Es ist keine neue Erkenntnis, dass wir produktiver sind, wenn wir in einem Raum sitzen, in dem auch andere konzentriert arbeiten; ein Raum, in dem eine fokussierte Atmosphäre herrscht. Deshalb setzen wir uns zum Schreiben von Hausarbeiten gerne in eine Bibliothek: Es ist leise, es gibt wenig Ablenkung und die Hemmungen, mal eben schnell YouTube zu öffnen oder auf Instagram zu scrollen, sind höher als zu Hause am eigenen Schreibtisch.
Eine große Herausforderung im Studium ist die selbstständige Koordination von dutzenden Aufgaben aus verschiedenen Fächern und Kursen. Da kann es schonmal sein, dass die Hausarbeit aufgeschoben wird – zum einen, weil die Abgabefrist zumindest am Anfang noch relativ weit weg ist, zum anderen aber auch, weil eine Hausarbeit ein sehr umfangreiches Projekt ist, von dem sich viele überfordert fühlen.
Die Idee zur Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten (LNDAH) kommt ursprünglich aus den USA. Für eine Nacht im Jahr bleiben die Bibliotheken an den Universitäten geöffnet und die Studierenden schreiben gemeinsam an ihren Hausarbeiten. Seit ein paar Jahren ist die Lange Nacht auch an deutschen Universitäten etabliert. Jedes Jahr am ersten Donnerstag im März findet sie statt, an der Goethe-Universität bereits seit 2011. Veranstaltet wird sie vom Schreibzentrum der Uni. Neben einem Pausenraum mit Snacks und frischem Kaffee gibt es Schreib- und Methodenberatungen, Kurzworkshops und Yogakurse. Über die Lange Nacht 2023 an der Goethe-Uni mit ca. 300 Teilnehmenden hat Deutschlandfunk einen kurzen Radiobeitrag gesendet.
Bei den Studierenden der Goethe-Uni ist die Lange Nacht so beliebt, dass die Nachfrage nach einer zweiten Ausgabe im Jahr immer lauter wurde. Doch die Organisation ist für das Schreibzentrum mit viel Aufwand verbunden: Für die Workshops müssen externe Dienstleister engagiert werden, das Team der Bibliothek muss mit an Bord sein und die studentischen Hilfskräfte brauchen für die Organisation und Durchführung der Langen Nacht viele ihrer Monatsstunden auf.
Und trotzdem gibt es mittlerweile eine zweite Lange Nacht, wenn auch nur im Kleinformat. Seit 2022 veranstaltet das Schreibzentrum der Goethe-Uni im September die Lange Nacht des Schreibens (LNDS). Sie ist – im Gegensatz zu ihrer großen Schwester im März – ausschließlich digital. Von 18 bis 24 Uhr setzen sich die Studierenden in einem Zoom-Raum zusammen. Alle Mikrofone sind ausgeschaltet, die Kameras nach Belieben an. Im Chat und in Breakout-Räumen ist Platz für Austausch. Auf Nachfrage werden Schreibberatungen von den anwesenden Peertutor*innen des Schreibzentrums angeboten. Dieses Jahr haben ca. 50 Studierende daran teilgenommen.
Die Nacht wird strukturiert durch die Pomodoro-Technik. Zunächst längere Einheiten von 50 Minuten, später dann kürzere von 25 Minuten. Ob man sich an diese Einteilung hält, ist allen selbst überlassen. Wenn du mehr über die Pomodoro-Technik erfahren möchtest, schau dir doch mal diesen Beitrag an.
Ich habe bei der Langen Nacht des Schreibens eigentlich nur deshalb mitgemacht, weil ich Peertutorin am Schreibzentrum bin. Eigentlich war ich also dabei, um andere Studierende zu beraten. Denn nach 18 Uhr kann ich nicht mehr konzentriert und effizient an einem so komplexen Projekt wie einer Hausarbeit arbeiten – dachte ich zumindest, weil ich ein Morgenmensch bin. Meine produktivste Tageszeit ist zwischen 8 und 12 Uhr vormittags. Doch natürlich wollte ich bei der LNDS nicht einfach Zeit absitzen. Sechs Stunden darauf warten, dass eventuell jemand eine Schreibberatung braucht, ist kein besonders schöner Zeitvertreib. Also entschied ich, das mit der Hausarbeit zumindest zu versuchen.
Die allgemeine Atmosphäre war da auf jeden Fall sehr hilfreich. Zu sehen, wie andere konzentriert vor ihren Computern sitzen, sich im Chat gegenseitig unterstützen und ermutigen, gibt noch mal eine ganz andere Art der Motivation. Gegen 23 Uhr habe ich dann natürlich auch langsam gemerkt, dass ich mich nicht mehr richtig konzentrieren kann, dass ich müde werde, und dass das Bett – nur zwei Meter von meinem Schreibtisch entfernt – immer verlockender wird. Und dennoch habe ich vier Stunden effizient gearbeitet.
Anschließend an die Lange Nacht – sowohl die im März als auch die im September – veranstaltet das Schreibzentrum der Goethe-Uni die Schreibwoche. Den in der Langen Nacht gewonnenen Flow kann man also direkt in der nächsten Woche fortführen. Von 8 bis 20 Uhr, zu den Öffnungszeiten der Bibliothek, konnten sich alle Interessierten im Gruppenarbeitsraum in der Bibliothek zusammenfinden und dort weiterarbeiten. Kaffee, Tee und Kekse wurden vom Schreibzentrum bereitgestellt. Auch während der Schreibwoche war es möglich, spontan eine Schreibberatung von den anwesenden Peertutor*innen zu bekommen.
Für mich waren diese Angebote irgendwie selbstverständlich. Schon zu Beginn meines Studiums vor mittlerweile sechs Jahren existierten sie größtenteils und schienen für mich somit ein ganz normaler Bestandteil des Universitätslebens zu sein. Doch nicht alle Unis in Deutschland haben Angebote zur Schreibkompetenz und Schreibunterstützung. Das Schreibzentrum an der Goethe-Uni zählt zu den größten in Deutschland. Studierende von anderen Universitäten wussten häufig gar nicht, was ich in meinem Nebenjob eigentlich genau mache und dass es tatsächlich Universitäten gibt, die extracurriculare Angebote zur Entwicklung und Förderung von Schreibkompetenz haben. Und das, obwohl viele Studiengänge das Vermitteln von Schreibkompetenz gar nicht oder nur sehr eingeschränkt in der Studienordnung verankert haben. Deshalb finde ich es rückblickend seltsam, dass ich an den Angeboten des Schreibzentrums lange Zeit nicht teilgenommen habe, obwohl ich schon im ersten Semester darüber informiert wurde. Für Studierende der Goethe-Uni stellen diese kostenlose Angebote eine große Bereicherung des Studiums dar.
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