Jette Kaarsbøls Debutroman Das Versprechen der Ehe (2003, dän. Den lukkede bog) war in Dänemark ein großer Erfolg. Ausgezeichnet mit dem dänischen Buchhändlerpreis De Gyldne Laurbær ist der Roman eines der erfolgreichsten Bücher auf dem dänischen Buchmarkt der letzten Jahrzehnte und wurde 2006 von Christel Hildebrandt ins Deutsche übersetzt. Wirklich erfolgreich wurde der Roman in Deutschland jedoch nicht, deshalb blieb es bei einer Auflage.
Ich habe das Buch zufällig in einem öffentlichen Bücherschrank gefunden. Erst wollte ich es gar nicht mitnehmen, denn der Titel, das Cover und auch der Klappentext vermittelten mir den Eindruck eines kitschigen Liebesromans. Aber weil es ein Buch einer dänischen Autorin war, habe ich mich umentschieden. Und was soll ich sagen? Es hat mich sofort gefesselt. Von Anfang an wird deutlich, dass das viel mehr ist als eine einfache Liebesgeschichte.
Der Roman spielt größtenteils in den 1870er und 1880er Jahren in Kopenhagen. Die junge Frederikke ist mit dem Theologiestudenten Christian verlobt und soll Pfarrersfrau in der dänischen Provinz werden. Doch dann lernt sie den charmanten und liberalen Arzt Frederik kennen und löst ihre Verlobung. Bis hier hin klingt das alles nach einem 0815-Rosamunde-Pilcher-Roman. Doch Das Versprechen der Ehe geht viel tiefer, indem es den gesellschaftlichen Umbruch der Zeit einfängt und die Geschichte darin verwebt. In der dänischen Gesellschaft wird Ende des 19. Jahrhunderts über Frauenrechte und Sexualität debattiert. Einer der führenden Köpfe der Diskussion ist Georg Brandes – in Dänemark muss man nicht viel mehr dazu sagen, in Deutschland ist das Wissen um seine Person und Zeit bei den meisten jedoch nicht gegeben.
Frederikke wird über Frederik in einen Kreis junger Menschen eingeführt, die sich für die Selbstbestimmung der Frau einsetzen. Frederik selbst erklärt, nicht heiraten zu wollen, sieht sich letzten Endes aber doch dazu gezwungen, da er als unverheirateter Mann keine Chance auf die Professorenstelle an der Universität hat. Er schlägt Frederikke einen Deal vor: Er heiratet sie und lässt ihr alle Freiheiten in ihrem Handeln. Sie darf über Geld verfügen, wie sie möchte, die Wohnung nach ihrem Belieben einrichten und über das Personal bestimmen. Er verspricht, sie als eine gleichberechtigte und mündige Person zu behandeln – entgegen den Standards der damaligen Zeit. Die Hochzeit ermöglicht ihm, die Stelle als Professor zu bekommen. Doch was Frederikke nach ihrer Hochzeit fehlt, ist vor allem die Zuneigung ihres Mannes. Frederik ist mit seiner Praxis und seinen Patientinnen beschäftigt und führt illegale Abtreibungen durch, was Frederikke gar nicht passt, weil sie aufgrund ihrer bürgerlich-konservativen Erziehung von ständischen Denkmustern geprägt ist. Kurz gesagt geht es um eine junge Frau, die versucht, in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs Fuß zu fassen und sich selbst zu finden. Einerseits entfremdet sie sich von ihrer Familie und ihrem Herkunftsmilieu, andererseits findet sie keine Zugehörigkeit in dem liberalen Kreis um ihren Mann.
Wenn man Leute fragte: „Kennen Sie Frederikke Faber?“, dann würden sie aller Wahrscheinlichkeit nach antworten: „Oh ja, die kennen wir gut!“ (Ihre Mutter, Helena, Oline, die Köchin, die Salomons, die Schwiegereltern, Amalie, Tante Severine, ihre Base Sigrid, der Apotheker, Tilde Trappetøs, Frederik, Ørholt – o ja, Ørholt!) Würde man jedoch fragen: „Wer ist Frederikke?“, bekäme man dann nicht ebenso viele unterschiedliche Antworten, wie man Personen befragte? Und besteht nicht genau darin der Unterschied, ob man jemand kennt oder jemanden gut kennt?
