Studienbeginn unter Corona-Bedingungen

© Frank Rumpenhorst, dpa

Ein Beitrag in den tagesthemen vom 5.11.2020 schildert die Situation von Studierenden in einem Online-Semester an der Universität in Landau. „Online-Vorlesungen, keine Partys, keine Lerngruppen“, heißt es im ersten Absatz der schriftlichen Zusammenfassung und damit werden einige der Probleme genannt, mit denen Studierende sich auseinandersetzen müssen. Doch der Beitrag gibt nur einen kurzen Überblick und somit wird das Kernproblem doch nicht richtig benannt.

Fehlender Kontakt zu Studierenden und Dozierenden

Ein Studium an einer Universität zu beginnen ist für viele schon unter normalen Bedingungen eine Herausforderung. Im ersten Semester begegnen Studierenden so viele neue Begriffe und Abläufe, dass es schon ein paar Wochen braucht, um durchzublicken. Die vielen unterschiedlichen Institutionen und Internet-Plattformen können zunächst überfordern. Immerhin gibt es in einem „normalen“ Semester Orientierungsveranstaltungen, die in diesem und im letzten Semester coronabedingt leider ausfallen mussten. Primär dienen diese dazu, den neuen Studierenden einen Überblick über ihr Studienfach zu geben und das Institut und den Lehrkörper kennenzulernen, doch viel wichtiger ist, dass diese Veranstaltungen die Möglichkeit bieten, Mitstudierende kennenzulernen, sowohl Neueinsteiger als auch fortgeschrittenere Studierende aus der Fachschaft. Was passiert, wenn dieser Aspekt wegfällt?

Wir haben drei Erstsemester aus unterschiedlichen Fachbereichen der Goethe-Universität zu ihrer aktuellen studienbezogenen Situation befragt. Schwierig war für alle die Orientierung zu Beginn. „Ich hatte Schwierigkeiten, alleine an alle nötigen Infos zu gelangen. Ich war sehr nervös am Anfang und mir fiel es schwer, die Online-Lehre von zu Hause aus zu koordinieren“, schreibt Linda. Birdal, der seit diesem Wintersemester Erziehungswissenschaften studiert, erzählt: „Vor allem die Anmeldung für die Kurse und die generelle Koordination [des Studiums] war außerordentlich unübersichtlich.“ Die Tatsache, dass andere Studierende alle etwas anderes behaupten und sich niemand wirklich sicher zu sein scheine, was zu tun sei, mache es nicht einfacher. Miriam bemängelt, dass man einfach nicht wisse, wie die verschiedenen Plattformen funktionieren und welche man wofür brauche. Je nach Fachbereich und Veranstaltung werden unterschiedliche Internet-Plattformen benutzt: synchrone Seminarsitzungen werden häufig über Zoom abgehalten, asynchrone Lehrveranstaltungen laufen über den Uni-internen Server OLAT, dazu kommen das Online-Bibliothekssystem, das QIS/LSF, der Mailserver Horde, sowie einige andere, über die Lehrmaterial zur Verfügung gestellt oder Videokonferenzen abgehalten werden. 

Online-Unterricht

Zwar bieten viele Fachbereiche Unterstützungsangebote an und Orientierungsveranstaltungen wurden online abgehalten, doch das Kernproblem – der fehlende Kontakt zu anderen Studierenden oder der persönliche, direkte Austausch mit Dozierenden – löst das nicht. Die Online-Lehre erschwert den Kontakt unter Studierenden vor oder nach dem Seminar. Im Seminarraum säße man nebeneinander und könnte sich kurz über das Gelernte austauschen, im digitalen Raum ist das nicht möglich: In den Online-Formaten gibt es keine Sitznachbar:innen und nach Ende eines Seminars loggt man sich aus dem Programm aus und ist wieder für sich. Viele Erstsemester erstellen untereinander Whatsapp-Gruppen, um sich austauschen zu können, doch das ist nicht für alle ein adäquater Ersatz. Vor allem introvertierten Personen fällt es schwer, auf diese Weise Kontakte zu knüpfen. Es ist nicht einfach, über Textnachrichten zu kommunizieren, wenn man sich noch nicht gut kennt. Ohne die nonverbale Ebene eines Gesprächs fällt es umso schwerer, die anderen kennenzulernen. Auch kostet es oft mehr Überwindung, eine fremde Person schriftlich anzusprechen, als persönlich im Kontext der gemeinsam besuchten Veranstaltung auf diese zuzugehen.

