Fantasy ist Umweltschutz (und Umweltzerstörung keine Fantasie)

Elfen, Orks und Zwerge, Fantasy-Romane, die auf tausenden von Seiten den Kampf zwischen Gut und Böse beschreiben; hat das nicht alles mit unserem Umgang miteinander und der Umwelt zu tun? Wenn ich Fantasy oder alte Sagen lese, dann kommen mir häufig solche Gedanken. Letztens ist mir beim Lesen etwas aufgefallen, das mir so schnell nicht mehr aus dem Kopf wollte. Dass die Fabelwesen aus alten Geschichten ein vergangenes Bewusstsein widerspiegeln, ein Verantwortungsgefühl und ein Glaubensbild von einer zusammenhängenden Welt. Hier ist nicht der Platz für eine tatsächliche und vollständige Erörterung von Glaubenssätzen und Mythologie-Interpretationen, und diesen Anspruch habe ich auch gar nicht. Im Folgenden führe ich lediglich meine eigenen Überlegungen aus.  

Neulich habe ich das Buch Tolkiens Geschöpfe, das ich vor ein paar Jahren einmal zufällig am Bahnhof als Mängel-Exemplar gekauft habe, zur Hand genommen und begonnen, die ersten Seiten zu lesen. Tolkiens Geschöpfe ist eine Sammlung einiger Kurzgeschichten, die alle von den fantastischen Wesen handeln, die Mittelerde bevölkern; also die Geschöpfe, die J.R.R. Tolkien sich für seine Bücher Der kleine Hobbit und Der Herr der Ringe erdacht hat. Damit hat er das Genre Fantasy nachhaltig geprägt. Die Vorstellungen der Leser:innen sowie die Fantasiewelten, in denen die Handlungen anderer Autor:innen heute spielen, bauen stark darauf auf oder versuchen bewusst, Unterschiede zu Tolkiens Welt hervorzuheben. Doch auch Tolkien hat seine Wesen nicht aus dem Nichts hervorgezaubert: er entlehnte sie in weiten Teilen der germanischen und keltischen Mythologie.

            So schildern auch die Erzählungen in Tolkiens Geschöpfe teils ganz unterschiedliche Wesenszüge. Die Herausgeber Franz Rottensteiner und Erik Simon fassen die Geschichten zu Kategorien der verschiedenen Völker zusammen und versehen diese jeweils mit einer kurzen Einleitung. So beschreiben sie Tolkiens Elben und die Charaktereigenschaften der Elfen aus Volkssagen und Literatur. Die menschenähnlichen, meist anmutigen und mit spitzen Ohren versehenen Zauberwesen der alten Märchen sind häufig zwiegespaltene Geschöpfe. Wie auch Kobolde, Wichtel oder andere, können sie zwar Gemeinheiten anstellen und Unglück bringen, aber durch ihren Zauber den Menschen auch helfen. Was davon eintritt, hängt nicht nur von der Laune der Wesen ab, sondern ist auch eine Reaktion darauf, ob Menschen sie verärgert oder ihnen geholfen haben – quasi als Rache oder Belohnung, bzw. als Einlösung einer Schuld. Um sich deshalb das Wohlwollen der Geschöpfe zu sichern, gibt es Traditionen von Opfergaben, sei es auch nur eine Schüssel Haferbrei, die auf die Fensterbank gestellt wird.

            Elfen und andere menschenähnliche Wesen hausen oft fern von menschlichen Siedlungen, in den Hügelgräbern der Vorfahren und versteckt im Schutz der Dunkelheit, Felsen und Vegetation. Sie stehen also in engem Zusammenhang mit der Natur und hüten sich vor den Eingriffen und den Augen der Menschen, die dem alten Zauber gegenüber misstrauisch oder sogar feindselig gegenüber eingestellt sind. Überdies könnte die Assoziation mit den Vorfahren andeuten, dass sie eine Vergangenheit darstellen, in der das Miteinander und die Achtung der Magie und der Natur noch einen höheren Stellenwert im Bewusstsein der Menschen hatte.

            Was in diesen Erzählungen mitschwingt, ist die Vorstellung davon, dass man den Missmut von Zauberwesen auf sich zieht, wenn man egoistisch und ohne auf seine Umwelt zu achten handelt. Oder es umgekehrt Glück bringt, mit der Natur und ihren Bewohner gut umzugehen. In jedem Fall gibt es Mächte, die es vergelten, und die in der Lage sind, direkten Einfluss auf das Leben der Menschen zu nehmen. Daraus entspringt ein Verantwortungsbewusstsein, oder zumindest Respekt vor diesen anderen Mächten. Der Mensch ist nicht allein in der Welt, und alles, was ihn umgibt, ist so miteinander verbunden, dass der Umgang mit der Natur unmittelbare Konsequenzen hat. Geschichten haben oft eine Moral, und Erzählungen von Fabelwesen, die Verhalten entsprechend vergelten, zeigen eine Welt auf, in der es neben dem Menschen noch andere bewusste Wesen gibt. Es wird Achtung vor anderen Geschöpfen und der Natur vermittelt und dass es auf einen selbst zurückfällt, wenn man den Einklang stört.

