Gendern

Liebe Leser, liebe Lesenden, liebe LeserInnen, liebe Leser_innen, liebe Leserinnen und liebe Leser, liebe Leser*innen, liebe Leser:innen,


ich möchte mich dafür entschuldigen, wenn sich jemand, ob männlich, weiblich, divers oder non-binär, durch meinen Blog-Beitrag ausgeschlossen, diskriminiert oder nicht ernst genommen fühlt. Oder sollte ich jetzt besser auch das vorangegangene „männlich, weiblich, divers, non-binär“ in eine andere Reihenfolge bringen? Wenn ja, in welche?
Um allen gerecht zu werden, fühle ich mich unsicher wie ich mich richtig ausdrücken soll. Ich verfalle trotz der vielen Möglichkeiten geradezu in Sprachlosigkeit! Bin ich etwa unsensibel, bekomme ich gerade ein Problem zugeschoben? Bin ich zu stur, zu wenig empathisch und sehe das Problem nicht? Ich sehe das zugrundeliegende Problem oder zumindest einige Aspekte davon. Liegt meine Abneigung zu gendern nur daran, dass ich es nicht gewohnt bin? Werde ich bald ganz automatisch gendern, also ohne überhaupt noch darüber nachzudenken, warum ich das mache?
Momentan mache ich es deshalb, weil man das ja jetzt so macht. Weil ich mich nicht gegen etwas auflehnen möchte, das ein wichtiges Ziel hat, nämlich alle gleichermaßen anzusprechen und niemanden wegen des Geschlechts auszuschließen. Zu gendern oder nicht zu gendern, das bedeutet auch, damit einen Standpunkt zu beziehen, Sprache wird politisch aber auch emotional aufgeladen. Aber irgendwie widerstrebt es mir, dass nun geschlechtliche Identität überall mitgedacht werden soll. Das Geschlechtliche wird dadurch auch in Zusammenhängen betont, in denen es doch eigentlich keine Rolle spielt und Unterschiede könnten somit sogar noch hervorgehoben werden. Gleichberechtigung ist mir wichtig. Meistens macht es für mich gar keinen Unterschied, ob ich jemanden anschreibe oder anspreche, der, die, das sich männlich, weiblich, divers oder non-binär fühlt. Ein Argument für das Gendern ist, dass das generische Maskulinum aber doch allzu oft mit dem natürlichen Geschlecht verwechselt wird. Eine geschlechterneutrale Sprache könnte dazu führen, dass offener über Geschlechterrollen gedacht wird. Aber wird es denn wirklich so verstanden, dass ich, wenn ich von Politikern, Ärzten oder Lehrern spreche, damit alle Politikerinnen, Ärztinnen oder Lehrerinnen ausschließe? Oder besteht der Eindruck doch hauptsächlich dort, wo tatsächlich eine Ungleichheit in der Geschlechterverteilung anzutreffen ist? Es gibt viele Studien dazu, welches Geschlecht welcher Bezeichnung zugeordnet wird oder wer sich bei Stellenausschreibungen angesprochen fühlt. Das Rollenverständnis der Geschlechter wird damit sprachlich abgebildet.
Wenn ich dadurch, dass ich zukünftig von Physiker:innen, Mechatroniker:innen, Schornsteinfeger:innen oder Elektroniker:innen spreche, einen kleinen Teil dazu beitragen kann, dass mehr Frauen, Diverse oder non-binäre Menschen einen dieser Berufe ergreifen, dann bemühe ich mich auf jeden Fall daran mitzuwirken. Wichtig dabei ist mir aber auch, dass die Bezahlung bei gleicher Qualifikation dann auch nicht davon abhängt, ob jemand beispielsweise Rechtsanwaltsgehilfe, Rechtsanwaltsgehilfin oder Rechtsanwaltsgehilfe/-in, Rechtsanwaltsgehilf:in ist.
Sobald man beginnt genau zu untersuchen, welche der Bezeichnungen die verträglichste und von allen gleichermaßen akzeptierte kollektive Bezeichnung sein kann, könnte man auch fragen, warum die Diversen, die Frauen und non-binären Personen nach einer kurzen Pause, dem Glottisschlag, später als der Mann genannt werden, man könnte fragen, ob Diverse und non-binäre Personen es möchten, als Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich zwischen der männlichen und weiblichen Form mitgenannt zu werden. Andere Möglichkeiten als Genderzeichen zu verwenden, wären entweder eine geschlechterneutrale Bezeichnung zu wählen oder zu feminisieren, also die weibliche Form zusätzlich zu nennen. Man könnte sich aber auch fragen, ob sich dieses gesellschaftliche Geschlechterproblem durch eine Änderung der Sprache ändern lässt, oder ob sich das Sprachverständnis ändern wird, wenn die gesellschaftlichen Geschlechterprobleme nicht mehr bestehen. Außerdem ist es interessant, warum diese emotional aufgeladene Debatte ausgerechnet jetzt so aktuell ist. Ob wir aktuell besonders sensibilisiert oder bereits überempfindlich sind. Die Genderfrage geht deshalb auch mit der Betrachtung von Empfindsamkeit und Empfindlichkeit einher.
Mit Blick auf die derzeitige Situation, die in sehr vielen Bereichen mit vielen Ängsten und Sorgen angefüllt ist, mit Blick auf # MeToo oder das Umschreiben von Literatur und dem Umbenennen von Süßspeisen und Apotheken, bin sogar ich gelegentlich genervt. Die Fragen: „was darf ich jetzt eigentlich sagen, was darf ich gelesen haben oder darf ich noch lesen, wie soll ich am besten meine Mitmenschen ansprechen“ behindern doch oft sogar die sachliche Auseinandersetzung. Sprache ist im stetigen Wandel und es wird spannend sein zu sehen, was Bestand haben wird.

Nachdem ich meine erste Version des Textes geschrieben habe, ist folgendes passiert:
Meine Verunsicherung darüber, ob ich die Ziele des Genderns überhaupt richtig verstanden habe wurde noch stärker und ich frage mich, welche Worte dann noch alle verändert werden sollten, damit auch alle einverstanden sind. Ich wurde darauf aufmerksam gemacht, dass es problematisch ist, dass ich von „den Diversen“ spreche, weil ich damit suggeriere, dass es eine homogene Gruppe bezeichnet. Ich merke, dass mir also immer noch nicht klar ist, wie wirklich alle angesprochen werden können oder angesprochen werden wollen. Also auch alle transFrauen, transMänner, alle Personen die sich nicht eindeutig zuordnen können, alle die sich durch das Geschlecht in der freien Entfaltung der Persönlichkeit gehindert fühlen, alle interPersonen, die sich in den vorangegangenen Beschreibungen nicht finden konnte. Oder kurz gesagt, alle Enby, FLINTA, LGBTQIA+ und alle, die bisher noch nicht erwähnt wurden.

Aber ehrlich gesagt kommt es mir doch immer noch viel einfacher vor, ein grammatikalisches (sexus-indifferentes) Geschlecht zu verwenden. Wenn ich sage, dass ich eine Stimme höre, wird niemand denken, dass ich damit natürlich nur eine weibliche Stimme meinen kann, weil es „die Stimme“ heißt. Wir sind es ganz selbstverständlich gewohnt, verschiedene Stimmen von verschiedenen Menschen zu hören und genauso sollte es auch in anderen Bereichen sein.

Ein Kommentar bei „Gendern“

  1. […] Eine andere Meinung zum Gendern findest du in diesem Artikel. […]

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