Vorteile des Online-Unterrichts

Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass das Online-Studium auch Vorteile bietet. Die nicht vorhandenen Anfahrtszeiten an die Uni ermöglichen eine flexiblere Alltagsgestaltung, meint Miriam. Gastvorträge lassen sich einfacher organisieren, weil die Vortraghaltenden nicht erst anreisen müssen. Auch lassen sich Kooperationen zwischen Universitäten in Form von Kurszusammenführungen besser koordieren. Die digitale Lehre bietet die Chance zur besseren Vernetzung. Zudem kann auch mit leichten Erkrankungen am Unterricht teilgenommen werden, ohne andere anzustecken und Gruppenarbeiten lassen sich einfacher organisieren, wenn man nicht erst nach einem gemeinsamen Arbeitsplatz suchen muss.

Und gerade Vorlesungen profitieren von der digitalen Lehre: Anstatt sich in einem überfüllten Hörsaal zu setzen, wo dann die Hälfte der Anwesenden lieber auf dem Laptop Serien schaut oder am Handy hängt und wo es aufgrund der Lautstärke schwerfällt, 90 Minuten konzentriert zuzuhören, kann man sich die Vorlesung auch in Ruhe zu Hause anhören, in höherer Geschwindigkeit, wenn gewünscht, oder sogar mehrfach. Die Vorlesung, eine Lehrveranstaltung, die eigentlich schon längst überholt ist, ließe sich in Form eines Podcasts ganz einfach digitalisieren.

Optimal ist die Online-Lehre leider noch lange nicht und das Campus-Leben kann sie – bisher – noch nicht ersetzen. Der Austausch mit anderen Studierenden und Dozierenden ist ein nicht zu unterschätzender Teil des Studiums, seien es ausführlichere Gespräche in der Mensa oder ein kurzer Austausch zwischen zwei Seminaren oder Vorlesungen über das eben gelernte.

Präsenzunterricht unter Corona

Vereinzelt gibt es Präsenzveranstaltungen an der Universität, z. B. bietet das Institut für Philosophie Tutorien in Präsenz an. Zwar bieten sie die Möglichkeit, Mitstudierende und Dozierende kennenzulernen, doch in Zeiten von Corona ist auch das nicht so einfach. Die neuen Hygienemaßnahmen können verunsichern: Wie nah darf ich einer Person in einem geschlossenen Raum noch kommen, wenn wir beide eine Maske tragen? Und erlaubt es diese Person überhaupt, dass ich sie anspreche, oder ist meine Kontaktaufnahme ein Eindringen in deren (psychischen oder physischen) Sicherheitsradius? Aufgrund der steigenden Infektionszahlen fühlen sich nicht alle wohl dabei, sich in die Seminarräume zu setzen. Hinzu kommen die Anfahrten an den Campus. Vor allem für Studierende, die nicht in Frankfurt wohnen, stellen lange Bahnfahrten ein unerwünschtes Risiko dar. 

Motivationsprobleme

Ein weiteres Problem, von dem alle Befragten berichten, ist fehlende Motivation im Homeoffice. Linda kritisiert vor allem die einseitige Art des Lernens in diesem Semester. Besonders in asynchronen Veranstaltungen sind Studierende auf selbstständiges Lernen und Erwerben von Kenntnissen angewiesen. Es gibt keine Möglichkeit, direkt auf Dozierende zuzugehen und Fragen zum Verständnis zu stellen. „Ich sitze den meisten Teil des Tages am Schreibtisch und am Computer“, schreibt Linda: „Hauptsächlich besteht der Arbeitsaufwand aus Vorlesungen anhören und nacharbeiten, teils muss ich mir die Vorlesungsfolien komplett selbst erarbeiten; viel Zeit verbringe ich tatsächlich damit, Folien mehrmals durchzulesen, um sie zu verstehen. Manchmal lese ich [theoretische] Texte, manchmal bearbeite ich Übungsaufgaben. Es ist anstrengend und oft unmöglich, bei alle dem die Konzentration aufrecht zu erhalten. Besonders wegen der Monotonie des Arbeitsplatzes und des Mangels an Bewegung.“ Abwechslung findet sich höchstens außerhalb des Uni-Alltags, doch der Arbeitsaufwand sei hoch, da bleibe wenig Zeit für Freizeitaktivitäten, schreibt Birdal. Überforderungist die Folge. 

