im digitalisierten Arbeitsalltag verspüren. Videokonferenzen und deren Einfluss auf unsere Psyche werden schon seit einigen Jahren erforscht, doch gibt es bisher kaum praktische Studien, die sich mit der exzessiven Nutzung von Videokonferenzen, wie sie derzeit pandemiebedingt geschieht, beschäftigen. Der Grund dafür ist wohl die Neuheit des Phänomens.
Anfang des Jahres veröffentliche Jeremy N. Bailenson, Professor und Kognitionspsychologe in Stanford, eine theoretische Ausarbeitung über die Auslöser von Zoom-Fatigue. Insgesamt hält er vier Hauptpunkte fest.
Sich aus kurzer Distanz anschauen (Eye Gaze at a Close Distance)
Bailenson führt aus, dass Videokonferenzen uns ein Verhalten aufzwingen, dass wir eigentlich nur gegenüber uns sehr nahestehenden Personen zeigen: langer Blickkontakt bei einem geringen face-to-face-Abstand. Auch das Wissen um die geographische Entfernung der anderen Teilnehmenden kann nicht beeinflussen, wie unser Gehirn die Situation wahrnimmt. Dabei spielt vor allem die Größe der angezeigten Gesichter eine Rolle. Je nachdem, wie dicht wir vor unserem Bildschirm sitzen, wie groß dieser ist und wie dicht andere an ihrer Web-Cam sitzen, nimmt unser Gehirn die anderen Personen als sehr nah war. Die Bildschirme gaukeln uns eine Distanz von ungefähr einem halben Meter vor, wenn wir in Zoom die Sprecher-Ansicht verwenden. Das ist ein sehr geringer Abstand zu Personen, zu denen man keine engere Beziehung hat.
Hinzu kommt die Zeitspanne vieler Meetings, die Anzahl von Meetings pro Tag und das ständige Beobachtet-Sein (in großen Seminaren möglicherweise durch mehr als 50 Personen). Während im analogen Seminar alle Blicke auf der einen Person liegen, die gerade spricht, haben im digitalen Gespräch alle immer alle im Blick. Das Wissen darum führt zu körperlicher Anspannung und Stress. Denn schon bei einer kleinen Konferenz mit neun Teilnehmenden hat sich das Ausmaß des Blickkontaktes im Vergleich zum analogen Gespräch bereits verneunfacht.
Bailenson vergleicht das mit einer vollen Bahn, in der wir gezwungen sind, allen Mitfahrenden durchgehend ins Gesicht zu schauen, während diese zurückschauen. Zudem befinden sich alle unmittelbar in unserem Blickfeld. Und das über die Zeitspanne eines ganzen Meetings und vielleicht auch noch mehrfach am Tag.
Kognitive Belastung (Cognitive Load)
Videokonferenzen fordern mehr Aufmerksamkeit, um nonverbale Kommunikationssignale zu erkennen und zu verstehen. Gleichzeitig sind wir gezwungen, unsere eigene Aufmerksamkeit nonverbal deutlicher zu kommunizieren: „Examples include centering oneself in the camera’s field of view, nodding in an exaggerated way for a few extra seconds to signal agreement, or looking directly into the camera (as opposed to the faces on the screen) to try and make direct eye contact when speaking. This constant monitoring of behavior adds up.“ (Bailenson, 2021)
Die nonverbale Kommunikation wird durch verschiedene Aspekte erschwert: Es gibt keinen direkten Augenkontakt, weil die Teilnehmenden auf die Gesichter auf dem Bildschirm schauen und nicht in die Kamera. Durch die büstenartige Aufreihung an Gesichtern fehlen uns viele Informationen wie Körpergröße, Beinbewegungen und Haltung. Und viele nonverbale Signale geschehen außerhalb des Konferenz-Kontexts, z. B. wenn jemand auf ein Geräusch im Hintergrund reagiert, das den anderen Teilnehmenden nicht übermittelt wird. In solchen Situationen können wir das Verhalten der anderen nicht verstehen und das stresst uns.
Ganztagsspiegel (An All Day Mirror)
„Imagine in the physical workplace, for the entirety of an 8-hr workday, an assistant followed you around with a handheld mirror, and for every single task you did and every conversation you had, they made sure you could see your own face in that mirror. This sounds ridiculous, but in essence this is what happens on Zoom calls.“ (Bailenson, 2021)
Die ständige Selbstreflexion stresst uns, dazu gibt es bereits einige Studien. Die Auswirkungen einer lange andauernden Selbstreflexion über mehrere Stunden am Tag und das mehrere Tage pro Woche sind jedoch kaum erforscht.
