Es ist gar nicht so lange her, da hatte ich mit Taylor Swift eigentlich nichts zu tun. Ich wusste natürlich, wer sie war, denn der Durchbruch gelang ihr ungefähr zu dem Zeitpunkt, als ich anfing die Bravo zu lesen. Daher weiß ich also, dass ihre Glückszahl die 13 ist und natürlich kannte auch ihre erfolgreichsten Songs. Gemeinsam mit einer Freundin schaute ich damals das Video zu You Belong With Me. Und ihre bekanntesten Songs Shake it off und Blank Space, waren nach Erscheinung 2014 überall. Aber darüber hinaus? Wieso bin ich innerhalb weniger Monate zu einem regelrechten Taylor Swift-Fan, einem Swiftie geworden?
Es fing an, als ich im letzten Herbst über Social Media mitbekam, dass Taylor Swifts neues Album Midnights (2022) bald erscheinen sollte. Influencer, denen ich folgte, die aber eigentlich nichts mit Musik zu tun haben, teilten ihre Aufregung über dieses anstehende Event. Und das weckte meine Neugier.
Ich begann also, mich einzulesen, zu recherchieren. Angefangen bei Wikipedia gelangte ich über die Netflix-Dokumentation Miss Americana (2020, große Empfehlung!) schließlich in die Taylor Swift-Fanbase auf YouTube und Instagram. Und was ich da alles erfahren habe, hat mein Bild von ihr reformiert.
“There I was, giving you a second chance, but you stabbed me in the back while shaking my hand.” – This Is Why We Can’t Have Nice Things
Ich kannte Taylor Swift als junge Country-Musikerin, die über mehrere Alben hinweg den Übergang zur Popmusik schaffte. Was ich nicht wusste, ist, dass sie ihre gesamte Karriere hinweg Hass ausgesetzt war. Zum einen natürlich, weil jede in der Öffentlichkeit stehende Person Hass ausgesetzt ist, zum anderen aber auch, weil sie eine Frau in einer von Männern dominierten Branche ist. Und weil sie irgendwann nicht mehr einsah, sich zu fügen: Ein Disput mit Kanye West (und Kim Kardashian) führte letztendlich dazu, dass sie sich 2016 zurückzog und für ein Jahr aus der Öffentlichkeit verschwand. Mit ihrem Album Reputation (2017) gelang ihr ein gigantisches Comeback, neues Image inklusive. Sie war nicht mehr das nette Mädchen von nebenan, das nur über Liebe und Liebeskummer singt. Reputation erzählt von einer starken Frau, die sich wie ein Phönix aus der Asche erhebt.
Info: Die Auseinandersetzung mit Kanye West begann bei den VMAs 2009: Die damals neunzehnjährige Taylor Swift gewann die Auszeichnung „Best Female Video“. Während ihrer Dankesrede betrat Kanye West die Bühne, nahm ihr das Mikrofon aus der Hand und verkündete, dass Beyonce eines der besten Musikvideos überhaupt veröffentlicht habe. Beyonce selbst war das sichtbar unangenehm und als sie später selbst einen Preis entgegennahm, rief sie Taylor Swift auf die Bühne zurück, damit diese ihre Rede beenden konnte. Kanye West entschuldigte sich später dafür. 2016 erschien Kanyes Song Famous, der u. a. die Zeilen „I feel like me and Taylor might still have sex. Why? I made that bitch famous“ enthält. West hatte im Vorlauf der Veröffentlichung mit Swift telefoniert, um ihre Nennung in dem Song sowie potentielle Zeilen abzusprechen. Seine damalige Ehefrau Kim Kardashian filmte das Telefonat heimlich und veröffentlichte Ausschnitte daraus später über Snapchat. Aus der unbearbeiteten Fassung dieses Videos, das 2020 geleakt wurde, geht eindeutig hervor, dass Swift zwar ihr Einverständnis gab, in dem Song genannt zu werden, aber nicht über die konkreten Verse, die es letztendlich in den Song schafften, in Kenntnis gesetzt wurde.
Taylor Swift hat sich zu einer feministischen Ikone entwickelt. Ihre älteren Texte sind zwar nicht sonderlich unproblematisch – der Hit You Belong With Me beispielsweise ist die „Pick Me Girl”-Hymne schlechthin – aber kann man das einer neunzehnjährigen wirklich vorwerfen? Mittlerweile tritt sie offen und lautstark für die Rechte der LGBTQIA+-Community ein (hierzu muss man sich nur einmal das Video zu ihrem Song You Need to Calm Down (2019) anschauen) und kritisiert offen die Doppelmoral bezüglich der Wahrnehmung von männlichen und weiblichen Künstlern in der Öffentlichkeit. Davon handelt auch ihr Song The Man (2019).
„I’m so sick of running as fast as I can, wondering if I'd get there quicker if I was a man. And I'm so sick of them coming at me again, 'cause if I was a man, then I'd be the man.” - The Man
Und sie äußert sich mittlerweile auch politisch, obwohl das für Country-Musiker*innen in den USA ein Tabubruch ist. Entgegen der Empfehlung ihres Managements sprach Swift sich im Vorlauf der Midterms 2018 für den demokratischen Kandidaten ihres Heimatstaates Nashville aus. In der Folge stieg die Registrierung von Wählern in Nashville stark an.
