Morning Pages

Vor einigen Wochen wurde ich auf die Schreibübung „Morning Pages“ aufmerksam gemacht. Dabei geht es darum, möglichst direkt nach dem Aufwachen Stift und Papier zur Hand zu nehmen und draufloszuschreiben. Einfach die Gedanken verhandschriftlichen, die einem durch den Kopf schießen, einfach den Worten freien Lauf lassen, bis drei DIN-A4-Seiten vollgeschrieben sind. Worte im Sinne richtiger Rechtschreibung und Sätze richtiger Grammatik müssen es dabei gar nicht sein, auf dem Blatt vor einem können Emotionen oder gedankliche Schreie auch einfach als Lautmalereien festgehalten werden. Die Idee stammt von Julia Cameron, die die Methode in ihrem Buch The Artist’s Way. Morning Pages Journal: A Companion Volume to The Artist’s Way 1995 erstmals näher beschreibt.

Der Gedanke dahinter ist, den morgendlichen Zustand geistiger Dämmerung zu nutzen, um das Chaos im Kopf zu ordnen und loszulassen und anschließend fokussiert in einen kreativen Tag starten zu können. Quasi wie eine Achtsamkeitsübung, die sich positiv auf die Psyche auswirken kann. Das Schreiben von Morning Pages soll die angesammelten negativen Gedanken abschütteln und Blockaden lösen, sodass danach Kreativität und Produktivität voll ausgeschöpft werden können. Außerdem soll es dabei helfen, Erinnerungen, Gedankenströme und Gefühle aufzuschreiben und einen Zugang zu ihnen und damit sich selbst zu bekommen, was schließlich auch zu der Entwicklung neuer Perspektiven und Ideen führen kann. Dieser experimentelle Stil, Gedankenwirrung so unzensiert wie möglich niederzuschreiben, findet sich schon in Romanen wieder, wie z.B. in Dorothee Elmigers Aus der Zuckerfabrik.

Während ich den Text zu diesem Beitrag schreibe, merke ich, dass ich die Methode streng genommen noch gar nicht wirklich selbst ausprobiert habe. Weder an die feste Regelung mit drei Seiten, nicht mehr und möglichst auch nicht weniger, noch an die Vorgabe, meine Gedanken ungefiltert und nicht mit dem Ziel eines zusammenhängenden Textes aufzuschreiben, habe ich mich gehalten. Und da ich sowieso eher dazu neige, morgens länger zu schlafen und entsprechend wenig Zeit habe, um mich für die Tätigkeiten des Tages vorzubereiten, bleibt das Zeitfenster für die Morning Pages oft kurz und ungenutzt. Ein weiteres Problem: Entweder möchte ich liegen bleiben oder aber mit Frühstück oder Sport in den Tag starten, nicht direkt mit der ungemütlichen und ungesunden Sitzhaltung am Schreibstich, die mir sowieso noch bevorsteht. Also liegen Stift und Papier meist schon nachts direkt neben meinem Bett.

Zweimal habe ich mir die Zeit genommen, um nach dem Aufwachen beides zur Hand zu nehmen und einfach loszuschreiben. Doch das Ergebnis war nicht wirklich das nächtliche Chaos meiner Träume, sondern in beiden Fällen zusammenhängende Texte; der eine doch recht experimentell und lyrisch, der andere eine Kurzgeschichte, deren Grundidee mir schon länger vorschwebte. Zum einen komme ich recht schnell in einen Schreibfluss, der auf dem aufbaut, mit dem ich beginne zu schreiben, und die Fortsetzung sich so relativ automatisch ergibt. Zum anderen kann ich mir kaum vorstellen, schnell genug zu schreiben, um chaotischen Gedankenströmen zu folgen. Das mag an mangelnder handschriftlicher Übung liegen, an meinem Hang zu sehr kleiner Schrift, den kleinen DIN-A5-Seiten meines Notizheftes oder auch der halb liegenden, halb sitzenden Lage im Bett. Im Endeffekt fügt sich mein Schreiben dem einfacheren Entlanghangeln an einer zusammenhängenden, mehr oder weniger gezielten Handlung.

Darüber bin ich aber auch gar nicht böse. Auch so kann ich Positives aus den Morning Pages ziehen und empfinde es als meine Freiheit, die Regeln für mich anzupassen. Drei DIN-A4-Seiten in Handschrift wirken auf mich wie eine relativ große, viel Zeit beanspruchende Aufgabe, die mich eher abschreckt. Selbst wenn ich nicht unbedingt das Gefühl habe, meinen Kopf freizubekommen und gedankliche Wirrungen zu Papier zu bringen, bin ich dennoch froh darüber, überhaupt zum kreativen Schreiben zu kommen. So kann ich zumindest Kurzgeschichten und Ideen verwirklichen, die ich ansonsten nur im Hinterkopf habe, oder ganz neu entdecken. Denn normalerweise sind da immer Aufgaben und Texte fürs Studium, die geschrieben werden wollen, oder andere Dinge, die mich zum Prokrastinieren und Aufschieben meines kreativen Hobbys bringen. Und da viele Einfälle häufig unter der Dusche, auf der Toilette oder eben im Halbschlaf kommen, finde ich es eine gute Idee, sich morgens kurz Zeit für die Kreativität zu nehmen.

Hast Du eine Morgenroutine, die kreativen Platz lässt?


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