Es kam mir wie eine sehr dänische Erfahrung vor, als meine Gastfamilie während eines Auslandsaufenthalts in Aarhus mich eines Abends fragte, ob ich mit ihnen eine Fernsehsendung schauen wolle. Spätestens die Tatsache, dass auch der zwölfjährige Sohn der Familie freiwillig mitschaute, schien zu bestätigen: Das hier war eine wichtige Angelegenheit!
Die Angelegenheit trug den Namen „Den store Bagedyst“ und ist das dänische Pendant zu der britischen Backshow „The Great British Bake Off“, die insgesamt in über zwanzig Ländern adaptiert wurde. In Deutschland heißt die Sendung „Das große Backen“.
Das Konzept ist wie folgt: Zehn Kandidaten, allesamt talentierte Hobbybäcker, treten gegeneinander an. Jede Woche erscheint eine Folge, die immer ein bestimmtes Motto hat. In der 11. Staffel gab es zum Beispiel Folgen mit den Themen: „Chokolade i det hele“ (dt.: Schokolade in allen Facetten), „en tur rundt i Danmark“ (dt.: Eine Tour durch Dänemark) und „Blomster“ (dt.: Blumen). In jeder Folge stellen sich die Teilnehmer drei Aufgaben, die immer nach dem gleichen Muster ablaufen:
1. „Favorit-bag“ (dt.: Lieblingsgebäck):
Die Kandidaten backen ein vorgegebenes Gebäck nach eigenem Rezept.
2. „Den hemmelige udfordring“ (dt.: die geheime Herausforderung):
Erst unmittelbar vor der Aufgabe erfahren die Kandidaten, worin diese besteht, und folgen alle dem gleichen Rezept. Oft geht es hier um eine bestimmte Technik oder ein besonders herausforderndes Gebäck.
3. „Mesterværket” (dt.: das Meisterwerk):
In der finalen Aufgabe dürfen die Teilnehmenden sich kreativ austoben. Sie erschaffen individuelle Backwaren nach eigenem Rezept.
Die beiden Juroren, Markus Grigo und Katrine Foged Thomsen, bewerten alle Kreationen und entscheiden ab der zweiten Folge wöchentlich, wer die Show verlassen muss. Zusätzlich wird in jeder Folge das „mesterforklæde“ (dt.: Meisterschürze) an denjenigen überreicht, der in dieser Woche am besten abgeschnitten hat. Der Gewinner der Staffel wird schließlich aus den besten drei Kandidaten im Finale ermittelt.
Insgesamt ist „Den store Bagedyst“ also erst einmal eine klassische Wettbewerbsshow. Begabte Menschen messen sich in einer bestimmten Fähigkeit. Es gibt eine Jury, einen Moderator, Voice Over-Kommentare, O-Töne und zwischendurch immer wieder die gleichen ruhigen Schnittbilder der Außenkulisse, Clausholm Slotspark südlich von Randers in Ostjütland. Als Zuschauer hat man seine Favoriten, fiebert mit, wenn es stressig wird, versucht vorherzusagen, wer ausscheidet oder wer die Staffel gewinnt – und tauscht sich selbstverständlich auch ausführlich darüber aus, welchen Kuchen man jetzt am liebsten essen würde.
Während des Auslandsaufenthalts habe ich nur ein paar einzelne Folgen gesehen, aber irgendetwas sorgte wohl dafür, dass mir die Sendung nachhaltig im Kopf blieb, sodass sich unsere Wege fast sieben Jahre später wieder kreuzten. Dazu kam es letzten Sommer während eines Kurzurlaubs in Odense, als ich ohne große Hintergedanken die 11. Staffel in der Mediathek von dr.dk aufrief. Diesmal wurde mir bewusst, dass „Den store Bagedyst“ nicht nur der leichten Unterhaltung, sondern auch ganz hervorragend dem Spracherwerb dienen kann.
Meine Dänischkenntnisse waren zu diesem Zeitpunkt schon sehr gut, allerdings saß das perfekte Versuchskaninchen hinsichtlich Spracherwerbs neben mir auf dem Sofa – meine Schwester, deren dänischer Wortschatz sich bis dahin auf Vokabeln wie „hej“ und „tak“ beschränkte (und „friske jordbær“, aber das ist eine andere Geschichte). Wir aktivierten die dänischen Untertitel und beschlossen, dass ich ab und zu auf Deutsch zusammenfassen würde, was gesagt wurde. Es zeigte sich jedoch, dass Letzteres mit der Zeit immer seltener nötig war, da meine Schwester durch die Sendung selbst ein gewisses Hör- und Leseverständnis entwickelte – bei mir wiederum erweiterte sich der Wortschatz.
