Bis vor einigen Wochen kannte ich die junge dänisch-somalische Autorin Amina Elmi noch nicht. Ihr Buch war eine Lese-Empfehlung von Marlene Hastenplug, und ich habe es daraufhin im Literaturkurs vorgestellt. Der Titel der Gedichtsammlung Barbar [Tavshedens objekt] (auf Deutsch: Barbar [Das Objekt der Stille]) machte mich neugierig: Das passt doch nicht zusammen, oder doch?
Der Titel des Buches verweist bereits darauf, worum es Amina Elmi geht: Das was wofür sie in keiner Sprache die passenden Worte findet. Dabei wechselt Elmi in ihren Gedichten und kurzen Prosatexten von sehr sachlichen Formulierungen, gebrochenem Dänisch und poetischen Formulierungen auch mal ins Englische.
Mein erster Lese-Eindruck war, dass es ein sehr sonderbares Buch ist. Ich las an verschiedenen Stellen hinein und stellte fest, dass wirklich alle Gedichte in ihrer Weise verschieden sind. Nicht nur inhaltlich, sondern sie variieren auch stark in Form, Rhythmus, Klang und Länge. Insgesamt betrachtet ist Barbar ist eine lyrische, manchmal liebevolle, manchmal wütende und sehr eigenwillige Gedichtsammlung. Elmi zitiert verschiedene Autorinnen und Autoren, zum Beispiel Tove Ditlevsen und Shakespeare. Sie benennt auch somalische Persönlichkeiten wie Boodhari, den ich nicht kannte. Mich machte Elmi damit neugierig, herauszufinden, wer dieser somalische Dichter ist.
Barbar ist Elmis Debut und 2023 bei Gyldendal erschienen. Es ist eine Gedichtsammlung mit Prolog, vier Akten und Epilog. Jeder Teil besteht aus Gedichten und kurzen Prosatexten. Alle Texte sind in der Ich-Perspektive geschrieben, unterscheiden sich jedoch schon rein äußerlich sehr voneinander. Manche Gedichte bestehen nur aus wenigen Worten. Doch gerade durch die unterschiedlichen Formen ihrer Gedichte, der variierenden Sprache und der verschiedenen Rhythmik, passen alle Texte zusammen gut zu dem Inhalt, der viele Facetten ihres Lebens aufzeigt. Sie schreibt über ihren Vater und ihren Bruder, ihrer Liebe zu einer Frau und über Religion.
Elmi schreibt persönlich, aber auch politisch. In ihren Gedichten geht es um Sprache und Familie, um die Erfahrungen, die sie in ihrem Leben gemacht hat, einem Leben zwischen somalischer und dänischer Kultur. Amina Elmi wurde 1994 in Somalia geboren. Im Alter von drei Jahren kam sie nach Dänemark. Sie lebte und studierte in Aalborg. Mit 23 Jahren zog sie nach Kopenhagen. Im Sommer 2023 beendete sie ihr Studium an der Schriftstellerschule (Forfatterskole). Elmi engagiert sich in der Mariam-Moschee in Kopenhagen für den islamischen Feminismus. Diese Moschee ist die einzige von Frauen geleitete Moschee in Dänemark und ist die erste Frauenmoschee Europas. Elmi ist Muslimin und setzt sich unter anderem dafür ein, dass muslimische Mädchen in der Grundschule ein Kopftuch tragen dürfen. Sie veröffentlicht Podcasts über den Alltag als Muslimin in Dänemark.
Je mehr ich in der Gedichtsammlung Barbar gelesen habe, umso mehr schien ich zu entdecken, auch wenn ich oft nicht genau sagen konnte, was genau das ist. Aber was ich sagen kann: Barbar [Tavshedens objekt], das passt zusammen! Mir gefällt Barbar, das relativ schmale Taschenbuch, mit gerade mal 118 Seiten, und ich kann es sehr empfehlen. In Dänemark hat die Kritik die Gedichtsammlung sehr gelobt, und es wurde schnell zu einem großen Erfolg. Amina Elmi gewann den Debutantpris des BogForum und wurde für den Politikens Litteraturpris 2023 nominiert.
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