Vor wenigen Tagen fand das deutsch-dänische Übersetzungsseminar Wer wir sein möchten an der Goethe-Universität statt. Es gab sehr interessante Vorträge, die sicherlich nicht nur bei mir die Begeisterung für literarisches Übersetzen noch einmal mehr gesteigert haben. Die richtigen Worte zu finden, den passenden Satz zu bilden und die Form des Textes zu wahren, ist eine eigene Kunst. Die Besonderheit von einem literarischen Text liegt darin, dass es hierbei nicht allein um Inhalt oder Handlung geht, sondern dass Wortwahl, Form, Melodie und Rhythmus die Qualität des Textes ausmachen. Auch Tempus und Satzzeichen können wichtige Informationen für den Leser enthalten, die sich oft erst durch den Blick auf das Gesamte erschließen.
In seinem spannenden Eröffnungsvortrag über „Literarisches Übersetzen“ bezog sich Prof. Heinrich Detering auf Friedrich Schleiermacher und erläuterte zwei unterschiedliche Möglichkeiten der Übersetzung. Zum einen die einbürgernde und zum anderen die verfremdende Übersetzung. Detering ging auf die Rolle des Übersetzers ein, die dem Leser vermittelt, was die Autoren in der Originalsprache haben zeigen wollen. Keine leichte Aufgabe!
In jeder Sprache ist die jeweilige Kultur inbegriffen und in jeder Sprache sind bereits Denkstrukturen im Rahmen der Grammatik und der speziellen Wortbedeutungen mitenthalten. Aber wieviel Freiheit hat der Übersetzer, wenn sich der Satzbau der jeweiligen Sprachen unterscheidet oder wenn es verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten gibt? Was genau macht eine gute Übersetzung aus?
Ich nahm meine Fragen zum Anlass, mir Gottlob Freges Artikel „Über Sinn und Bedeutung“ (1892) in Erinnerung zu rufen. Einem interessanten Artikel in dem Frege, ausgehend von der Gleichung a=a und a=b, sprachphilosophische Erkenntnisse ableitet und zwischen Sinn und Bedeutung unterscheidet. Ein bekanntes Beispiel aus diesem Aufsatz ist, dass Abendstern, Morgenstern und Venus den gleichen Himmelskörper bezeichnen. Obwohl die Bedeutung der Wörter gleich ist, unterscheiden sie sich in der subjektiven Vorstellung und im Sinn. Der Sinn ist hierbei nicht so subjektiv wie die Vorstellung, allerdings auch nicht so objektiv wie die Bedeutung.
Nun ist dieses Beispiel in nur einer Sprache. Um so deutlicher wird jedoch, dass nicht einfach ein Wort gegen ein anderes Wort ausgetauscht werden kann, auch wenn die Worte den gleichen Gegenstand bezeichnen.
Seit Frege gilt die traditionelle „Stellvertreter-Theorie der Bedeutung“, (die besagt,) dass Gedanken und Ideen im wesentlichen sprachunabhängig sind und somit auch ohne eine Sprache bestehen, als überholt.
Während sich die Bedeutung des Satzes bei der traditionellen „Baustein-Konzeption“ von der Verknüpfung der Wörter mit einzelnen Ideen oder Gegenständen ableiten lässt, betrachtet Frege den vollständigen Satz als eine Einheit, die einen Gedanken enthält. Auch wenn sich Freges Unterscheidung von Sinn und Bedeutung nicht durchgängig etabliert hat, finde ich seine Überlegungen auch ganz besonders in Hinblick auf Übersetzungsarbeit sehr bemerkenswert. Letztlich geht es darum, einen bestimmten Gedanken gemeinsam erfassen zu können. Einen Gedanken abzubilden und diesen Gedanken reproduzieren beziehungsweise weitergeben zu können.
Als Helle Helle bei ihrer Lesung zum Abschluss des Übersetzungsseminars gefragt wurde, ob ihre Bücher minimalistisch seien, antwortete sie, dass es bei ihren Texten wie bei einem Eisberg wäre, bei dem ein kleiner Teil zu sehen ist, während der weitaus größere Teil dagegen im Verborgenen liegt. In der Übersetzung muss dem Verborgenen der gleiche Raum gegeben werden können, wie im Original. Den ganzen Konnotationen, all dem was nicht gesagt wird und dennoch mal mehr und mal weniger deutlich zu spüren ist. Allerdings gibt es hierbei eine weitere Schwierigkeit. Wir können nicht wissen, wie jemand anderes etwas spürt. Wir wissen weder, was ein anderer schmeckt, wenn er Schokolade isst, oder wie er die Farbe rot sieht. Wir wissen nicht, was Helle Helle spürte, als sie den Text geschrieben hat, was sie spürt, wenn sie ihren Text vorliest und wir wissen nicht, was die dänisch-sprachigen Leser spüren, wenn sie den Text in der Originalsprache lesen. Hierbei sind Feinfühligkeit und Einfühlungsvermögen gefragt und sicherlich ist es hilfreich, Informationen zu den zu übersetzenden Autoren und ihrer Zeit zu haben. Die (hervorgerufenen) Begleitvorstellungen, seien sie noch so umfangreich, sind jedoch nicht völlig beliebig oder uneingeschränkt. Das Unausgesprochene gehört zum Text, wie die Stille zur Musik.