            Solch eine Vorstellung ist heute nicht mehr üblich. Ich würde sogar sagen, sie wurde zunächst von monotheistischen Religionen wie dem Christentum abgelöst, in der Menschen nur noch einem Gott gegenüber zur Rechenschaft verpflichtet sind. Der Mensch selbst aber ist Abbild dieses Gottes und hebt sich vom Rest der Schöpfung hervor, ist anderen Wesen übergeordnet, anstatt mit allem verbunden. Seit Aufklärung und Industrialisierung fühlt sich der Mensch zunehmend niemandem mehr zur Rechenschaft verpflichtet, der Mensch ist das Maß aller Dinge und alles dient nur dem Wachstum seines Wohlstandes. Er sieht sich losgelöst von der Natur und von Geboten, braucht keine Angst oder Respekt zu haben vor anderen, größeren Mächten, die ihn von seinem Thron stoßen oder ihn zurechtweisen könnten. Und so kann der Mensch seine Umwelt ausbeuten und zerstören, solange es nur seinem Profit dient, denn die Zusammenhänge der Welt und seine Rolle darin verschließen sich ihm und Angst vor auf ihn zurückfallenden Konsequenzen hat er auch nicht. Wenn da nicht die wissenschaftsgestützte Erkenntnis wäre, die immer klarer wird und sagt, lange geht es so nicht mehr weiter, die Ressourcen sind endlich und der Mensch ist abhängig von dem, was er zerstört. Vielleicht wird es langsam wieder Zeit für Zauberwesen, die in der Natur tanzen und uns mit Flüchen in die Schranken weisen.

            Doch auch die Wesen, Welten und Geschichten moderner Fantasy-Literatur können in solch einem Licht betrachtet werden; als eine umfassende Allegorie für Umweltbewusstsein und -zerstörung. Aufgrund des schon erwähnten großen Einflusses auf das Genre werde ich mich hauptsächlich auf die Dynamiken in Tolkiens Erzählungen rund um Mittelerde beziehen. Ein Tenor, der dabei immer mitschwingt, ist die Veränderung der Welt. Die alten Völker und die Magie verlassen die Welt, die sie zuvor so lange bewohnt hatten, langsam, aber sicher, und machen Platz für neue Völker wie die Menschen. Der alte Zauber weicht einer neuen Ordnung, neuen Technologien und Bestreben – schnelle Veränderungen, die keinen Platz für das Vergehende lassen. So wie das fortschreitende Wachstum des Menschen heute die Natur verdrängt, und der Konsum von immer mehr Produkten andere Lebensweisen überrennt.

            Maßgeblich für die alten Völker, zu denen zum Beispiel auch Zwerge zu zählen sind, sind die Elben, Tolkiens Elfen. Die anmutigen, intelligenten und zauberweisen Wesen treten ihren Rückzug aus Mittelerde an, überlassen die alte Welt den Neuankömmlingen, den Menschen. Sie leben im Einklang mit der Natur und kennen keinen Tod durch Alter. Dadurch, dass sie Jahrhunderte und Jahrtausende überleben, könnte man ihnen attestieren, das komplexe Miteinander der Welt besser zu verstehen, als Menschen es jemals könnten. Die Elben wissen, dass Eingriffe in die Harmonie der Natur Folgen haben, auch wenn diese manchmal erst nach einigen Menschengenerationen eintreten (so, wie uns jetzt die Klimakatastrophe bevorsteht).

            Auch böse Mächte treiben in Fantasy-Welten ihr Unwesen. Ihr Bestreben nach Macht und danach, sich die ganze Welt zu unterjochen, gefährden alles und jeden. Ihre Heerscharen töten und brennen nieder, roden Wälder und holen Erze aus der Erde, um ihre Armeen zu verstärken, ohne Rücksicht zu nehmen. Beim Lesen ist es offensichtlich, dass dies das Handeln des Bösen ist, und dass es ganz natürlich die Aufgabe von allen anderen Völkern sein muss, dagegen anzukämpfen und das Treiben der dunklen Mächte bis auf den Grund zu zerschlagen, um das Leben auf der Welt zu schützen und eine lebenswerte Zukunft zu erhalten. Doch in der Realität beuten wir die Ressourcen unseres Planeten ohne Rücksichtnahme aus, leiten das Artensterben ein und gefährden die Zukunft unserer Kinder und die Gegenwart von Menschen an anderen Orten der Welt. Die Widerstandsbewegungen wachsen, doch im Vergleich ist der Kampf mickrig. Wenn es in Literatur und Film so klar scheint, warum fahren wir keine viel härtere Kante gegen Umweltverschmutzung? Weil wir immer noch nicht sehen können, wie unmittelbar es auch uns betrifft, wenn die Existenz anderen Lebens auf der Erde bedroht ist? Wie würden wir handeln, wenn es Orks wären, die sich so auf die Natur stürzen würden?

