Ich habe schon immer viel auf korrekte Sprache geachtet. Es war mir wichtig, eine gute Rechtschreibung und Grammatik zu haben und ich habe auf „sprachliche Fehler“ immer ein wenig herabgeblickt. Auch deswegen habe ich im Rahmen meines Studiums immer wieder sprachwissenschaftliche Veranstaltungen belegt. Doch gerade diese Veranstaltungen haben mir einen ganz anderen Blick auf Sprache gegeben.
Sprache ist ein Zeichensystem. Wir codieren Botschaften in sprachlichen Zeichen (Laut- oder Schriftzeichen) und diese Botschaft wird von anderen entschlüsselt. Damit das funktioniert, braucht es einen Konsens. Eine Sprachgemeinschaft wird also dadurch zu einer Sprachgemeinschaft, dass sie sich auf ein einheitliches Zeichensystem geeinigt hat. Diese Konvention wird jedoch nicht von einer Instanz kontrolliert, geregelt oder gestaltet. Sie entwickelt sich durch den alltäglichen Sprachgebrauch weiter, wird also von der Sprachgemeinschaft weiter geformt. In der Regel geschieht das unbewusst und nur allmählich.
Vor diesem Hintergrund ist die Debatte um das Gendern sehr interessant. Kaum eine aktuelle Debatte polarisiert so sehr wie die ums Gendern. Ein häufiges Argument, das immer wieder gegen das Gendern (im Deutschen) angebracht wird, ist, dass diese Formen die Sprache „verunstalten“. Es werde aktiv in die Sprache eingegriffen und das widerspreche der „natürlichen“ Entwicklung von Sprache. Andere fürchten zudem eine Politisierung von Sprache.
Doch Sprache ist an sich schon politisch. Unsere Kommunikation beruht zum größten Teil auf verbaler Sprache, d. h. wir formulieren auch unsere politischen Ansichten und Forderungen über dieses Zeichensystem. Und wenn wir nur auf das letzte Jahrhundert zurückblicken, müssen wir erkennen, dass wir im Moment nicht zum ersten Mal über einen bewussten Eingriff in unseren Sprachgebrauch sprechen. Nehmen wir nur bestimmte Begriffe, die mit dem NS-Regime in Verbindung gebracht werden. Der Ausdruck völkisch ist politisch so stark aufgeladen, dass eine Verwendung ohne Bezug auf den Faschismus nicht möglich ist. Deshalb wird er nicht mehr gebraucht außer von denjenigen, die genau diese politische Konnotation herstellen wollen. Im Politikunterricht in der Schule wurden wir damals explizit darauf hingewiesen, den Begriff Volk nach Möglichkeit zu vermeiden und stattdessen von Bevölkerung zu sprechen.
Es ist verständlich, dass viele sich schwertun mit dieser neuen Form der Sprache. Nur wenige Dinge haben wir so stark automatisiert wie den Gebrauch unserer Erstsprache. Bestimmte Vokabeln plötzlich nicht mehr verwenden zu können/wollen/dürfen, weil sie rassistisch oder ableistisch aufgeladen sind, oder neue Formen verwenden zu wollen/müssen, um Sprache inklusiver und diverser zu machen, fühlt sich anfangs so an, als müssten wir plötzlich mit der anderen Hand schreiben: falsch und ungewohnt. Und das, was dabei rauskommt, wirkt irgendwie ungelenk.
Doch gerade im Deutschen brauchen wir eine diversere Sprache. Denn das Deutsche ist von Vornerein schon gegendert. Wir haben drei grammatische Geschlechter, darunter das männliche und weibliche. Da Berufsbezeichnungen grundsätzlich männlich sind – mit Ausnahme „klassischer“ weiblich-konnotierter Berufe wie Erzieherin, Krankenschwester oder Sekretärin – sind (Cis-)Männer in unserer Sprache stärker repräsentiert. Und Menschen aus dem enby-Spektrum, also alle, die sich außerhalb des binären Geschlechterverständnisses einordnen (dazu zählen auch Transidentitäre), werden im Deutschen überhaupt nicht widergespiegelt.
In anderen Sprachen sieht das anders aus. So gibt es beispielsweise im Dänischen nur den Unterschied zwischen einem sächlichen und einem persönlichen Geschlecht. Abgesehen von wenigen noch erhaltenen explizit weiblichen Formen – z. B. veninde (dt. Freundin) als weibliche Form zu ven (dt. Freund) – wird im Dänischen also nicht zwischen männlich und weiblich unterschieden. Die weiblichen Formen wurden in den 60er Jahren ganz bewusst abgeschafft, um geschlechterbasierte Diskriminierung zu vermeiden. Logisch, dass es in dieser Sprachgemeinschaft keine Nachfrage nach gegenderter Sprache gibt.
