Gedanken zur Dichotomie zwischen Original und Reproduktion

Die Dichotomie zwischen Original und Reproduktion wurde im Laufe dieses Seminars häufig diskutiert. Oftmals schien hierbei der Begriff des Originals eng mit dem Begriff der Aura verbunden, während die Reproduktion als Hilfsmittel zur Betrachtung des Originals galt.

Original und Reproduktion ab der Moderne
In Hinblick auf die Fotografie als Reproduktionsmittel scheint weiterhin der Ansatz Charles Baudelaires eine Rolle zu spielen: „Sie muß daher zu ihrer eigentlichen Pflicht zurückkehren, die darin besteht, der Wissenschaften und der Künste Dienerin zu sein, und zwar eine sehr niedrige Dienerin, wie der Buchdruck und die Stenografie, die weder die Literatur geschaffen noch ersetzt haben.“ 1 Dies bezüglich kann die Einteilung in Original und Reproduktion in der Kunstgeschichte nur auf Kunstgattungen und -werke angewendet werden, die sich dem Medium der Malerei und der Skulptur bedienen, denn alle reproduzierbaren Medien, wie etwa die Fotografie, der Film und alle Formen des Drucks, würden aufgrund ihrer Spezifität diese Einteilung unterlaufen. Besonders im Bereich der Fotografie wurde dies im Rahmen des Seminars deutlich. So wurden beim Bildarchiv Foto Marburg die Fotos mit ihrem jeweiligen Trägermaterial, wie beispielsweise die Glasplattennegative, als Original verstanden.2 Auch der Gastvortrag von Dr. Ulfert Tschirner, Kurator der kulturhistorischen Sammlungen für die Museumsstiftung Lüneburg, zeigte, dass ehemalige Reproduktionsmittel, wie Fotografien und Gipsabdrücke, mittlerweile wie Originale behandelt werden.3 Bedeutet dies dann nicht einen ersten Schritt in ein medienarchäologisches Verständnis, wie es Jana Mangold zu Beginn des Semesters vortrug? Denn der Medienarchäologie zufolge gibt es die Dichotomie zwischen Original und Reproduktion nicht, sondern lediglich „Originale“. Demnach gilt es neben der Überwindung dieser Kategorien auch eine Enthierarchisierung der Medien zu erlangen.4 Die Enthierarchisierung der Medien in der Kunst selbst ist spätestens seit den 1960er Jahren mit dem Aufbruch der Gattungen und der Entstehung ephemerer Kunstwerke, die den Einsatz reproduzierbarer Medien, nicht zuletzt für den institutionellen Rahmen, notwendig machten, gegeben. Weiter ist zu überlegen, ob die Überwindung der Kategorien Original und Reproduktion in diesem Zusammenhang nicht auch bereits vollzogen wurde. Denn viele Kunststile der Zeit verwendeten industrielle und serielle Produkte und Methoden um die Autorschaft und die Aura der Werke in Frage zustellen. Die Autorschaft und die Aura, die bekanntlich schon für Benjamin im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit verkümmert,5 steht zumeist in direktem Bezug zum Original und wird über das Serielle negiert, denn es gilt als unwiederholbar und einzigartig. Doch konnte diese Methode den Gedanken des Originals nicht unterlaufen, sondern stärkte es in seiner Auratisierung – nicht nur auf dem Kunstmarkt, sondern auch museal – weiter. Auch durch Werke, die institutionskritisch und -fern (Bsp. Land Art) sein soll(t)en oder eine komplette Entmaterialisierung beinhalten, wie sie sich beispielsweise in den Choreographien Tino Sehgals findet, wird die Aura des Originals weiter fortgeführt. So steigern Werke, die augenscheinlich den Begriff des Originals durch diesen Entzug des Materials in Frage stellen, die Aura durch eine Verknappung und den Gedanken der Einmaligkeit weiter, der wiederum von institutioneller Seite befördert wird.

Digitales Bild
Auch bei der Beschäftigung mit dem digitalen Bild fiel die Frage nach dem Original und der Reproduktion. Das Medium, welches oft als Einleitung des Paradigmenwechsels angesehen wird, verändert nicht nur die Möglichkeiten der Abbildung, der Aufbewahrung und der Zugänglichkeit, sondern vor allem auch die der Bearbeitung. Letztere wird in der digitalen Fotografie nur selten gespeichert und noch seltener transparent gemacht. Die Frage nach dem Original und dem Umgang damit muss hier also neu hinterfragt werden. Besonders spannend ist dies hinsichtlich der Entstehung neuer Kunstwerke, die sich ausschließlich im Digitalen bewegen, diese Werke scheinen in ihrer Auseinandersetzung mit dem Medium der Theorie weit voraus zu sein. Denn während sich kunstwissenschaftliche Institutionen noch mit der Frage, ob und wie sie das Digitale nutzen können, beschäftigen, verwenden Künstler*innen die neuen Möglichkeiten des Mediums bereits in vollem Umfang.6 Wie wirkt sich diese Verwendung auf den Begriff des Originals aus? Einen möglichen Ansatz in der Theorie könnte der neue Materialismus/new materialism bieten, der sich mit den neuen Gegebenheiten und Werken auseinandersetzt.

