Die Erzählung Was bleibt von Christa Wolf (1929-2011) wurde 1979 verfasst, aber erst 1990, also nach dem Mauerfall und vor der Wiedervereinigung, veröffentlicht. Christa Wolf lebte in der DDR und war dort eine anerkannte Schriftstellerin.
Nachdem sie zunächst als Lektorin arbeitete, erschien 1961 ihr literarisches Debüt Moskauer Novelle. Sowohl als Lektorin als auch als Schriftstellerin arbeitete sie anfangs gemäß den Vorgaben des Bitterfelder Weges, ein Programm der sozialistischen Kulturpolitik, der die Kunst des Proletariats stärken sollte. Demnach war vorgesehen, dass Schriftsteller und andere Künstler zusätzlich zu dieser Tätigkeit in Werken und Fabriken arbeiteten. Ziel war es auch, systemkonforme Kunst zu schaffen.
Christa Wolf war, wie viele andere Intellektuelle ihrer Zeit auch, zunächst überzeugt von der Gründung eines sozialistischen Staates und trat 1949 der SED bei. Von 1959 bis 1962 spitzelte sie unter dem Namen „IM Margarete“ für die Stasi. Da ihre Berichte der beschatteten Personen jedoch ausschließlich zu Gunsten dieser ausfielen und ihre Meinungen nicht immer systemkonform waren, wurde sie ab 1962 mit ihrem Mann Gerhard Wolf selbst zum Observationsobjekt der Stasi.
Sie war eine der Personen, die einen offenen Brief gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann unterzeichneten, und hielt am 4. November 1989 auf einer Demonstration gegen die Politik in der DDR eine Rede auf dem Alexanderplatz in Berlin. In dieser Rede drückte sie ihren Glauben an eine Reform des Sozialismus unter neuer politischer Führung aus. Wie viele andere Intellektuelle der DDR sprach sie sich in diesem Zusammenhang für einen demokratischen Sozialismus aus.
Ihre Erzählung Was bleibt handelt von einer Ostberliner Schriftstellerin, die unter der ständigen Beobachtung der Stasi steht. Sie beschreibt einen Tag ihres Lebens, wobei die psychischen Folgen der Überwachung deutlich werden. Die Protagonistin lebt in ständiger Angst und Verunsicherung. Immer wieder überprüft sie sich selbst und überlegt nach jeder Handlung, was die Stasi mit der Information darüber anfangen könnte. Zudem verstrickt sie sich in die Überlegung, dass ihr Bekannter Jürgen M. für ihre Observierung zuständig sei. Es ist auffällig, dass die Protagonistin nie vollständige Namen nennt und ihr eigener ebenfalls unbekannt bleibt. Jedes Wort, das sie ausspricht, ist wohlüberlegt und auch ihre Gedanken werden von einem Selbstzensor gefiltert. Dennoch versucht sie zwischendurch immer wieder, sich ihr Leben nicht fremdbestimmen zu lassen.
Die Erzählung vermittelt eine sehr gute Vorstellung davon, unter welchen Umständen die geduldeten Intellektuellen in der DDR lebten und welche Auswirkungen das auf sie hatte.
Der formale Aufbau, ein fortlaufender Text ohne größere Zeitsprünge oder Leerzeilen, erweckt den Eindruck, dass die Protagonistin die Geschehnisse des Tages und all ihre Gedanken direkt mitschreibt. Ihre Verunsicherung zeigt sich in ihren vielen Überlegungen und inneren Dialogen, die sie führt. Zwar ist es manchmal schwer, ihren sprunghaften Gedankengängen zu folgen, doch stellt dies in meinen Augen die Vervollständigung des Gesamtbildes dar. Schließlich zensiert sie selbst ihre Gedanken und lebt mit der ständigen Paranoia, dass ihr eine Falle gestellt werde.
Wegen ihrer Tätigkeit als Spitzel, die Wolf 1993 selbst bekannt gab, wurde sie und in diesem Zuge auch ihre Erzählung Was bleibt, die zweifelsfrei autobiographische Züge aufweist, nach der Wiedervereinigung immer wieder heftig kritisiert.
Ich halte die Erzählung für hilfreich, um sich ein Bild von den Umständen eines Observationsobjektes der Stasi zu machen, obwohl man sicherlich zwischen der historischen und dargestellten Wirklichkeit unterscheiden muss. Die formale und stilistische Gestaltung verkörpert die inhaltliche Thematik und auch die Gedankensprünge, die es kurzfristig schwer machen, der Erzählung zu folgen, stören langfristig nicht. Ein durchaus lesenswertes Werk für alle, die sich für die DDR und deren Literatur interessieren!
[…] Auf diese Weise haben schon viele Bücher ihren Weg in mein Regal gefunden, unter anderem auch Christa Wolfs Erzählung Was bleibt, von der ich bereits vor einiger Zeit auf diesem Blog berichtet habe. Im vergangenen Semester war […]