Im Englischen ist es noch deutlicher. Da es kein grammatisches Geschlecht gibt, sind Berufsbezeichnungen allgemeingültig. Nur bei z. B. Verwandtschaftsbezeichnungen (mother/father, sister/brother, etc.) schwingt ein Geschlecht mit. Wenn im Englischen vom Gendern gesprochen wird, geht es also v. a. darum, diese Begriffe für Personen zu öffnen, die sich auf der Skala irgendwo zwischen männlich und weiblich befinden, die sich auf dieser Skala überhaupt nicht einordnen oder eben nicht dort, wo sie von der Gesellschaft eingeordnet werden. So z. B. werden Ausdrücke wie pregnant person anstatt von mother verwendet, um schwangere Trans*männer miteinzubeziehen. Im Englischen hat man sich zudem auf ein genderneutrales Pronomen (they) geeinigt, das Personen aus dem enby-Spektrum für sich verwenden können. Im Dänischen und Englischen gibt die bestehende Sprachkonvention also eine relativ einfache Lösung her, die mit der Morphologie und Syntax der Sprache einhergeht.
Das Spanische ist wiederum ähnlich dem Deutschen eine sehr stark gegenderte Sprache. Es gibt ein männliches und weibliches Geschlecht, das sich in den meisten Fällen an der Endung eines Substantives zeigt. Substantive auf -o sind i. d. R. männlich, die auf -a i. d. R. weiblich.
Auch im Spanischen werden Berufs- und Verwandtschaftsbezeichnungen traditionell gegendert: hermano (dt. Bruder) und hermana (dt. Schwester). Und auch Adjektive werden nach diesem Schema flektiert. Die meisten bekommen entsprechend ihres Bezugsworts die Endung -a oder -o. Eine Ausnahme bilden die Adjektive auf -e, wie z. B. das häufig verwendete inteligente (dt. intelligent). Diese Endung wird nicht an das Bezugswort angepasst und ist somit automatisch genderneutral. Dieses Phänomen wurde für die gendersensible Sprache übernommen. Gendern im Spanischen bedeutet also, eine traditionelle Endung auf -a oder -o durch ein -e zu ersetzen. Anstelle von hermano bzw. hermana verwendet man also die Vokabel hermane, und meint damit eine Person, die die gleichen Eltern hat wie eine andere Person. Diese Lösung, die natürlich trotzdem gesellschaftlich umstritten ist, je nachdem, welchem politischen Spektrum man zuhört, entspricht den bestehenden morphologischen und syntaktischen Konventionen der Sprache.
Eine so elegante Lösung gibt es für das Deutsche (bisher) leider nicht. Wobei es auch fraglich bleibt, ob eine solche tatsächlich von mehr Leuten angenommen werden würde. Denn so oder so bleibt es dabei, dass wir unseren automatisierten Sprachgebrauch hinterfragen und verändern müssen. Letztendlich geht es also nur um die persönliche Einstellung: Bin ich bereit, meinen Sprachgebrauch zu verändern, um andere miteinzubeziehen, um Rücksicht auf andere zu nehmen, obwohl es mir – zumindest anfänglich – schwerfällt und unbequem ist?
Die Sprachwissenschaft hat mir gezeigt, dass die geltenden Regeln und Normen einer Sprache in gewisser Hinsicht willkürlich sind. Warum bezeichnen wir einen Baum gerade als „Baum“? Weil wir uns irgendwann darauf geeinigt haben. Und auch wenn diese „Absprachen“ nicht bewusst entstanden sind, heißt das ja nicht, dass man sich nicht aktiv auf eine neue Konvention einigen kann.
Natürlich löst das Gendern nicht das eigentliche Problem: Menschen werden auch weiterhin aufgrund ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert werden, weil sie nicht in das noch immer vorherrschende heteronormative, binäre Geschlechtsbild passen. Und die gendersensible Sprache, wie sie derzeit im Deutschen praktiziert wird, ist auch nicht optimal. Die Sonderzeichen und neuen Formen sind u. a. für Screenreader schwer lesbar und somit nicht barrierefrei.
Doch Gendern schafft Sichtbarkeit. Sichtbarkeit all jener, die in der aktuellen Sprachkonvention nicht abgebildet sind: Das sind v. a. Personen aus dem enby-Spektrum. Und weil Sprache so eng mit unserem Denken und damit auch mit unserer Weltanschauung verknüpft ist, ist es umso wichtiger, Minderheiten in unserem Sprachgebrauch zu repräsentieren, wie auch immer diese neue Form der Sprache dann aussehen wird.
Eine andere Meinung zum Gendern findest du in diesem Artikel.