Prokrastination und Gefühle – ein Workshop der psychosozialen Beratungsstelle der Goethe-Universität Frankfurt.

„Ach, das erledige ich morgen!“, „Ich mache erst noch meine Wäsche, bevor ich mich wieder an meine Bachelorarbeit setze!“ oder auch „Für die Steuererklärung habe ich ja noch bis Ende Juli Zeit!“. Falls du diese Art der Gefühlslage nicht nachvollziehen kannst – herzlichen Glückwunsch! Ein Leben ohne Prokrastination ist sicherlich das ruhigere.
Falls du dich hingegen schon hier abgeholt fühlst – herzlich willkommen! Du bist nicht allein.

Prokrastination beschreibt das Aufschieben von Aufgaben und begleitet mich gefühlt schon immer. Besonders bei Aufgaben, die mir unangenehm erscheinen, vor denen ich Angst habe oder die mich mit Unsicherheiten zurücklassen. Deshalb wollte ich unbedingt wissen, was meine Gefühle mit meiner Prokrastination zu tun haben und welche Taktiken empfohlen werden, um besser damit umgehen zu können. Mit der Thematik beschäftige ich mich schon lange, deswegen wollte ich meinen Horizont erweitern und nahm an einem Zoom-Workshop teil, dessen Anmeldung für alle Interessierten offen stand.

Über 120 Studenten waren angemeldet, tatsächlich teilgenommen haben dann zumindest noch 50. Eventuell hat die Prokrastination schon hier den einen oder anderen Teilnehmer davon abgehalten, sich in den Zoom-Call einzuwählen.

Während des Einstieges beschäftigten wir uns via Mentimeter mit den Dingen, die uns ablenken. Unser Smartphone, der PC, die liegengebliebene Hausarbeit. Welche Gefühle löst das Aufschieben in uns aus? Angst war hier wirklich ein großer Punkt, aber auch Scham, Stress, Verzweiflung und eine starke Ablehnung gegenüber dem eigenen Verhalten.

Es wurde ein Zitat gezeigt, mit welchem sich die Mehrzahl der Teilnehmer identifizieren konnte:

„Wenn ich Zeitmanagement-Tipps anwenden könnte, würde ich ja nicht aufschieben. Gerade weil ich es nicht hinbekomme, diese anzuwenden, fühle ich mich so schlecht. Das ist ein Teufelskreis!“

Wir sprachen darüber, dass Prokrastination zwar für den Moment ein besseres Gefühl verbreitet, da man eine unschöne Aufgabe auf später verschiebt. Jedoch war auch die Folge dessen klar: Das kurze, gute Gefühl ist nicht von Dauer und wir fühlen uns zu einem späteren Moment schlecht. Und das dann auch noch in höherem Maße, denn wir haben unsere Aufgabe ja nun noch länger nicht erledigt. Und dafür wieder reichlich unsere Ablenkungsquellen genutzt: Plötzlich ist die Wohnung zur Klausurenphase so sauber wie Monate zuvor nicht oder man hat stetigen Zuwachs auf dem eigenen Instagram-Kanal, besucht die Eltern häufiger und sogar die Steuererklärung erscheint aus heiterem Himmel attraktiv.

Besonders durch das Aufschieben von Lerneinheiten vor Klausuren wird bei einem großen Teil der Lernenden die Prüfungsangst gesteigert. Dadurch gerät man selbst in einen Teufelskreis: Das Lernen bereitet einem ein unangenehmes Gefühl, man bekommt Versagensängste, gerät dadurch in Stress und prokrastiniert wieder, wodurch man weiterhin auf der Stelle tritt.
Oft ist hier auch der eigene Perfektionismus ein wirklicher Endgegner: Unsere Standards an uns selbst sind oft so viel höher als die, die wir anderen Personen gegenüber hegen. Man stellt infrage, ob man der anstehenden Klausur überhaupt gewachsen ist.

Durch regelmäßiges Aufschieben wird ebendieses aber leider zu einer Gewohnheit. Wir brauchen das kleine Erholungs-Belohnungserlebnis des kurzen, guten Gefühls immer häufiger und können süchtig nach dem Aufschieben werden.
Zum Thema Sucht: Procrastineating wird auch zu einem immer größer werdenden Thema. Man isst lieber etwas, anstatt mit der unliebsamen Aufgabe anzufangen. So hat man sogleich ein doppeltes Belohnungsgefühl: Man isst etwas Leckeres UND kann gleichermaßen noch eine unliebsame Aufgabe aufschieben.