Und wären nicht all diese Antworten gleich präzise und in die Irre führend, gleich richtig und gleich falsch? Und wer sollte entscheiden, welche die wahre ist?
Sie jedenfalls nicht! Sie würde nur eine weitere Version beisteuern, die sich wiederum von all den anderen unterschied.
„Du sollst du selbst sein dürfen“, sagte Frederik und sieht dabei Frederikke vor sich, nach seinen eigenen Vorstellungen geschaffen. Und wer ist er, der dieses Bild von ihr geschaffen hat, das wiederum ein Bild von ihm geschaffen hat?
Hier wird zum einen eine Besonderheit der Erzählweise des Romans deutlich. Immer wieder wird die Handlung von der Erzählinstanz kommentiert und bewertet. Zum anderen zeigt sich hier Frederikkes innerer Identitätskonflikt.
Ab und zu tritt Georg Brandes im Roman auf, von dem Frederikke jedoch wenig hält. Von ihrer ersten Begegnung an findet sie ihn seltsam und wirft ihm schließlich auch vor, eigentlich gar keine Ahnung von der Lebensrealität von Frauen zu haben. Auch andere historische Personen werden namentlich erwähnt oder treten sogar selbst auf – so zum Beispiel der dänische Schriftsteller Herman Bang, von dessen Homosexualität man seiner Zeit wusste. Sein Debutroman Hoffnungslose Geschlechter (dän. Haabløse Slægter) wird von Frederik und Frederikke diskutiert. In diesem Gespräch über den Roman und seinen Autoren werden die Differenzen zwischen ihnen sehr deutlich.
„Ich verstehe es einfach nicht.“ Dann richtet sie [= Frederikke] sich plötzlich auf. „Was für eine Frechheit eigentlich, einfach herzukommen! Ich hoffe wirklich, daß er [= Herman Bang] nicht die Absicht hat, das häufiger zu tun. Du hast ihm wohl doch begreiflich gemacht, daß wir in keiner Weise …“
„Er ist einsam, Frederikke.“ Frederik seufzt schwer. „Er ist ein einsamer Mensch, der nach Akzeptanz und Anerkennung sucht.“
„Anerkennung! Wie kann er denn glauben, daß anständige Menschen etwas mit ihm zu tun haben wollen, so, wie er sich aufführt. Da ist es weiß Gott kein Wunder, daß er einsam ist.“
„Er ist … anders.“
„Anders!“ Sie schnaubt. „Ja, da ist er weiß Gott!“
Das Versprechen der Ehe wurde unter anderem ins Englische, Spanische und Niederländische übersetzt. Gerade ersteres ist ein deutliches Zeichen, da auf dem englischsprachigen Buchmarkt nur selten übersetzte Werke Platz finden. Warum also ist der Roman im deutschsprachigen Raum so unbekannt und erfolglos?
Dafür kann es viele Gründe geben, doch der Hauptgrund ist vermutlich falsches Marketing. Mein erster Eindruck des Buches war ein falscher. Und vermutlich ging es vielen so, die auf der Suche nach einem historischen Roman waren und Das Versprechen der Ehe verständlicherweise als oberflächliche Romanze abstempelten. Auf der anderen Seite hat es diejenigen, die eben genau so eine Romanze lesen wollten, sicherlich enttäuscht, da Frederik eben nicht Frederikkes „Märchenprinz“ ist. Das Buch so zu vermarkten, muss jedoch bewusst geschehen sein, da man dafür den Titel geändert hat. Der dänische Titel würde wörtlich ins Deutsche übersetzt nämlich Das geschlossene Buch lauten und das klingt plötzlich gar nicht mehr nach einer Liebesgeschichte.
Um die Handlung zu verstehen, muss man auch nicht mit dem historischen Hintergrund vertraut sein. Eine ungefähre Vorstellung vom späten 19. Jahrhundert haben wir schließlich alle. Es ist also gänzlich unverständlich, warum nicht einfach Titel und Cover übernommen wurden und man das Buch als das vermarktet hat, was es ist: ein historischer Roman, der das Erzähltalent der Autorin und ihr Feingefühl für die geschilderte Zeit unter Beweis stellt.
Das Versprechen der Ehe wird in meinem Regal bleiben. In einem Schrank voller Bücher, die unterschiedlicher nicht sein könnten, habe ich einen kleinen Schatz gefunden, den ich euch sehr ans Herz legen kann.
Quellen: