Auf zwei Reifen durch die Stadt

Klak. Klik. Zwei Gänge runter, Leerlauf. Auf 25mm breiten Reifen rolle ich über den Fahrradstreifen einer zweispurigen Straße auf die Kreuzung zu. Die Ampel ist grün. Links vor mir möchte ein Auto rechts abbiegen. Ich lege die Finger auf die Bremsen, lasse mein Rad ausrollen und behalte den Wagen knapp vor mir im Auge.

Auf dem Fahrrad bin ich in der Stadt der unterlegene Verkehrsteilnehmer – zumindest was potenzielle Zusammenstöße angeht. Der Platz auf der Straße für Radfahrer:innen ist meist sehr begrenzt, wenn überhaupt in Form eines gekennzeichneten Radweges vorhanden. In Berlin beispielsweise waren 2014 dem Flächen-Gerechtigkeits-Report nach lediglich 3% der Straßenflächen als Radwege ausgewiesen. An dieser Verteilung hat sich bis heute nur wenig geändert. Doch selbst wenn es eine solche Fahrradspur gibt, gilt es, auf gefährliche Situationen zu achten. Ein Klassiker unter diesen ist das Geradeausfahren an Kreuzungen bei grüner Ampel – denn dort haben die Radfahrenden zwar Vorfahrt, werden aber sehr häufig von rechtsabbiegenden Autos übersehen. Das mag am toten Winkel liegen, an einem fehlenden Schulterblick oder einfach an Unaufmerksamkeit; Tatsache ist, dass bei dem darauffolgenden Zusammenprall die Person auf dem Fahrrad den Kürzeren zieht.

Aus fast drei Jahren Erfahrung als Fahrradfahrer in Frankfurt kenne ich diese Situationen und bin deshalb besonders vorsichtig. Ob die Person hinter dem Steuer des PKWs mich bemerkt hat, kann ich schließlich nicht sehen. Ich bereite mich darauf vor, eine Vollbremsung hinzulegen oder links um das abbiegende Auto herumzufahren. Der Wagen wird langsamer, kommt zum Stehen. Ich trete in die Pedalen und fahre vor ihm über die Kreuzung.

So läuft es meistens, aber leider nicht immer ab: Einmal wurde ich von einer Autofahrerin zunächst übersehen, womit ich schon gerechnet und zum Ausweichen auf der linken Seite angesetzt hatte. Als sie mich während des Abbiegens dann doch entdeckte, betätigte sie aus Schock die Bremse und versperrte mir so die gesamte Fahrbahn. Auf den Zusammenstoß folgend waren wir beide zunächst um den Lack des Wagens besorgt anstatt über meine Gesundheit, wie ich später erschrocken feststellte. Seit ich denken kann, fahre ich mit dem Fahrrad und doch schienen all die Autos um mich herum schon immer ein so wichtiger und wertvoller Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens zu sein – man denke nur an die zahlreichen Appelle an in Hofeinfahrten spielende Kinder, sie sollen unbedingt auf die parkenden Wägen aufpassen, nicht, dass diese zu Schaden kommen; schließlich koste ein einziger Kratzer die Eltern mehrere tausend Euro. Und da ich nie gelernt habe, meine Gesundheit in Geld zu bewerten, scheine ich darauf konditioniert gewesen zu sein, mich mehr um ein teures Stück Besitz zu sorgen als um mein Leben.

Spätestens mit Beginn der weiterführenden Schule, die in meinem Fall nicht mehr im Dorf, sondern in der benachbarten Kleinstadt lag, war Fahrradfahren für mich ein tägliches Unterfangen. Jeden Morgen und jeden Nachmittag ging es über den Radweg zwischen Feldern und Wäldern entlang, egal ob bei Regen oder Schnee. Unzählige Platten habe ich während meiner Schulzeit gesammelt. Und auch als ich anfing zu studieren, musste ich zum Pendeln mit dem Zug zunächst die gleiche Strecke zum Bahnhof radeln. Wenn ich den Zug verpasste, konnte ich einfach weitere 8km bis zur nächsten S-Bahn-Station durch den Wald fahren. Ja, an der Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr auf dem Land ist noch viel zu tun… wohl auch deshalb waren Autos in meiner Kindheit ein so wichtiger Bestandteil der Mobilität. Auch wenn ich bis heute überall mit Fahrrad und Bahn hinkomme, der (zeitliche) Aufwand scheint manchmal unverhältnismäßig, obwohl es doch so viel besser für Gesundheit und Klima wäre, wenn man ohne Auto überall hinkommen würde.