Neuer Materialismus und die Post-Internet Art als Wegweiser für die Kunstgeschichte
Während in der Postmoderne noch alles als konstruiert und als soziales Artefakt galt und im Zuge des „cultural turns“ alles als Kultur begriffen wurde, stehen nun vor allem Codes im Zentrum. Weiter fokussiert der neue Materialismus im Gegensatz zur Postmoderne, dass die Welt auch ohne die Vermitteltheit durch den menschlichen Geist und dessen Vorstellungen, existiert. Künstlerisch eng mit diesem Ansatz verbunden ist die Post-Internet Art. Hier wird zumeist „found footage“ aus dem Internet in Form von Bildern, Videos, usw. zu neuen Arbeiten zusammengesetzt. Manche Arbeiten bestehen rein aus digitalen Animationen. Über neue Distributionswege werden die Werke meist frei von Ort und Raum zugänglich gemacht. So werden Texte, Videos und weitere digitale Arbeiten auf eigenen Internetseiten, auf allgemeinen Videoplattformen wie Youtube oder Vimeo präsentiert und oftmals werden diese sogar kostenfrei zum Download angeboten. Es gibt keine ephemeren Kunstwerke, die durch eine Verknappung die Erfahrung des Originals notwendig machen, auch gibt es keine ortsspezifischen Werke mehr, die ein Erfahren an einem bestimmten Ort vorsehen. Aufgrund dieser Punkte, gibt es keinerlei Unterscheidung bei der Betrachtung von „Original“ und „Reproduktion“, wobei diese Begriffe nicht mehr angewendet werden können, denn der neue Materialismus und die Digitalität bieten keine Unterscheidung zwischen Objekten mehr u.a. aufgrund ihrer Code-Materialität. Deutlich macht dies auch Kerstin Stakemeier: „War das Digitale damals fremde Welt aus Imitationen, nicht ganz täuschend echt, ist es heute Signatur der Welt, realer als ihr Gegenüber, materieller als es. Die Authentizität der Kopie steht außer Frage, aber die Realität des Originals ist gegenwärtig stark zu bezweifeln.“7

Diese Entwicklung zeigt, dass zeitgenössische Künstler*innen bereits einen Weg eingeschlagen haben, der für die Kunstgeschichte einen medientheoretischen Ansatz, nicht nur wegen der verwendeten Medien, zwingend notwendig macht. Der neue Materialismus bietet einen Ansatz für eine Theorie, die kunstgeschichtlich angewandt werden kann.

 

1 Baudelaire, Charles: Die Fotografie und das moderne Publikum (1859) in: Kemp, Wolfgang (Hg.), Theorie der Fotografie I. 1839-1912, München 1980, S.111 
vgl. Exkursion zum Bildarchiv Foto Marburg
vgl. Gastvortrag ‚Mediale Konstellationen: Museum, Photographie und Reproduktion‘
4
vgl. Die Kunstgeschichte – ein Grabungsfeld für die Medienarchäologie?
5 vgl. „Was im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit des Kunstwerks verkümmert, das ist seine Aura.“ Benjamin, Walter: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. deutsche Fassung 1939, in: ders., Gesammelte Schriften. Band I, Frankfurt am Main 1980, S. 477
6 So gibt es beispielsweise den Arbeitskreis Digitale Kunstgeschichte, der sich im Bereich der Digital Humanities bewegt. Allerdings ist das Themenfeld der Digitalen Kunstgeschichte (auch nach eigener Aussage) noch sehr variabel und offen und befindet sich noch in der Experimentierphase.
7 Stakemeier, Kerstin: Krise und Materialität in der Kunst: über Formwerdung und Digitalität in: Witzgall, Susanne und Stakemeier, Kerstin (Hgg.), Macht des Materials – Politik der Materialität. Schriftenreihe des cx centrum für interdisziplinäre Studien der Akademie der Bildenden Künste München, Zürich 2014, S. 195 

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