Nach der Veröffentlichung von Reputation wechselte Swift die Produktionsfirma. Ihre ehemalige Produktionsfirma, Big Machine Records, verkaufte 2019 die Rechte an Swifts Alben, ohne sie darüber in Kenntnis zu setzen. Den Deal, der ihr angeboten wurde – je ein neues Album gegen die Rechte an einem ihrer alten Alben einzutauschen –, lehnte sie ab. Sie kündigte stattdessen an, ihre sechs bei Big Machine Records erschienene Alben neu aufzunehmen. 2021 erschienen die Alben Fearless (Taylor’s Version) und Red (Taylor’s Version), 2023 folgte Speak Now (Taylor’s Version). Am 27. Oktober wird 1989 (Taylor’s Version) erscheinen. Diese Alben, obwohl sie ja „nur“ Neueinspielungen bereits erschienener Songs sind, sind erfolgreicher als die Ersteinspielung.
Info: Mehr über die Copyright-Lage in der Musikbranche und den konkreten Fall um Taylor Swift könnt ihr in diesem Video erfahren.
Im Rahmen dieser Neuaufnahmen änderte sie auch den ein oder anderen Vers, sodass die Songs wieder den Werten entsprechen, für die sie eintritt. Im Refrain ihres Songs Better than Revenge (Taylor’s Version) heißt es jetzt „He was a moth to the flame, she was holding the matches“ anstatt „But she’s better known for the things that she does on the mattress.”
Über all das allein ließen sich schon Romane schreiben. Ich finde es beeindruckend, wie Taylor Swift als Frau in diesem Business nicht nur besteht, sondern es umgestaltet. Wie sie sich selbst verwirklicht und über die Jahre ihre Stimme gefunden hat – und wie sie diese Stimme einsetzt. Und dann überzeugt auch noch ihre Musik. Nicht zu Unrecht wird sie immer wieder als „song writing genius“ oder als „queen of bridges” bezeichnet. Es mag nicht jedermanns Genre sein, aber selbst dann muss man anerkennen, wie talentiert sie ist.
“And you call me up again just to break me like a promise, so casually cruel in the name of being honest.” - All Too Well (10 Minute Version) (Taylor’s Version)
Besonders ihre Texte haben es mir angetan. Taylor Swift hat ein Händchen für poetische, lyrische Zeilen. Der BooktuberJack Edwards hat ein ganzes Video zu Literaturverweisen auf den Alben folklore (2020) und evermore (2020). Es gibt ein Buzzfeed-Quiz mit dem Titel Who Said it? – Taylor Swift or Shakespeare? und die Universität Gent bietet im kommenden Semester den Kurs Literature: Taylors Version an.
Der Kurs geht auf die Initiative der Literaturwissenschaftlerin Elly McCausland zurück. Ihr sind immer wieder Bezüge auf Klassiker der englischen Literatur in Swifts Musik aufgefallen, so z. B. im Song The Great War (2022), der Ähnlichkeiten aufweist zu der Art, wie Sylvia Plath über Krieg schreibt. mad woman (2020) verbindet die Darstellung des Patriarchats mit der des Wahnsinns, ähnlich wie Charlotte Perkins Gilmans Kurzgeschichte The Yellow Wallpaper. Und was ist mit Shakespeare? Er und Swift beschäftigen sich mit ähnlichen Themen, werfen ähnliche Fragen auf, so die Literaturwissenschaftlerin.
„But I knew you’d linger like a tattoo kiss I knew you’d haunt all of my what-ifs The smell of smoke would hang around this long ‘Cause I knew everything when I was young.” - cardigan
Ich liebe poetische Sprache und Swifts Alben könnten ohne Musik auch als Gedichtbände veröffentlicht werden. Ich würde sie lesen. Vor allem die Folklore-Alben folklore und evermore, auf denen Swift sich als Geschichtenerzählerin beweist, sind diesbezüglich wahre Highlights. Am bekanntesten ist wohl das Song-Triangle cardigan, august und betty, erschienen auf folklore, in denen die drei Protagonisten eines Love Triangles ihre Sicht der Dinge erzählen. cardigan ist Bettys Perspektive, die zurückblickt auf die Affäre, die ihr Freund James während der High School hatte. In augustkommt August zu Wort, das Mädchen, mit dem James die Affäre hatte, und in betty erzählt er schließlich selbst, was passiert ist. Zu meinen Favoriten auf diesem Album gehört auch der Song this is me trying, in dem es um mentale Gesundheit geht und wie schwer es sein kann, nicht aufzugeben.
“Pulled the car off the road to the lookout Could've followed my fears all the way down And maybe I don't quite know what to say But I'm here in your doorway I just wanted you to know that this is me trying.” - this is me trying
Mir ist beim Schreiben dieses Beitrages bewusst geworden, dass ich fast nur Musik von Männern höre. In der Musikbranche gibt es einfach zu wenige Frauen. Und deshalb macht es mich glücklich, eine Künstlerin für mich entdeckt zu haben, die mich nicht nur musikalisch anspricht, sondern die auch außerhalb ihrer Liedtexte Werte vertritt, die mir am Herzen liegen.
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