Ein Plädoyer fürs Theater

Warum ins Theater gehen? Könnte man nicht einfach warten, bis es irgendwo online zu finden ist und dann zuhause gucken? Selbst wenn ein interessanter Kinofilm in den Kinos läuft, stelle ich mir doch immer wieder mal diese Frage, aber bei einem Theaterstück klingt das fast schon absurd.

Ein Theaterbesuch ist mehr als bloßes Konsumieren vom Dargebotenen. Allein der Besuch benötigt eine gewisse Planung: Stück raussuchen, Tag festlegen, Karte kaufen. Auch wenn es nicht notwendig ist, chic angezogen ins Theater zu gehen, achten wahrscheinlich doch die meisten darauf, wie sie sich dafür anziehen. Das mag nicht jeder, aber ich finde, es trägt zu der besonderen Atmosphäre im Theater bei, wenn auch die Zuschauer:innen auf ihr Erscheinen achten. Bevor es losgeht, steht man mit den anderen im Foyer, betrachtet sich und unterhält sich ein bisschen, ob es eine Pause gibt, in der Pause lieber Sekt oder Orangensaft und wo eigentlich die Toiletten sind. Vielleicht sogar über das Stück: was man erwartet, wie man es sich das Stück beim Lesen vorgestellt hat (falls man es gelesen hat).

Ich gehe gerne ins Theater. Ich gehe auch ab und zu gerne ins Kino, aber Theater ist für mich aus vielen Gründen etwas Besonderes. Ich habe festgestellt, dass ich bei einem Theaterbesuch das Publikum viel intensiver wahrnehme als meine Sitznachbarn im Kino. Im Theater gehören die Zuschauer dazu, sie sitzen mitten im Geschehen, werden in manchen Inszenierungen direkt angesprochen und beim Applaus geben sie ein unmittelbares Feedback. Theater ist live, jede Aufführung ist einmalig, auch wenn man mehrmals das gleiche Stück besucht, ist es jedes Mal etwas anders.

Eine Theaterbühne ist in der Regel ein relativ begrenzter Ort und doch kann fast alles möglich sein. Je nach Kulisse und Requisiten kann man im Handumdrehen an einem ganz anderen Ort sein. Lichtveränderungen und verschiedene Effekte sind oft wichtige Bestandteile einer Aufführung. Die ganze Gestaltung wie Bühnenbild oder Kostüme, der ganze technische Aufwand von Licht und Ton, die vielen Helfer hinter der Bühne (wie zum Beispiel Bühnentechniker, Dekorateure, je nach Aufführung auch Musiker), der volle Körpereinsatz und die Konzentration der Schauspieler:innen sind nicht für ein anonymes Millionenpublikum vor verschiedenen Bildschirmen, sondern für die Zuschauer:innen, die im Saal sitzen, für genau den Moment, in dem die Aufführung stattfindet. Die Zuschauer:innen erleben die Aufführung mit allen Sinnen und trotz der Illusion ist das Erleben doch echter und wirklicher als vor einem Bildschirm oder einer Leinwand.

Theater ist lebendig. Mir geht das Angedeutete und Reduzierte oft näher als kleinste Details in Full HD, 2K, 4K oder anderen Auflösungen. Im Theater gehört die Stimme zum Schauspieler, sie ist nicht nachvertont und es ist keine Synchronstimme. Ein Geräusch kommt von dem Platz, an dem es verursacht wird und nicht aus dem Lautsprecher. Das Publikum kann in die Richtung schauen, woher das Geräusch kommt und sich auf das Dargebotene einlassen. Im Kino gibt es zwar Tonsysteme mit verschiedenen Lautsprechern, es ist aber nicht genau der Ton, genau an der Stelle, genau in dem Moment.      

Einerseits ist vieles durch die begrenzten Möglichkeiten reduziert, andererseits wird manches überzeichnet oder durch Handlungen oder Symbole dargestellt. Nicht immer ist klar, was sich der Regisseur dabei gedacht hat und manchmal liegt es auch einfach daran, dass man nicht alles richtig gehört oder gesehen hat. Zurück spulen und genauer gucken geht nicht, Untertitel reinnehmen, wie man das vielleicht auf Netflix machen würde, geht auch nicht. Umso schöner, sich danach mit anderen auszutauschen, die auch das Theaterstück gesehen haben, darüber nachzudenken, vielleicht sogar stellenweise nachzulesen oder noch einmal hineinzugehen. Gelegentlich bleiben trotzdem manche Fragen offen. Das kann einem bei einem Buch aber auch so gehen, oder bei einem Film.

Mir geht es so, dass ich nach jedem Theaterbesuch denke, dass ich das doch wirklich öfter machen sollte. Wie ist es mit euch? Geht ihr regelmäßig ins Theater oder doch lieber ins Kino? Ist euch ein Theaterbesuch besonders in Erinnerung geblieben?

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