Die Frankfurter Buchmesse und der Streit um die Meinungsfreiheit

Foto: Stand des Jungeuropa Verlags in der Halle 3.1. © Sebastian Gollnow/dpa

Vier Wochen ist es her, dass die Frankfurter Buchmesse ihre Tore öffnete. Vom 20.10. bis zum 24.10.2021 besuchten etwa 37.500 Leser:innen und 36.000 Fachbesucher:innen aus über 100 Ländern die Stände und Veranstaltungen auf dem Messegelände. Bücher sind auf unserem Blog ein wiederkehrendes Thema, doch auch wenn die Messe es vermuten lässt, geht es heute nicht direkt um Literatur. Es geht um die Debatte, die zu Beginn der Buchmesse entflammte, die selbst die multimediale Präsentation des Ehrengastlandes Kanada überschattete – und deren Auswirkungen noch immer diskutiert werden.

Denn, wie schon in den Jahren zuvor, waren auf der 73. Frankfurter Buchmesse rechte Verlage mit ihren Ständen vertreten. 2017 gab es Auseinandersetzungen am Stand des Antaios Verlags, der mittlerweile vom Verfassungsschutz beobachtet wird. 2018 waren die neurechten Verleger Kubitschek dann mit dem Fake-Verlag Loci Gast auf der Buchmesse. In diesem Jahr war vor allem die Anwesenheit des Jungeuropa Verlags umstritten, der auch noch besonders prominent platziert war. Nachdem 2019 rechte Verlage in schlecht besuchten Sackgassen positioniert wurden, hatte der Stand nun seinen Platz direkt neben der großen ZDF-Bühne „Blaues Sofa“. Wenn man vor Ort war, kam man kaum herum, an dem Stand vorbeizulaufen und die präsentierten Bücher zu sehen. Darunter befanden sich vor allem neurechte, rechtsextreme und faschistische Autoren, die Inhalte sind nicht selten verfassungsfeindlich. Es wurden also Schriften präsentiert, die rassistische und antisemitische Ideologien verbreiten. Dabei war der Jungeuropa Verlag nicht allein, auch ein Ableger des Antaios Verlags, der Oikos Verlag, sowie das Buchhaus Edition Loschwitz, der Karolinger und der Ahriman Verlag sind Teil rechtsextremer Netzwerke und waren auf der Messe vertreten. Die Publikationen bedienen antiliberale Inhalte, sexistische und rassistische Stereotype und antisemitische Verschwörungstheorien.

Die Frankfurter Buchmesse verteidigte die Anwesenheit dieser Verlage mit Berufung auf die Meinungsfreiheit. Alle Verlage sollten sich vorstellen können, um einen freien Dialog zu ermöglichen. Doch schlussendlich waren nicht alle vertreten, um diesen Dialog führen zu können: Mehrere Autor:innen, angefangen mit der Schriftstellerin Jasmina Kuhnke, die eigentlich Bücher vorstellen wollten, sagten ihre Auftritte und Teilnahme an der Buchmesse ab. Als marginalisierte Personen, die aufgrund ihres Aussehens Betroffene von Alltagsrassismus sind, empfanden sie die Buchmesse nicht mehr als sicheren Ort. Nun mag argumentiert werden, dass diese ja nicht von der Messe selbst ausgeschlossen wären, sondern sich freiwillig dazu entschieden hätten – und damit den „freien Dialog“ nicht ermöglichen würden. Dennoch nahm die Messe den Ausschluss marginalisierter Personen (BIPoC, Jüdinnen und Juden, Menschen mit Behinderung und andere Betroffene rechter Gewalt) in Kauf, als sie sich dazu entschied, Inhalte zu präsentieren, die diesen Menschen ihr Existenzrecht absprechen. Außerdem stehen die an den rechten Ständen anwesenden Personen häufig der Neuen Rechten oder gar der „Identitären Bewegung“ nahe, die offen rechtsextrem sind und rassistische Gewaltfantasien äußern. Der Verleger des Jungeuropa Verlags, Philip Stein, steht selbst in diesem Kontext und redete mit anderen Machern des Verlags im Podcast „Von rechts gelesen“ von tätlichen Angriffen auf Journalist:innen.