Fehlende Unterstützung durch Fachbereiche

Auch an Ansprechpartnern mangle es. Nicht alle Fachbereiche kommunizieren deutlich, an wen sich ihre Studierenden mit welchen Problemen und Fragen wenden können. In den Erziehungswissenschaften gebe es die MoPS, ein Servicecenter für Fragen rund ums Studium, erzählt Birdal. Auch Miriam fühle sich in der Skandinavistik gut unterstützt, in ihrem Hauptfach Philosophie sei das weniger der Fall, was vermutlich daran liege, dass es ein größerer Studiengang ist.

Studium als Notlösung

Zudem ist das Studium nicht für alle die erste Wahl gewesen. Miriam habe eigentlich in Augsburg Medien und Kommunikation studieren wollen. „Wegen Corona hatte ich meine Möglichkeit verloren, Geld anzusparen und daher fiel die Option für mich weg, in eine andere Stadt zu gehen.“ Linda berichtet, dass sie eigentlich Schauspiel studieren wollte, doch die Bewerbung an Schauspiel-Schulen erfolge aufgrund der Corona-Maßnahmen unter erschwerten Bedingungen. Das Studium an der Goethe-Universität sei eine Art Notlösung gewesen. Auch deshalb sei sie auch nicht zufrieden mit ihrer Studiensituation.

Fazit

Ein Studium unter Corona stellt also vor allem für Studienanfänger:innen eine Herausforderung dar: Orientierungslosigkeit, Motivationsmängel, fehlender Ausgleich zum Studienalltag und Überforderung. „Für die Zukunft fände ich es am besten, wenn die Veranstaltungen zwar vor Ort sind, man aber dennoch die Möglichkeit hat, alles von zuhause aus zu machen“, sagt Miriam. Es ist sicherlich nicht falsch, auch langfristig digitalen Unterricht anzubieten. Während viele darüber reden, zum Status quo vor Corona zurückzukehren, sollte man vielleicht besser versuchen, die Vorteile der digitalen Lehre in den Alltag der Universitäten dauerhaft zu etablieren. Es sollte über eine Kombination des digitalen und analogen Studiums nachgedacht werden. Corona hat gezeigt, was digital schon alles geht. An diesem Punkt könnte und sollte man ansetzen und weiterdenken: Wie können wir ein Hybrid-Studium möglich machen?

2 Kommentare bei „Studienbeginn unter Corona-Bedingungen“

  1. Ich kann den Punkten die in dem Text angesprochen werden nur zustimmen. Zwar bin ich kein Ersti sondern studiere bereits in meinem 7. Semester, doch das macht die Probleme nicht zwingend kleiner. Am meisten belastet mich das von zu Hause aus arbeiten. Zwar habe ich zu Hause meist meine Ruhe, jedoch fällt es mir besonders schwer das Lernen für die Uni von meinem Privatleben/ meiner Freizeit zu trennen da ich beides am selben Ort mache, wodurch es schwerfällt beides sauber voneinander zu trennen. Zu Hause lässt es sich auch besonders gut ablenken, manchmal erschein einem selbst Hausarbeit interessanter als Folien auswendig zu lernen. Der Kontakt zu meinen Mitstudierenden/Freunden aus der Uni fehlt mir auch sehr, wir schreiben zwar viel auf WhatsApp und treffen uns einmal in der Woche auf Discord zum labern, das ist jedoch nicht das Selbe und kein auf dauer guter Ersatz für ein richtiges Treffen. Auch schade finde ich, dass besonders für die Studenten in den Naturwissenschaften die Praktika wenn dann nur unter erschwerten Bedingungen stattfinden können, was für einige, (mich Eingeschlossen) eine zusätzliche Belastung ist.
    Zum Abschluss noch zwei kurze Fehler die ich im Text gefunden habe:
    Bei ‚Vorteile des Online-Unterrichts‘ im 2. Absatz steht ‚Anwesen‘, richtig wäre ‚Anwesenden‘
    Bei ‚Fehlende Unterstützung durch Fachbereiche‘ im 2. Satz müsste man das ‚mich‘ durch ‚mit‘ ersetzen.

    1. Liebe Leoni,
      vielen Dank für deinen Kommentar und die Korrekturen. Das habe ich mal eben schnell überarbeitet. Leider übersieht man so etwas auch bei mehrmaligem Korrekturlesen 😀
      Das mit der Ablenkung zu Hause ist definitiv ein Problem, das ich auch kenne. Und es ist wirklich anstrengend, dass Lernen und Freizeit im selben Raum stattfindet und man immer den Schreibtisch vor Augen hat.

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