Was während des Vortrages ganz klar wurde: Wir schieben aus komplett irrationalen Gründen auf, weil unsere Emotionen uns lenken. Deswegen sind Ratgeber oft wenig hilfreich, da sie versuchen, ein irrationales Problem mit rationalen Ansätzen zu lösen.

Fördernder für die eigene Selbstfürsorge ist dagegen, genau in sich hineinzufühlen, warum man exakt diese Aufgabe aufschiebt. Welches Gefühl löst das Aufschieben in mir aus? Auf welchen Ausgleich kann ich zurückgreifen, um mit diesen Gefühlen besser umgehen zu können? Beispielsweise eine Runde Yoga oder Meditation gegen aufkeimenden Stress. Oder ein Gespräch mit einem Freund oder einer Freundin, wenn man sich mal wieder nicht gut genug fühlt. Man sollte seine Gefühle ernst nehmen und ihnen Raum geben, so dass man die eigenen Schwierigkeiten an der Wurzel packen kann, ohne sich mit einem Wandtattoo eines schlauen Spruches à la ‚Carpe Diem‘ selbst zu blenden, weil man diese Einstellung (zumindest noch!) nicht aktiv leben kann.

Jedoch sollte man auch in Betracht ziehen, dass das Aufschieben tiefere Gefühle auslöst:
Ist das Ziel, das ich aufschiebe, überhaupt das Richtige für mich? Vielleicht möchte ich gar nicht BWL studieren, auch wenn der Studiengang in meiner Familie einen großen Prestigewert genießt.
Bin ich mit meinen Aufgaben überfordert und mir fehlt tatsächlich noch Wissen, um die Aufgabe zu erledigen? Vielleicht frage ich im Freundeskreis, ob mir jemand mit dem Elster-Programm für die Steuererklärung helfen kann.
Ist die Aufgabe, die ich aufschiebe, unklar gestellt? Vielleicht sollte ich lieber noch einen Sprechstundentermin mit meiner Dozentin oder meinem Dozenten ausmachen, um die Fragestellung meiner Hausarbeit noch einmal durchzusprechen.

Sprecht mit den Menschen, denen ihr vertraut, oder denen ihr zutraut, dass sie euch in eurer Situation helfen können. Sprecht auch mit Dozenten über eure Gedanken. Ihr hättet den Blick sehen sollen, als ich zum ersten Mal einer Professorin erzählte, dass es mir sehr schwer fällt, Hausarbeiten abzugeben – in dem Maße, dass ich knapp 20 fertig geschriebene Hausarbeiten auf meiner Festplatte habe, die ich nie abgegeben habe, da sie meines Erachtens nicht gut genug waren. Vielleicht können die Menschen in eurem Umfeld nicht nachvollziehen, was ihr genau fühlt – aber zumindest erfahren sie so, dass euch nicht die große Faulheit heimgesucht hat, sondern dass ihr mit etwas zu kämpfen habt.

Mitgenommen habe ich aus dem Workshop die Idee, dass auch ich vielleicht mal die weiteren Angebote der psychosozialen Beratungsstelle nutzen könnte, wenn es mal wieder etwas schlimmer wird. Darüber hinaus viele neue Impulse und Ideen gegen das Aufschieben und das beruhigende Wissen um eine ganze Menge an Menschen, denen es genauso geht. Mit denen ich nun auch teilweise über eine gemeinsame WhatsApp/Signal-Gruppe in Kontakt stehe und man sich zu Lern-Sessions via Zoom oder Skype verabredet, so dass man sich nicht so leicht ablenken lässt. Dies soll kein Plädoyer dafür werden, dass man sich auf der Prokrastination ausruhen soll – aber was spricht dagegen, offener damit umzugehen und gemeinsam etwas dagegen zu tun?

Herzlichen Dank an Thomas Abel für diesen Workshop! Ich kann euch das Angebot nur empfehlen.

Schiebst du Dinge auch gerne auf?

https://www.studentenwerkfrankfurt.de/beratung-service/psychosozialberatung

Und noch ein paar Lesetipps aus der Veranstaltung:

• Höcker et al. (2017). Heute fange ich wirklich an! Prokrastination und Aufschieben überwinden – ein Ratgeber. Hogrefe.

• Pychl, T. (2013). Solving the Procrastination Puzzle: A Concise Guide to Strategies for Change.

• Rückert, H.W. (2011): Schluss mit dem ewigen Aufschieben. Campus Verlag.

• Sen, J. (2016). Um Prokrastination zu überwinden, musst du zuerst die Emotionen verstehen, die involviert sind. http://erfolgsakademie.tv/prokrastination-ueberwinden/

https://www.studentenwerk-leipzig.de/sites/default/files/kleine_hilfen_zum_umgang_mit_negativen_gefuehlen.pdf

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