Die Vorlesung geht los. Bestimmt 80% der Teilnehmenden packen ihre Laptops aus und tippen dahinter oftmals lediglich in ihre Mobiltelefone. Vor mir liegen Stift und Papier, mein Federmäppchen aus Schulzeiten mit meinem Füller, einem Kugelschreiber, ein paar bunten Finelinern, einem Bleistift, Spitzer, Lineal und meist mindestens zwei farblich unterschiedlichen Textmarkern.
Ich schreibe gerne mit der Hand, auch in der Uni. Eigentlich überall, wo sich die Situation ergibt.
Selbst die Notizen für diesen Blogbeitrag habe ich auf einem Blatt Papier gesammelt. Ich lebe in einem kleinen Dschungel aus Notizzetteln, in dem wohl nur ich mich zurecht finde, aber das stört mich nicht, so ist es genau richtig. Für mich schien es schon immer eher unattraktiv, einen Laptop oder ein Netbook mit mir rumzuschleppen, obgleich ich beides ausprobiert habe, um den Hype nachvollziehen zu können. Und manchmal sollte man selbstverständlich auch ein technisches Endgerät mitbringen, weil in der Stunde selbst etwas erarbeitet werden musste. Mein Fazit fiel eher nüchtern aus: Ich hatte mehr getippt, aber das Mitgeschriebene war in meinen Hirnwindungen weniger präsent. Zufall oder einfach nicht meine Lernmethode? Ich habe mich mit dem Thema mal ein wenig auseinander gesetzt:
Viele machen ihre ersten Erfahrungen mit dem Schreiben in der Schule. 85% der Grundschullehrer:innen berichten schon länger von ihren Erfahrungen, dass die Feinmotorik der Kinder in den letzten Jahren nachgelassen hat. Sie sind unglaublich schnell im Lernprozess an elektronischen Geräten, das Halten eines Stiftes kann hier und da jedoch schon fast zu einer Herausforderung werden. Zum einen wird das auf weniger Bewegung im Allgemeinen zurückgeführt, zum anderen auf den frühen Zugang zu elektronischen Geräten und der vereinfachende Optimierung von Alltagsgegenständen wie Klettverschlüsse an Schuhen statt Schnürsenkeln oder einfachen Klappverschlüssen an Brotdosen.
Insgesamt hat die Handschrift heute an Stellenwert verloren. Es werden kaum mehr handschriftliche Dokumente verlangt, weder in der Schule, noch im Studium oder im Berufsleben. Einheitliche Formatierung am Computer, passender Zeilenabstand, gut leserliche Schriftgröße, um die Arbeit für diejenigen einfacher zu gestalten, die die ganzen Dokumente oder Texte lesen müssen.
Mit der Hand schreiben wird also kaum mehr praktiziert – was besonders dann schwierig ist, wenn man tatsächlich etwas lesen oder korrigieren muss, was handschriftlich verfasst wurde. Dort kommen Lehrkräfte oft an ihre Grenzen, bemängeln, dass die Handschrift ab der Mittelstufe tendenziell unleserlicher wird und Klausuren schon mit ungenügend benotet werden mussten, weil sie schlichtweg nicht zu entziffern waren.
Auch in der Neurowissenschaft wurde sich schon ausgiebig mit der Handschrift befasst: So beschäftigten sich unter vielen anderen Pam Müller und Daniel Oppenheimer in einer Studie, die 2014 veröffentlicht wurde, mit den Gedächtnisspuren, die das Mitschreiben von Universitätsstoff hinterlässt. Gegenstand der Studie waren zwei Gruppen von Studierenden, die eine Hälfte schrieb handschriftlich während der Vorlesungen mit, die andere Hälfte nutzte einen Laptop. Die Studie zeigte auf, dass Jahreszahlen oder Namen gleichermaßen gut aufgenommen und mitgeschrieben wurden, komplexe Inhalte jedoch von denjenigen besser behalten werden konnten, die ihre Handschrift verwendeten. Darüber hinaus konnte festgestellt werden, dass die handschriftlichen Mitschriften sortierter und kürzer waren. Die händischen Notizen werden in eigenen Worten verfasst, während an der Tastatur Wort für Wort in zügigem Tempo mitgeschrieben wird. Analoges Mitschreiben erfordert mehr Zeit, so dass man automatisch besser mit seinen Worten haushaltet und gezielter Worte und Inhalte auswählt, um die aufgenommenen Informationen bestmöglich zu Papier zu bringen.
