Dem Aal auf der Spur

Ein Gastbeitrag von Jonas G.

Als ich vor ein paar Tagen im Gebirge wandern war, erinnerte ich mich an ein Buch, das ich letzten Sommer gelesen habe. Ich kam an kleinen Seen und einem Bach mit glasklarem Wasser vorbei und musste wieder an die Hauptfigur des Romans denken – den Aal, einem der rätselhaftesten Tiere der Welt.

Das Evangelium der Aale, erschienen 2019, ist der Debutroman des schwedischen Autors Patrik Svensson. Als mir eine Freundin sagte, dass es tatsächlich spannend sein soll, von einem merkwürdigen Fisch zu lesen, wurde ich neugierig. Ich war zunächst wegen der biologischen und philosophischen Inhalte skeptisch, wollte dann aber – als ich in der Buchhandlung das ansprechenden Cover sah – doch hinter die angeblichen Geheimnisse des Aals kommen.


Die meisten kennen den Aal wohl nur, weil sie ihn einmal gegessen haben. Aale sind aber nicht wie andere Fische, genauso wie Das Evangelium der Aale nicht wie andere Romane erscheint. Das Buch ist in zwei Erzählungen aufgeteilt, die sich Kapitel für Kapitel abwechseln, was eine gute Mischung schafft. Der eine Teil behandelt die Biologie des Aals und dessen Kultur- und Wissenschaftsgeschichte in Bezug zu dem Menschen. Das alles ist jedoch nicht wie ein trockenes Sachbuch geschrieben, sondern besteht aus faszinierenden Bemerkungen und Anekdoten zu einem Tier, über das ich zuvor selten nachgedacht habe.

Patrik Svensson schreibt über die wundersame Reise des Aals vom Atlantik in die Flüsse und Seen Europas. Der Autor präsentiert kleine Ausschnitte bis hin zu großen Teilen von Biografien sehr unterschiedlicher Persönlichkeiten, die alle versucht haben, dem mysteriösen Leben und Sterben des Aals näherzukommen: Sigmund Freud als Student in Trieste, die Expedition des dänischen Forschers Johannes Schmidt in die Sargassosee und den Weg der Meeresbiologin Rachel Carson zur Autorschaft, um ein paar Beispiele zu nennen. Svensson gelingt es mit seinem Stil, alle möglichen Themen so spannend zu gestalten, dass ich das Buch nicht mehr weglegen konnte.
Der andere Teil von Das Evangelium der Aale handelt hingegen von dem Autor selbst und seinen Kindheitserinnerungen, genauer: die Erlebnisse mit dem Vater beim Aalfischen in Skåne. Svensson enthüllt nach und nach, wie die Welt aussieht, in der er aufgewachsen ist, und man lernt seine Familienverhältnisse kennen. Beim Lesen musste ich über meine eigene Kindheit und Jugend und das Verhältnis zu meinen Eltern nachdenken. Dann fragt man sich vielleicht sogar, über welche Kindheitserinnerung man selbst schreiben würde. Man kommt nicht umher, auch über den Menschen und unser Verhältnis zu Tieren und Natur und über Leben und Tod zu reflektieren.

Es ist überraschend, wie inspirierend das Leben eines Aals scheint: Er verlässt seinen Geburtsort nur aufgrund eines natürlichen Drangs, reist enorme Entfernungen zu einem fremden Ort, wo er sich weiterentwickelt und niederlässt. Eine ungewisse Zeit lang bleibt er dort, bis er zu seiner Geburtsstätte zurückkehrt, bevor seine Zeit zu Ende ist. Wenn man nach dem Lesen eines Kapitels nicht zu grübeln oder philosophieren beginnt, dann hat man zumindest so manches Neues gelernt – wenn auch nur, dass es unendlich viele Dinge gibt, die der Mensch nicht weiß. Das Evangelium der Aale ist ein faszinierendes und vielseitiges Buch, das von einem genauso faszinierenden und vielseitigen Tier handelt.

Gibt es ein Buch, das euch wider Erwarten positiv überrascht und zum Nachdenken angeregt hat?

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