In der Stadt ist nicht nur fast jeder Ort einfach mit dem ÖPNV zu erreichen, auch das Fortbewegen auf dem Rad gestaltet sich hier ganz anders. Frankfurt ist flächenmäßig eine eher kleinere Großstadt, was ich wirklich schätze, denn innerhalb von 30-40 Minuten kann ich von einem Ende zum anderen gelangen. Diese Mobilität und die Möglichkeit, aus der Stadt hinaus ins Grüne zu radeln, gibt mir ein Freiheitsgefühl. Ich wohne in einem eher am Rande gelegenen Stadtteil, und doch bin ich in unter 10 Minuten an der Uni und brauche nicht viel länger in die Innenstadt oder zu anderen Orten, um sozialen Aktivitäten nachzugehen.

Aber im Vergleich zum Land musste ich mein Fahrverhalten teilweise umstellen: Gedankenverloren freihändig zu fahren ist beispielsweise im Stadtverkehr oft keine gute Idee. Der Kontakt mit Autos ist meist viel unmittelbarer, nicht nur, weil mehr davon unterwegs sind, sondern auch, weil sich Radwege entweder mit auf den Straßen befinden oder gar nicht existieren. In beiden Fällen kann es zu Situationen kommen wie der eingangs beschriebenen oder auch so schon beängstigend eng werden – denn die den Straßenrand zuparkenden Autos nehmen vor allem schutzlosen Verkehrsteilnehmenden oft viel Platz weg, während auf der anderen Seite im Durchschnitt immer breitere Fahrzeuge an einem vorbeirauschen. Der Gedanke daran, dass auf dem Parkstreifen gleich auch eine Tür unaufmerksam geöffnet werden könnte, zwingt zu noch mehr Konzentration.

Gleichzeitig bietet der ausgebaute Nahverkehr Ausweichmöglichkeiten bei unangenehmen Wetterverhältnissen oder kaputten Fahrradteilen. Wenn ich mit dem Rad unterwegs bin und es auf einmal anfängt, in Strömen zu regnen, es dunkel geworden ist und ich kein funktionierendes Licht habe oder einfach mit Freund:innen unterwegs bin, die kein Fahrrad dabei haben, stelle ich mich auch ganz gerne Mal mit Rad in die U-Bahn. Solange es nicht Berufsverkehr und der für Rollstühle, Kinderwägen oder Fahrräder vorgesehene Platz frei ist, funktioniert das auch sehr gut. Sobald es voll wird, ob in der U-Bahn oder beim Pendeln mit der S-Bahn, ist es natürlich für einen selbst sowie für die radlosen Mitfahrenden ein eher unangenehmes Gefühl, noch ein Fahrrad neben sich stehen zu haben.

Bevor ich nach Frankfurt zog, war mir der Autoverkehr in der Stadt als aggressiv und rücksichtslos bekannt, weshalb ich großen Respekt vor dem Fahrradfahren dort hatte. Aber nur wenige Wochen nach meinem Umzug fegte COVID19 übers Land – und die Homeoffice-Pflicht die Berufspendler:innen und damit auch die Autos von den Straßen. Auch das öffentliche Leben wurde heruntergefahren und wenn ich zu meinem in dieser Zeit einzigen persönlichen Kontakt auf der anderen Flussseite der Stadt fuhr, war es ein Genuss, über geisterhaft leere Straßen dahinzuschweben, ohne auch nur einmal anhalten zu müssen. Auf der anderen Seite bekam ich bald Angst davor, mich zu sehr an diese Art des Verkehrs zu gewöhnen und schließlich Unfälle zu bauen, wenn wieder „Normalität“ in den Stadtverkehr einkehren würde. Doch der Wechsel glückte gut. Nicht nur kannte ich nach zahlreichen Der-Nase-nach-Touren viele Straßen und Ecken der Stadt auswendig, wusste wo es sich gut fahren ließ und welche Stellen ich eher zu meiden hatte – auch in der Straßenplanung hatte sich etwas geändert.