Eingeschränkte Bewegung (Reduced Mobility)
In einer Videokonferenz wird unser Sichtfeld durch die Kamerawinkel eingeschränkt. Alle Teilnehmenden sind daher gezwungen, innerhalb des Kamerawinkels zu verweilen. Das bedeutet, dass wir in einen sehr geringen Raum gesperrt sind und bewegungslos geradeaus starren. In einem analogen Gespräch würden wir uns mehr bewegen, weil wir dadurch nicht aus dem Sichtfeld der anderen verschwinden: „During face-to-face meetings people move. They pace, stand up, and stretch, doodle on a notepad, get up to use a chalkboard, even walk over to the water cooler to refill their glass. There are a number of studies showing that locomotion and other movements cause better performance in meetings.“ (Bailenson, 2021)
Außerdem fallen durch Videokonferenzen Raumwechsel weg. Gerade im Universitätsalltag sind Raumwechsel eine Möglichkeit zum Entspannen. Nicht nur die Bewegung, auch die zwanglosen und lockeren Gespräche mit Mitstudierenden auf dem Weg in einen anderen Raum oder sogar ein anderes Gebäude fallen im digitalen Bereich einfach weg.
Bailensons Ausführungen beziehen sich alle auf den Berufsalltag, wo das Ausschalten der Kamera häufig keine Option ist. Im Universitätsalltag haben die meisten Studierenden ihre Kameras in Seminaren und Vorlesungen deaktiviert. Aufgrund der oben aufgeführten Punkte ist das durchaus verständlich. Doch kann es für lehrende Person irritierend und einsam sein, mit einem schwarzgekachelten Bildschirm zu sprechen und keine Reaktion zu sehen.
In Rahmen unseres Talks, der in zwei Teilen bereits auf dem Blog vorliegt, haben wir auch über Zoom-Meetings gesprochen und uns darüber ausgetauscht, welchen Einfluss die vielen Videokonferenzen auf unseren Alltag haben. Diesen Teil des Talks haben wir bisher noch nicht veröffentlicht, deshalb könnt ihr jetzt hier unsere Erfahrungen zu Zoom-Konferenzen nachlesen.
Niklas: Gerade bei größeren Kursen ist es ja häufig so, dass die Kameras aus bleiben und man währenddessen andere Dinge machen kann, bspw. Kochen oder Sport. Am Anfang des Semesters habe ich wieder Motivation für die kleineren Kurse, bei denen man auch viel miteinander redet. Allerdings weiß ich auch, dass es letztes Semester gegen Ende nicht mehr so war, weil es dann anstrengend wurde, wenn man sich auch mit Freunden für einen Spieleabend über Zoom trifft. Alles läuft über Zoom und man guckt immer nur auf den Bildschirm und das ist anstrengend für die Augen. Da hilft es dann, den Nachtmodus vom Laptop anzumachen.
Sandra J: Ich merke auch bei mir, dass ich manchmal Schwierigkeiten habe, die ganze Zeit in die Kamera zu schauen, was, je später der Tag wird, sehr ermüdend und anstrengend wird. Da muss ich mich schon sehr motivieren und ich versuche mich mit Snacks zu locken.
Hanna: Ich hatte gegen Ende des letzten Semesters Fälle, wo ich körperlich auf Zoom-Meetings reagiert habe und im Voraus Bauchschmerzen gekriegt habe. Und was bei mir noch dazukommt, ist, dass ich wegen meiner instabilen Internetverbindung nicht richtig an Seminaren teilnehmen kann und dann auch nicht wirklich etwas davon habe, dass ich eineinhalb Stunden davor sitze. Es gab schon Tage, da war das so schlimm, dass ich für zehn Minuten die Verbindung verloren habe und da verpasst man schon sehr viel. Ich traue mich dann auch nicht, etwas zum Seminar beizutragen, aus Angst, dass nach nur ein paar Wörtern plötzlich die Verbindung weg ist und der Rest nicht mehr übertragen wird.
Hier werden viele Dinge angesprochen, auf die Bailenson bereits verwiesen hat, doch kommen weitere Aspekte dazu:
- Aufgrund der Pandemie werden auch viele Freizeitaktivitäten per Videokonferenz abgehalten. Das bedeutet, dass nicht einmal mehr analoge Freizeitbeschäftigungen einen Ausgleich zum Bildschirm bieten, weil sie mittlerweile ebenfalls größtenteils digitalisiert sind.
- Das Starren auf den Bildschirm schadet unseren Augen. Die enorme Bestrahlung durch Blaulicht kann zu Kopfschmerzen und Schlafproblemen führen und somit langfristig körperliche und psychische Folgen haben.
- Nicht jede:r hat eine stabile Internetverbindung (oder die technische Ausrüstung). Somit können nicht alle gleichberechtigt am Meeting teilnehmen. Gerade in klausurvorbereitenden Kursen ist der plötzliche Ausfall von Video oder Ton wegen einer schlechten Übertragung ein weiterer Stressfaktor. Ein digitales Studium kann somit zu Benachteiligung führen und Ungleichheiten schaffen.
Was sind eure Erfahrungen mit Zoom-Fatigue? Habt ihr gute Tipps, wie man mit solchen Schwierigkeiten umgehen kann? Lasst es uns in den Kommentaren wissen.
Quellen: Jeremy N. Bailenson: Nonverbal Overload: A Theoretical Argument for the Causes of Zoom Fatigue. Technology, Mind, and Behavior. Vol. 2 Iss. 1. Februar 2021. Aufgerufen über https://tmb.apaopen.org/pub/nonverbal-overload/release/1?utm_campaign=Seven%20Point%20Sunday&utm_medium=email&utm_source=Revue%20newsletter (letzter Zugriff: 09.06.2021).