Auch die Psychologinnen Prof. Sophia Vinci-Booher und Prof. Karin James befassten sich in einer Studie ausgiebig mit dem Thema und fokussierten sich besonders auf die Ausbildung des motorischen Systems bei Kleinkindern. Hier wurde klar: Kinder lernen haptisch.
In ihrem Test wurden Kleinkinder in drei Gruppen aufgeteilt: Die erste Gruppe tippte die Buchstaben, die zweite Gruppe erlernte das Schreiben durch das Nachzeichnen von gepunkteten Linien und die dritte Gruppe lernte das klassische Abmalen eines Buchstabens, um Schrift zu produzieren. Interessant war, dass das Abtippen und auch das Nachzeichnen der gepunkteten Linien keinerlei Hirnaktivität hervorbrachte. Nur beim eigenständige Abmalen der Buchstaben konnte Hirnaktivität nachgewiesen werden und die Kinder hatten es leichter, Buchstaben zu erkennen, die in anderen Schriftarten oder handschriftlich verfasst wurden. Während das reine Nachzeichnen und Tippen im Gehirn keinerlei Impulse setzt, Unterschiede bei Buchstaben zu erkennen, wurde beim eigenen Abmalen der Buchstaben direkt mehr Akzeptanz für andere Buchstabenabbildungen erzeugt, da die Kleinkinder noch nicht in der Lage waren, identisch aussehende Buchstaben zu schreiben. So konnte nachgewiesen werden, dass das eigenständige Erzeugen von Buchstaben die motorische Entwicklung definitiv fördert und so ein Hirnareal aktiviert, das in den anderen Disziplinen nicht bedacht wird.
Abschließend kann man festhalten, dass es sich nach wie vor lohnt, einen Stift in die Hand zu nehmen. Unser Schreibverhalten verändert sich durch die vielseitigen Möglichkeiten der Kommunikation sowieso stetig, Gefühle werden durch Emojis ausgedrückt und in der Forschung arbeiten viele sprachwissenschaftliche und (sprach-)psychologische Teams an der Frage, ob unsere Schreibkompetenz durch das viel kurzlebigere und weniger ausführliche Schreiben verkümmern kann. Arbeiten wir also nicht nur an unserer Kompetenz, sondern nehmen wir auch mal wieder die Feinmotorik in Angriff – es langt ja, dass man Ärzten schon nachsagt, dass ihre Schrift unleserlich sei. Wenn man unsere Handschrift irgendwann gar nicht mehr lesen kann, würden Witze dieser Art gänzlich wegfallen, was ich persönlich sehr schade fände. Ihr müsst euch ja nicht gleich eine Brieffreundschaft suchen oder an einem Lettering-Workshop teilnehmen (auch wenn ich das sehr empfehlen kann!), aber schreibt doch auch wieder mehr. Mit einem Stift, auf Papier.
Was hast du zuletzt handschriftlich verfasst? Oder gehörst du noch zu den old-school-Schreiberlingen? Erzähl‘ mal!
Quellen:
https://www.quarks.de/gesellschaft/bildung/warum-es-sinnvoll-ist-mit-der-hand-zu-schreiben/ (letzter Zugriff am 22.02.2022)
https://www.schreibmotorik-institut.com/index.php/de/fakten-und-tipps/fachwissen/503-kinder-und-lehrer-in-not-probleme-mit-der-schreibmotorik-nehmen-zu (letzter Zugriff am 22.02.2022)
Müller, Pam & Oppenheimer, Daniel (2014): The Pen Is Mightier Than the Keyboard: Advantages of Longhand Over Laptop Note Taking, Psychological Science 25/16, S. 1159 – 1168
Vinci-Booher, Sophia & James, Karin (2021): Protracted Neural Development of Dorsal Motor Systems During Handwriting and the Relation to Early Literacy Skills. Frontiers in Psychology. 12. 10.3389/fpsyg.2021.750559.
Das sehe ich alles genau so und bin auch selbst mit Notizbuch DinA5 und Fineliner 0.3 (ich zeichne auch) sowie einem Druckbleistift in der Uni. Großes Aber: Ich muss trotzdem ein Pad kaufen, weil die Masse der Texte, die ein lesen müssen, einfach überhand nimmt. Jeglicher Versuch, das alles auszudrucken, wäre nicht nur Papierverschwendung (man liest das in der Regel einmal und markiert jede Menge), es wäre auch ein Platz- und Zeitproblem! Dabei lese ich viel lieber auf Papier! Was soll man tun??
P.S. Wir, mein Partner und ich, leben übrigens auch vegan – und in Frankfurt. Bin durch Zufall auf dein Blog gestoßen und werde als nächstes den Beitrag „Veganes Essen in Frankfurt“ lesen!