            Die Menschen in der Fantasy-Literatur sind ein junges Volk in der Welt und haben wenig Verbindung zu der alten Magie. Sie bringen viele gute Eigenschaften mit sich, doch ihre Gier verleitet sie oft zum Unheil, und nicht selten wechseln sie in ihrem Streben nach Macht auf die Seite des Bösen. Doch da in ihnen so viel Gutes schlummert, können sie auch das Richtige tun und das Böse bekämpfen, wenn sie sich nur auf das Wichtige besinnen. Und da die anderen Völker die Welt zusammen mit der Magie verlassen, steht es vor allem in der Verantwortung der Menschen, genau das zu tun und damit die Zukunft der Welt zu beschützen.

            In dieser vereinfachten Sicht im Kampf Gut gegen Böse findet sich eine Allegorie wieder, die sich auf viele Konflikte in der heutigen Welt übertragen lässt. Und doch springt sie mir bei keinem so ins Auge, wie bei dem Kampf um Umweltschutz und Klimagerechtigkeit. Dem verzweifelten Versuch, angesichts der maßlosen Umweltzerstörung aufgrund von Gier und dem Streben nach immer Mehr, zukünftigen Generationen noch eine heile Welt zu erhalten. Während bei uns darum gekämpft wird, Wälder vor der Rodung zu schützen und mehr Bäume zu pflanzen, werden bei Tolkiens Der Herr der Ringe unter Sarumans Führung die Bäume des Urwalds von Orks gefällt, um noch mehr Orks zu erschaffen.

Der Kampf von Schatten gegen Licht wirkt wie ein Kampf von Umweltzerstörung und Machtgier gegen das Leben und das Zusammensein vieler verschiedener Geschöpfe. Die dunklen Mächte bringen auf ihrem Vormarsch Verwesung und totes Land, und die Tiere fliehen vor der sterbenden Pflanzenwelt. Dort, wo aber das Licht, das Gute noch an der Macht ist, sind die Farben der Welt hell und grün. Vor allem dort, wo die alten Völker siedeln, ist die Natur noch allzu sichtbar. Besonders bei den Elben ist es offensichtlich, wie eng verbunden sie mit dem sie umgebenden, urtümlich anmutenden Wäldern leben.

Leider bin ich nicht so bewandert in den Sagenwelten auf anderen Teilen der Erde. Doch dem nach, das ich kenne, lassen sich überall ähnliche Verbindungen ziehen. Und wer japanische Animationsfilme wie Prinzessin Mononoke kennt, wird deutlich die Allegorie der veränderten Welt und eines Umweltbewusstseins erkennen.

Es gibt mittlerweile viele Dokumentationen, wissenschaftliche Warnungen und in den Nachrichten und der Politik werden Umweltthemen immer öfter behandelt. Dass wir einer Klimakatastrophe, einem massiven Artensterben und einer maßlosen Umweltverschmutzung ins Auge blicken, ist den meisten, denke ich, klar. Auch die Angst, die Chance auf eine lebenswerte Zukunft verspielt zu haben, wächst. Vereinzelt werden Stimmen erhoben, Lösungen gesucht und konsequenteres Handeln gefordert, doch der Aufschrei ist nicht laut genug. Der Beutezug des Menschen ist noch nicht gestoppt, der Trend des Wachstums – und damit der Zerstörung – geht weiter. Es scheint einfacher zu sein, sich in der Gemütlichkeit eines Weiter So`s zu suhlen, anstatt sich der katastrophalen Situation und den Konsequenzen ehrlich zu widmen und sich an die eigene Nase zu fassen. Wer mehr über ökokritische Analysen von Fantasy-Literatur und den in ihr beheimateten Wesen lesen möchte, findet unter dem Beitrag Beispielliteratur, die Ecocriticism bei Fantasy behandelt.

Natürlich ist das alles so vereinfacht nicht direkt auf unsere Welt zu übertragen, und gerade eine Unterscheidung zwischen Gut und Böse riskiert, Dogmatik in das Verständnis sehr komplexer Strukturen einzubringen. Doch ich persönlich fände es toll, wenn wir uns alle darauf besinnen könnten, dass es gut ist, uns verantwortlich für unsere Umwelt zu fühlen und gut mit ihr umzugehen; sie und andere zu schützen, weil wir uns bewusst machen, das alles zusammenhängt, und wegzukommen von einem menschenzentrierten Denken.

Literaturauswahl:

C. Brawley, Nature and the numinous in mythopoeic fantasy literature46 (Jefferson, North Carolina, 2014).

B. Coates, Genii Loci and Ecocriticism from Mythology to Fantasy. Doctoral dissertation, University of Huddersfield (2018).

I. Geising, Fantasy-Wesen aus ökokritischer Sicht: Tolkiens The Lord oft the Rings und Rowlings Harry-Potter-Reihe. Saarbrücker Digitale Interdisziplinäre Nachwuchsbeiträge zum Ecocriticism, Band 4, 2016.

G. Ulstein, Hobbits, ents, and dæmons: ecocritical thought embodied in the fantastic. Fafnir: nordic journal of science fiction and fantasy research, 2(4), 2015, 7-17.

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