Auch ich habe mich im Rahmen meiner Bachelorarbeit, die mit der Note 1,3 bewertet wurde, mit der Frage befasst:
„Open Course als Lernszenarium für eine Hochschule – lassen sich die Potentiale von lose gekoppelten Netzwerken für formale Lernsettings nutzen? Eine Untersuchung der Wissenskommunikation und Wissensteilung im Bloggernetzwerk des Open Course ocwl11 der Universität Tübingen (unter besonderer Berücksichtigung der Rolle der Kurs-Paten).“ Das Erkenntnisinteresse der Bachelorarbeit bezog sich auf die Frage, ob sich die Potentiale lose gekoppelter Netzwerke auch für formale Lernsettings einer Hochschule nutzen lassen. Diese Frage und damit der Untersuchungsgegenstand erhielt durch die Untersuchung der Wissenskommunikation und Wissensteilung im Bloggernetzwerk des Open Course Workplace Learning 2011 unter der besonderen Berücksichtigung der Rolle der Kurs-Paten eine Konkretisierung.
Ausgangspunkt der Arbeit sind die Begründungslinien sowie die möglichen Gefahren für ein Lernen in vernetzten Strukturen (u. a. geringe Halbwertzeit des Wissens, steigende Bedeutung des informellem oder „just in-time“ Lernens, der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens vs. persönliche Meinungen in nutzergenerierten Inhalten, die teilweise quer zu gesicherten, objektiven Expertenaussagen stehen, die wachsende Informationsflut, in der der einzelne vor der Aufgabe steht das wirklich relevante Wissen zu selektieren).
Innerhalb der Bachelorarbeit wurde untersucht, ob sich die in der Literatur postulierten Potentiale eines Lernens in (Blogger-) Netzwerken (z. B. zusätzliche Informationsressourcen, multiple Perspektiven und interdisziplinäre Bezüge durch das Netzwerk), sowie lernförderliche Wissenskommunikationsprozesse (z. B. elaborierte Aussagen/ Gegenargumente, initiierende Frageformen) trotz des Spannungsverhältnisses zwischen Hochschulen und Netzwerken (Hochschule als geschlossenes System mit begrenzten personalen, monetären, zeitlichen und räumlichen Ressourcen etc.) und den veränderten Anforderungen an Studenten und Dozenten (u. a. Medienkompetenz, Grundvernetzung des Dozenten vor der Initiierung eines MOOC, Kritikfähigkeit und die Bereitschaft zum Diskurs der Studenten) im Kurs ocwl11 niederschlagen.
Es wurden im Rahmen der Bachelorarbeit aus der Theorie relevante Merkmalsbereiche abgeleitet, die für erfolgreiche (hochschulische-) Lernprozesse von großer Wichtigkeit sind (tiefes und kritisches Verständnis der vermittelten Inhalte erlangen, sachlogische Diskussion und Reflexion teilweise widersprüchlicher Untersuchungsergebnisse oder Theorien etc.) und durch die Initiierung eines OOC unterstützt (z. B. größere Wissensressourcen, multiple Perspektiven, interdisziplinäre Bezüge) bzw. gefährdet (u. a. zu hohe nicht-aufgabenbezogene Kommunikation, mangelnde Partizipation) werden könnten. Zur Untersuchung dieser Merkmalsbereiche wurden das Forschungsfeld explorierende Fragen formuliert und ein Kategorienschema entwickelt, welches auf die Beiträge und Kommentare im ocwl11 angewendet wurde.
Innerhalb der Untersuchung des ocwl11 als Untersuchungsobjekt, sollten demnach lernförderliche Kommunikationsakte und Diskurssequenzen anhand inhaltsanalytischer und diskursstatistischer Bewertungsverfahren identifiziert werden, um die Qualität der stattgefundenen Wissenskommunikation und Wissensteilung zu beurteilen und darzulegen, welche Rolle die Kurs-Paten zur Erreichung dieser Potentiale spielen und um mögliche Problemfelder aufzudecken.
Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um eine Vollerhebung, da alle Beiträge (111) und Kommentare (280) im Kurs-Zeitraum vom 22.09.2011 bis zum 30.01.2012 untersucht wurden. Auf der Basis der erhobenen Daten und durchgeführten Analysen wurden Hypothesen abgeleitet, die in weiterführenden hypothesenprüfenden Studien untersucht werden können. Die vorliegende Untersuchung bietet damit Implikationen für die Forschung sowie Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung der Theoriebildung bezüglich einer möglichen Integration der Potentiale von Netzwerken in die Hochschullehre in Form von OOCs und trägt dazu bei, ein tieferes Verständnis von Lern- und Wissenskommunikationsprozessen in OOCs zu vermitteln.