Proteste beim Auftritt Björn Höckes auf der Buchmesse 2017.

Dass es tatsächlich zu solchen Konflikten kommen kann, zeigte das Jahr 2017, in dem es beim Auftritt des AFD-Mitglieds Björn Höcke zu verbalen und handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Rechten und antirechten Protestierenden kam. Es ist also nicht nur die Macht des Wortes, sondern auch eine klar nachzuvollziehende Angst, körperlichen Angriffen ausgesetzt zu sein, die Autor:innen davon abhielt, die Buchmesse zu besuchen. Des Weiteren wurde durch diesen Ausschluss Druck auf andere Autor:innen ausgeübt, die sich mit der Entscheidung konfrontiert sahen, aus Solidarität mit den Betroffenen ebenfalls die Messe zu boykottieren, oder anwesend zu sein und wichtige Präsenz zu zeigen. Mitarbeitende linker Verlage sahen sich durch Vertreter rechter Verlage bedrängt, indem diese hämisch grüßten und zu fotografieren versuchten. Wahrscheinlich auch, weil zu Beginn der Buchmesse der Diskurs um die Anwesenheit des Jungeuropa Verlags aufflammte und zudem in großen Medien wie der Tagesschau thematisiert wurde, wurden Sicherheitsvorkehrungen getroffen. Die Präsenz von Polizeikräften in der Halle war augenscheinlich, und auch dieses Jahr waren einige Besucher:innen anwesend, die durch Plakate oder Ähnliches ihren Unmut über den Umgang mit rechtsradikalen Verlagen ausdrückten. Zu Tumulten und Auseinandersetzungen kam es aber zum Glück nicht.

Am Sonntag, den 24.10., zeitgleich mit dem Ende der Buchmesse, wurde in der Frankfurter Paulskirche der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2021 an die simbabwische Autorin und Filmemacherin Tsitsi Dangarembga verliehen. Im Rahmen der Verleihung kritisierte die Frankfurter Diversitätsbeauftragte Mirrianne Mahn den Umgang der Buchmesse mit rechten Verlagen, der dazu geführt habe, dass sich schwarze Frauen auf der Buchmesse nicht sicher fühlen konnten, während zur gleichen Zeit einer schwarzen Frau der Friedenspreis verliehen wurde. In den folgenden Tagen wurde Mahn wegen dieser Aussage Opfer von Beleidigungen und Drohungen im Internet und auf der Straße.

Grünen-Politikerin Mirrianne Mahn auf der Friedenspreis-Verleihung, als sie Oberbürgermeister Feldmann unterbrach. (Quelle: Thomas Lohnes/epd-Pool/dpa/dpa)

Zu kritisieren ist auch, dass auf die Problematik erst durch Betroffene aufmerksam gemacht werden musste, bevor das Thema in den Nachrichten behandelt wurde. Marginalisierte Personen, die sich ohnehin täglich Rassismus ausgesetzt sehen, mussten sich in Eigenrecherche mit den rassistischen Inhalten auseinandersetzen, um über Social-Media-Kanäle darauf hinzuweisen – und so andere Betroffene zu warnen, bevor diese sich unwissend in einen für sie unsicheren Raum begeben hätten. Der von der Buchmesse titulierte „freie Dialog“ ist noch immer zu keinem Ergebnis gekommen. Ein Zusammenschluss von „Autor*innen gegen Rechts“ fordert nun von der Frankfurter Buchmesse eine klare Positionierung dazu, wie im nächsten Jahr ein Klima geschaffen werden kann, in dem marginalisierte Autor:innen ohne Angst an der Messe teilnehmen können.

Quellen:

https://www.swr.de/swr2/literatur/frankfurter-buchmesse-2021-104.html

https://www.swr.de/swr2/literatur/in-der-arschlochgasse-100.html

https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buchmesse/das-war-die-frankfurter-buchmesse-2021-wo-bleibt-der-jubel-17600612.html

https://www.dw.com/de/nach-polizeieinsatz-auf-der-buchmesse-börsenverein-verurteilt-gewalt/a-40957764

https://www.fr.de/politik/buchmesse-boersenverein-jutta-ditfurth-presse-nazis-jungeuropa-verlag-rechte-rechtsextreme-frankfurt-91067145.html

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