Die verkehrsarme Zeit zu Beginn der Pandemie wurde in Frankfurt genutzt, um auf vielen der stark befahrenen und mehrspurigen Hauptstraßen Fahrradstreifen einzurichten. Dieser Trend wird bis heute fortgesetzt und es werden teilweise ganze Straßen zu Fahrradstraßen ausgerufen (oder sogar mit einem autofreien Mainkai experimentiert). Nicht alle dieser roten Fahrstreifen geben Radfahrenden spürbar mehr Platz auf der Straße, sind sie doch zu schmal, der Abstand zu parkenden Autos zu gering, werden von PKWs ignoriert oder enden plötzlich, was zum Ausweichen auf den Gehweg zwingt. Aber einige sind tatsächlich sehr breit oder trennen Fahrrad- und Autoverkehr sichtbar – die Tendenz ist jedenfalls positiv. In meiner persönlichen Wahrnehmung ist es auf vielen Straßen mittlerweile viel angenehmer, auf dem Rad durch die Stadt zu rollen. Und auch die Aufmerksamkeit gegenüber Zweirädern bei Autofahrenden scheint sich deutlich erhöht zu haben, was das Ganze zu einem weniger riskanten Unterfangen macht.

In diesem Jahr war ich auch als Essenslieferant auf dem Rad unterwegs, was mich nochmal mehr durch die Stadt geschickt hat. Bis zu 80km am Tag fuhr ich bei zum Teil sehr widrigen Bedingungen. Am anstrengendsten war es jedoch, für die vielen Bestellungen in Hochhausbüros in der Innenstadt unterwegs zu sein – und damit gezwungen zu sein, Straßen und Abschnitte der Stadt zu befahren, die ich mit dem Fahrrad normalerweise unbedingt vermeiden würde. Um in der Zeit zu bleiben oder sich überhaupt gegen den Strom an Fahrzeugen durchsetzen zu können, wird teilweise ein Fahrstil nötig, der riskant und für viele andere Verkehrsteilnehmende vielleicht auch rücksichtslos wirkt, da von außen nicht immer ersichtlich ist, ob die Person alles unter Kontrolle hat. Da ich mich beim Wechsel von Spuren, kurzeitigem Ausweichen vor Autos auf Gehwege, dem Durchschlängeln durch enge Lücken zwischen mehreren Kraftfahrzeugen oder dem unorthodoxen Überqueren von Kreuzungen aber vor allem selbst einem hohen Risiko aussetze, muss ich mir zu jeder Zeit der Situation sicher sein und begebe mich nicht grundlos in diese hinein, sondern werde meist von dem auf Autos ausgelegten Verkehr zum Ausweichen gezwungen. Dennoch ist es natürlich nachvollziehbar, dass gerade Fußgänger:innen sich davor erschrecken und auf das Fahrrad wütend sein können – auch wenn es ja der Autoverkehr ist, der so viel Platz einnimmt, dass es überhaupt erst zu dem Konflikt zwischen den kleineren Parteien kommt. Deshalb versuche ich meist, vorher verbal auf mich aufmerksam zu machen und mich zu entschuldigen. Doch auch im privaten Gebrauch möchte man mit dem Fahrrad oft zügig unterwegs sein und stößt dabei an Grenzen, da die Straßen nicht auf Radfahrende ausgelegt sind. Da ergibt es häufig Sinn, diesen Hindernissen auszuweichen, sofern man sie mit dem Rad einfach umgehen kann.

Ein Fahrrad lässt sich beinahe überall abstellen – auch wenn E-Roller-Horden immer häufiger stören.