Nun, nach mehreren gesehenen Staffeln, lassen sich einige Rückschlüsse auf Faktoren ziehen, die die Verbesserung unserer Dänischkenntnisse begünstigt haben:
1. Wiederholung
Nicht nur der Ablauf einer Bagedyst-Folge ist immer gleich, auch viele Ausdrücke und Vokabeln fallen in dieser Sendung regelmäßig. Ist die Konsistenz einer Torte perfekt, wenn die Juroren bei der Bewertung ein Stück abschneiden, kommentieren sie das stets mit „Flot snit!“ (dt. „toller Schnitt!“), vor der Enthüllung der zweiten Aufgabe sind die Kandidaten oft „megaspændt“ (dt. „mega gespannt“), und wenn die Zeit so langsam knapp wird, verkündet der Moderator Timm Vladimir: „Der er ti minutter tilbage!“ (dt. „noch zehn Minuten!“)
Auch die Namen von typischen Backzutaten und Zubereitungsarten tauchen immer wieder auf, und spätestens, wenn man dreimal gesehen hat, wie jemand das „mesterforklæde“ überreicht bekommt, weiß man auch, dass es sich dabei um eine ganz besondere Schürze handelt.
2. Visualität
Im Unterschied zu den Themen vieler anderer Fernsehshows, ist Backen eine visuelle Tätigkeit. Man verfolgt die Arbeitsschritte der Kandidaten mit Blicken, während sie erklären, was sie gerade tun. In der Regel überschneidet sich die visuelle und auditive Ebene hier zu relativ großen Teilen, wodurch die Augen dabei helfen können, das Gehörte bestimmten Dingen zuzuordnen. Besonders gut lässt sich das an der „mesterværk”-Runde illustrieren: Bevor die Kandidaten zu backen beginnen, werden ihre Konzepte mit einer animierten Grafik präsentiert, in der Pfeile die einzelnen Bestandteile beschriften. Gleichzeitig stellt die Voice Over-Stimme das Gezeigte vor, wodurch Bild und Ton miteinander übereinstimmen – und man zudem Rechtschreibung und Aussprache einiger Vokabeln auf einen Schlag serviert bekommt. In einer Datingshow oder einer Quizsendung hätte man diesen Effekt zum Beispiel nicht – man sähe dort nur zwei Menschen, die sich unterhalten, hätte aber ohne vorher bestehende Sprachkenntnisse keinen Anhaltspunkt dafür, worüber sie sprechen.
3. Authentizität
Besonders für das Hörverständnis halte ich Sendungen, in denen Menschen als sie selbst auftreten, für besser geeignet als Spielfilme oder Serien, in denen man nur Schauspieler zu hören bekommt. Die Sprache ist näher an der Realität, insbesondere bei Interviewaussagen oder spontanen Reaktionen, die ebenso wenig auswendig gelernt vorgetragen werden wie Äußerungen im Alltag. Wenn sich Ausdrücke einprägen, kann man sicherer sein, dass es auch wirklich Muttersprachler gibt, die sie verwenden, als bei Ausdrücken aus einem Drehbuch.
Zu guter Letzt kommt natürlich auch das kulturelle Wissen nicht zu kurz. In einer Folge wurden die Rezepte den Kandidaten in verschiedenen dänischen Dialekten vorgetragen, und in unserem Urlaub erfreuten wir uns immer daran, wenn wir in einer Bäckerei oder in einem Supermarkt etwas aus der Sendung wiedererkannten. Einen witzigen Moment erlebten wir zwei Touristinnen, als eine Kandidatin näher vorgestellt wurde und wir erfuhren, dass sie aus Kerteminde kam – genau diesen Ort hatten wir an diesem Tag erst besucht.
Wenn ich mir die drei obigen Aspekte so durch den Kopf gehen lasse, fällt mir schließlich auf, dass es sich um Punkte handelt, die für das Sprachenlernen ohnehin essentiell sind. Als ich angefangen habe, Dänisch zu lernen, haben sich mir die meisten Vokabeln und Formulierungen auch eingeprägt, weil sie mir immer wieder begegnet sind. Das war kein aktives Vokabellernen wie in der Schule, sondern vielmehr ein stetiges Zuhören, Lesen und Anwenden.
Im Internet liest man oft von Personen, die ihre Englischkenntnisse durch Videospiele gefestigt haben, was sich auch, neben der Wiederholung, auf die Überschneidung von visuellen und auditiven Elementen übertragen lässt. In einem englischsprachigen Survivalspiel erhält man „wood“, wenn man mit der „axe“ einen „tree“ fällt und legt das Material anschließend in einer „chest“ ab, während man alle vier Dinge gleichzeitig bildlich gezeigt bekommt. Es funktioniert also nicht nur mit Kuchen! Ein bisschen erinnert mich das sogar an die Weise, wie kleine Kinder Sprache lernen. Man zeigt auf eine Katze, erklärt: „Das ist eine Katze“, und ehe man es sich versieht, ist das Kind selbst in der Lage, das Tier richtig zu bezeichnen. Vor diesem Hintergrund überrascht es mich gar nicht mehr so sehr, dass meine plötzlich ein bisschen Dänisch sprechende Schwester letztens eine Packung gehackte Haselnüsse aus einem deutschen Supermarkt hochhielt und stolz verkündete: „hasselnødder!“ Obwohl die Show gar nicht dafür konzipiert wurde, eignet sich „Den store Bagedyst“ also ziemlich gut zum Dänischlernen, auch bei geringen Vorkenntnissen. Zwar wird man allein dadurch die Sprache natürlich nicht fließend sprechen lernen, aber allemal den Wortschatz, das Hörverständnis und, ein klein wenig, auch seine Backkünste verbessern. Wie gut, dass das Format in so vielen Ländern existiert – da kann man direkt mit der nächsten Sprache weitermachen.