Als Erkenntnis der durchgeführten Untersuchung lässt sich formulieren, dass sich die Potentiale von lose gekoppelten Netzwerken zwar für formale Lernsettings einer Hochschule gewinnbringend nutzen lassen (elaborierte Aussagen zu Konzepten und Theorien, kognitive- konfliktauslösende Fragen bzw. Beiträge durch die Paten etc.), jedoch u. a. aufgrund des heterogenen Partizipationsverhaltens nicht garantieren lassen, weshalb im Folgenden Implikationen für die hochschuldidaktische Praxis formuliert werden. Die Ergebnisse der Untersuchung bieten erste Ansatzmöglichkeiten für eine Optimierung der Praxis im Hinblick auf die notwendige Förderung der Studenten im Sinne einer Entwicklung von Netzsensibilität, Partizipations- und Medienkompetenz. Hochschulen sollten daher vor der Initiierung eines OOC in Form einer Trainingsphase die erforderlichen Medienkompetenzen der Studenten ausbauen, damit sie von dem Lernen im Netzwerk profitieren können und nicht zusätzliche kognitive Ressourcen zur Orientierung und Einübung in die Technologien aufbringen müssen. Dazu gehört auch, den Studenten zu vermitteln, dass auch sie Träger von Ressourcen sind und wesentlich zur Stabilität von Kommunikationsprozessen in einem OOC beitragen können. Es muss demnach vor allem die Bereitschaft und die Kompetenz der Studenten für ein Lernen in Netzwerken geweckt, entwickelt und auch aufrechterhalten werden. Das ist auch davon abhängig, wie motivierend das Lernszenario gestaltet ist und inwiefern der Dozent motivierend und steuernd eingreift. Auch zeigt sich, dass aufgrund des neuen Formats und der Einführung einer neuen Rolle (Kurs-Paten) vermehrter Kommunikationsbedarf entsteht, wodurch auch der Veranstalter eines OOC vermehrt vermittelnd und koordinierend die Ziele und Rollen kommunizieren muss. Für solche Kommunikationsanlässe sollte zusätzliche Zeit und u. U. auch ein zusätzlicher Kommunikationsort eingeplant bzw. eingerichtet werden.
Zudem sollte beachtet werden, dass Paten (als Stellvertreter für Akteure im Netzwerk) nicht vollumfänglich die Aufgaben eines Hochschuldozenten ersetzen sollten. Nach wie vor obliegt es Hochschullehrenden, nach didaktischen Kriterien Lerninhalte und –materialien zu selektieren und u. U. auch aufzubereiten, sowie die Qualität der Wissenskommunikation durch eigene Beiträge oder Kommentare zu sichern. Im Falle des ocwl11 sank zudem die aufgabenbezogene Kommunikation aufgrund des Ausbleibens studentischer Beiträge. Hier sollte mitberücksichtigt werden, dass Akteure im Netzwerk nicht für hochschulische Lernprozesse instrumentalisiert werden können. Vielmehr muss von Hochschulverantwortlichen die Idee eines OOC gelebt werden. Hochschulen übernehmen demzufolge bei der Initiierung eines OOC auch eine gewisse Verantwortung für die informellen Lernprozesse der Akteure im Netzwerk, weshalb Strategien für eine durchgängige Motivation und Beteiligung an einem OOC zu implementieren sind.
Prinzipiell stellt sich zudem die Frage, ob ein „mehr“ an Lernpartnern und –ressourcen auch zu einer Steigerung des Lernerfolgs führt, oder eher vom eigentlichen Lernprozess, auch aufgrund von Redundanzen, ablenkt.
Weiterhin konnte zwar gezeigt werden, dass die Studenten in einem OOC mit Erfahrungen aus der Praxis konfrontiert werden, diese Erfahrungen machen sie jedoch nach wie vor nicht selbst und können demnach auch nicht umfassend als Ersatz für eigene praxisnahe Erfahrungen dienen. Die Prüfung des Lernerfolgs der Studenten sowie ihrer Leistungsbewertung sollte zudem nicht durch eine reine Wissenskontrolle erfolgen, sondern auch ihre Aktivitäten innerhalb von OOCs mit bewerten.
Auch sollten Überlegungen angestellt werden, Paten oder Akteuren ihre aktive Partizipation zu bescheinigen/zu zertifizieren, um auch ihre informellen Lernprozesse und –aktivitäten zu würdigen, und somit informelles und formales Lernen zu verschränken.
Aus methodischer Sicht sollten weiterhin Bestrebungen unternommen werden, die stattfindenden Lernprozesse in OOCs zu untersuchen. Die vorliegende Arbeit gibt dabei Aufschlüsse über die Qualität der Wissenskommunikation und Wissensteilung sowie darüber, welche Problemfelder sich dabei ergeben können. Da sich aktuell Projekte wie der ocwl11 mehren, ist es dringend notwendig, in diesem Bereich weitere Forschung, explizit auch intensive Feldforschung zu betreiben, um mehr über die in einem OOC stattfindenden Gruppen- und Lernprozesse zu erfahren, und damit bessere Präventions- und Interventionsmöglichkeiten für die Hochschullehre zu schaffen.
Eigene Beobachtungen weisen darauf hin, dass eine stärker qualitativ-inhaltsanalytische Herangehensweise (z. B. die qualitative Inhaltsanalyse nach Mayring) weitere fruchtbare Erkenntnisse liefern könnte. Zudem sind weitere Untersuchungen notwendig, die die kognitive Belastung der Studierenden und ihren Zeitaufwand erfassen sowie Untersuchungen über den Zusammenhang mit möglichen (besseren) Lernerfolgen als in üblichen Hochschulseminaren.
Zur weiteren Erkenntnisgewinnung sollte durch die Integration unterschiedlicher Datenerhebungsmethoden die individuelle Motivation, die Einstellung zur Teilnahme an einem OOC, die eingesetzten Lernstrategien sowie die Fähigkeit zur Selbststeuerung der Lernprozesse bei den Studenten zusätzlich erhoben werden. Wichtig sind demnach weitere praxisnahe Forschungen in diesem Bereich, um die bestehenden Erkenntnisse zu fundieren und zu erweitern.