Genau diese Flexibilität verschafft dem Fahrrad in meinen Augen nicht nur hinsichtlich der Geschwindigkeit einen riesigen Vorteil gegenüber dem Auto in der Stadt. Neben dem schneller von A nach B Kommen, vor allem wenn die Parkplatzsuche dazu genommen wird, können nicht nur für andere unzugängliche Abkürzungen genommen werden, sondern auch schönere und weniger befahrene Wege, z. B. durch die zahlreichen Parks in Frankfurt, genommen werden. Als Fahrradfahrer nehme ich die Stadt, die vielen nur durch Skyline und Bahnhofsviertel bekannt ist, als sehr grün wahr. Grüngürtel und mit großen Bäumen bepflanzte Alleen ausnutzend gibt es in fast jede Richtung die Möglichkeit, beinahe die ganze Stadt zu durchqueren, ohne den Schatten der blättertragenden Kronen verlassen zu müssen. Raus ins Grüne kommen, sich an der frischen Luft bewegen; das kann Fahrradfahren in Frankfurt eben auch sein – und damit im starken Kontrast zu dem stressigen Zwischen-Autos-Quetschen und Abgase- und Feinstaub-Einatmen stehen.

Tatsächlich hat das Radfahren aus meiner Sicht viele Vorteile und ist deshalb schon so lange das Fortbewegungsmittel meiner Wahl, auch wenn man in der Stadt auf einige Gefahren achten muss. Sorgen bereiten vor allem am Anfang auch die Straßen- und U-Bahn-Schienen, die man immer im möglichst rechten Winkel überqueren sollte, damit der Reifen nicht hineingerät und es zum bösen Sturz kommt – woran man sich allerdings recht schnell, spätestens nach dem ersten Unfall, gewöhnt. Auch vor Platten sollte man gefeit sein, sind Scherbenhaufen doch recht häufige Begegnungen. Dagegen helfen gute Reifenmäntel und das regelmäßige Überprüfen und Aufpumpen der Räder auf den vorgesehenen Luftdruck. Und ein gutes Schloss sowie die achtsame Auswahl des Abstellplatzes sind wichtig, um sich nicht immer wieder über Diebstahl und Neukauf aufregen zu müssen (tatsächlich habe ich gelernt, dass Orte wie die Zeil, denen ich zunächst nicht vertraut habe, ziemlich sicher sind, da aufgrund der vielen Menschen dort ein abgestelltes Fahrrad immer unter Beobachtung steht). Und natürlich stellt der Autoverkehr in der Stadt ein größeres Risiko dar als der örtliche Radweg. Aber die benötigte Aufmerksamkeit und vielleicht sogar das Adrenalin, wenn ich morgens auf dem Weg zur Uni auf eine Kreuzung zufahre und ein Auto neben mir rechts abbiegen möchte, helfen mir dabei, zügig wach zu werden. Ein weiterer Vorteil neben dem Fit-Bleiben durchs Radeln, der Zeit an der frischen Luft, der Flexibilität im Alltag, ist, dass das alles nicht nur dir selbst, sondern auch beinahe emissionsfrei der Umwelt zugutekommt.

Die Transportmöglichkeiten auf dem Rad reichen von Fahrradtaschen bis zu Topfpflanzen im Rucksack.

Wer nun motiviert ist, sich auch aufs Rad zu schwingen, und gleichzeitig ein wenig Sorge hat, findet weitere Infos auf den Seiten des ADFCs (der auch eine analoge Fahrradkarte für den Raum Frankfurt herausgibt)

https://www.adfc.de

ADFC Frankfurt am Main

oder eine Karte mit Radwegen und Reperaturstationen auf

https://www.radfahren-ffm.de .

In diesem Beitrag habe ich versucht, meine Erfahrungen auf dem Fahrrad als mein Fortbewegungsmittel der Wahl in verschiedenen Situationen und Örtlichkeiten zusammenzufassen. Dass ich dabei eine recht parteiische Sicht auf die Dinge habe, ist dem subjektiven Charakter des Berichtes eigen und, auch wenn ich das Geschehen manchmal ebenso von der anderen Seite aus erlebe, gar nicht vermeidbar. Stellenweise werden Diskussionen angeschnitten, die zu komplex und weitgreifend wären, um sie hier gänzlich aufzumachen. Deshalb wird es vielleicht nochmal einen Beitrag zum Thema Verkehrswende und Platzverteilung in der Stadt geben, der dann hier verlinkt wird.

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