Aber wie ist es eigentlich in der Musik? In der Musik ist es üblich, alte Werke immer wieder neu zu interpretieren. Interpretationen, die sehr unterschiedlich motiviert sein können und somit ein weites Feld an Möglichkeiten öffnen. Diese vielfältigen Möglichkeiten, die sich sowohl in der Musik als auch bei Übersetzungen ergeben, sollten jedoch nicht gänzlich vom Original abweichen (und wenn doch, dann als gekennzeichnete Hommage an das Original).
Ich spiele Saxophon. Ein Instrument, das verhältnismäßig jung ist und das sehr viel im Jazz und in der Rock- und Popmusik verwendet wird. Aber ich mag das Saxophon auch ganz besonders in der klassischen Musik, die zum größten Teil sehr viel älter ist als das Saxophon selbst. Doch selbst wenn man mit dem Saxophon Werke von Rameau, Bach oder Gluck spielt, bleibt deutlich, dass es sich dabei um klassische Musik handelt. Keiner kann genau sagen, ob es einem Komponisten, dessen Werke aus einer Zeit kommen, in der es keine Saxophone gab, gefallen würde, dass sein Werk nun auf mein Lieblingsinstrument umgeschrieben wurde.
Genauso wenig wissen wir, welche Sätze ein Autor oder eine Autorin verwendet hätte, wenn er oder sie auf Deutsch geschrieben hätte. Ulrich Sonnenberg gab den angehenden Übersetzern den Tipp, Autoren möglichst bei Unklarheiten zu fragen. Und Jesper Wung-Sung hat die Frage, was für eine Frisur er sich bei strithåret vorstellt auch gleich sehr gerne beatwortet. Das geht natürlich nur dann, wenn die jeweiligen Autoren noch am Leben sind.
Professor Detering ging im Eröffnungsvortrag „Literarisches Übersetzen“ auf Schleiermachers Platon-Übersetzungen ein. Schleiermacher hat Platon auf eine Weise übersetzt, durch die dem Leser bewusst gemacht wird, dass es sich um einen Text aus dem Altgriechischen handelt und um einen Text, der nicht einfach nebenbei gelesen werden kann. Bereits nach wenigen Worten weiß der Leser, dass der Text es erfordert konzentriert zu sein. Der Leser muss sich auf die Gedankengänge einlassen. Es gibt Platon-Texte auch in anderen Übersetzungen. Es kann sehr interessant sein, verschiedene Übersetzungen zu lesen.
In der Musik gibt es Bemühungen, Werke mit authentischen Instrumenten und den mutmaßlichen Spieltechniken der damaligen Zeit aufzuführen. Ist diese „historische Aufführungspraxis“ die originalgetreuere (und damit die bessere)? Hierzu habe ich Felix Ketterer, Diplom Musiker aus Freiburg, befragt. Er gibt zu bedenken, dass historische Aufführungspraxis nicht möglich ist. Zum einen liegt es daran, dass die heutigen Instrumente mit Techniken hergestellt werden, die es damals nicht gab. Dadurch klingen die Instrumente sehr wahrscheinlich anders. (Aber auch/selbst ein Original Instrument aus einer bestimmten Zeit, kann im Laufe der Jahre seinen Klang verändert haben). Heute wird zumeist eine andere Stimmtonhöhe verwendet als beispielweise zur Barockzeit oder der Renaissance. Eine gleichschwebend temperierte Stimmung wie man sie heute anfindet, gab es zu damaligen noch nicht. Damals gab es spezielle Stimmungen. Felix Ketterer gibt außerdem zu bedenken, dass auch Ernährungsarten Einfluss auf beispielsweise den Grundpuls haben und somit auch auf musikalische Tempi der jeweiligen Zeit. Mit unseren Anliegen an das Werk, mit unseren Herangehensweisen, Möglichkeiten und Übersetzungen eines Werkes in unsere Zeit, sei es in der Musik oder der Literatur, tragen wir unsere Kultur an ein Werk heran, das wir erschließen möchten und für uns entdecken wollen. Gerade durch das Wissen um die Unmöglichkeit einer authentischen Spielweise, so Ketterer, kann man sich einem Werk auch derart nähern, dass man es stets neu für sich entdeckt. Auf eine Weise, die sich wahrscheinlich von den Herangehensweisen in der Zukunft ebenfalls unterscheidet.
Im Rahmen des Übersetzungsseminars haben die Teilnehmer einen Ausschnitt des Romans Hærværk von Tom Kristensen bearbeitet. Der Roman wurde 1930 in Dänemark veröffentlicht und wurde 1992 ins Deutsche übersetzt. Schnell war klar, dass das Übersetzen des Textes eine sehr schwierige Aufgabe ist. Mit Sicherheit wird sich eine aktuelle Übersetzung des Romans deutlich von der Übersetzung aus dem Jahr 1992 unterscheiden.
Ich finde genau diese Unterschiede spannend. Ich denke, dass man ein Werk auch dadurch würdigt, indem man sich wiederholt mit ihm beschäftigt. Indem man versucht, sich immer wieder neu anzunähern und es zu verstehen. Es für sich und andere zu übersetzen, die Worte und Sätze, die die Gedanken enthalten; so wie Noten Musik enthalten, die immer wieder neu gedacht oder gespielt werden können. Zwar nie genau gleich, aber doch stets im Rahmen einer vorgegebenen Ordnung.
Ich würde gern alle Beiträge hören/lesen. Aber danke für deinen Text.