Von Christina Bekker
Am ersten Tag ihrer Exkursion nach Norwegen Anfang Juni spazieren die Skandinavistikstudierenden der Goethe-Universität Frankfurt am Hafen Oslos. Um 19.00 Uhr treffen sie sich mit der jungen Autorin Kristin Vego im imposanten Bibliotheksgebäude Bjørvika. Sie ist in Århus, Dänemark geboren und lebt inzwischen in Oslo, Norwegen. Se en siste gang på alt vakkert (dt. Sieh ein letztes Mal auf alles Schöne) ist ihr erstes Buch und kam 2021 in norwegischer Sprache heraus. Die dänische Variante Se en sidste gang på alt smukt kam ein Jahr später auf den Markt. In Norwegen hat sie dafür den Tarjei-Vesaas-Debütantenpreis erhalten und in Dänemark den Bogforums Debütantenpreis. Vego gibt den Norwegisch- und Dänischstudierenden und den zwei Dozenten beider Sprachen einen Einblick in die Arbeit eines Schriftstellers. Außerdem erzählt sie von den Unterschieden zwischen der dänischen und norwegischen Mentalität.
Kristin Vego ist eine vielseitig engagierte Schriftstellerin, die unter anderem Kritiken für Dagbladet Information schreibt und gleichzeitig Herausgeberin des Magazins Vagant ist. Außerdem arbeitet sie in dem kleinen Buchladen Bislet Bok in Oslo, der exquisite Literatur anbietet. Ihr erfolgreiches Debüt ist eine Sammlung von neun Kurzgeschichten über komplizierte Beziehungen in der Familie, unter Freunden und mit Expartnern. Ihre Protagonistinnen erkennen ab einem bestimmten Zeitpunkt in ihrem Leben das Schöne in ihren vergangenen Beziehungen. Die Geschichten spielen in verschiedenen Ländern und sind teilweise eine neue und unbekannte Umgebung für die Hauptfiguren. Vego behandelt das Gefühl von Einsamkeit, Begehren, Verlust und Vergebung und vermittelt den Lesern, dass die Zeit alte Wunden gebrochener Beziehungen heilt.
Als die Frage von den Studierenden aufkommt, wann die Autorin anfing zu schreiben, kann sie sich an keinen bestimmten Zeitpunkt erinnern. Sie hebt die Schultern an und sagt, dass sie schon immer Geschichten geschrieben hat. Sie wollte immer mal auf eine dänische Autorenschule, wurde aber nie aufgenommen. Das entmutigte sie jedoch nicht und hielt sie nicht vom Schreiben ab.
Kristin Vego verrät, dass sie mit 25 Jahren alle ihre Konstanten verloren hat. Ihre damalige Beziehung zu ihrem Partner fand ein Ende. Sie schloss ihr Studium in Århus ab und verlor somit ihren Studentenjob. Sie sagt, sie war auf einer Selbstfindungsreise, in der sie für sich herausfinden musste, wo sie leben, studieren und arbeiten soll. Es war ihr Wendepunkt im Leben und sie kam in einen Schreibfluss. Endlich konnte sie ihre angefangenen Geschichten zu Ende zu schreiben. Leider wurden ihre Kurzgeschichten bei den dänischen Verlagen nicht angenommen. Ihr Erfolg wurde erst durch einen norwegischen Redakteur angekurbelt, der ihr Werk mit Begeisterung las. Daraufhin beschloss die Autorin, ihre dänische Version selbst ins Norwegische zu übersetzen.
Kristin Vegos Mutter ist Norwegerin und ihr Vater Däne. Sie spricht daher beide Sprachen, fühlt sich im Dänischen jedoch sicherer. Die Tonlage ist etwas heller, wenn sie norwegisch spricht. Sie findet Norwegisch charmant und merkt nicht immer, wenn auf Norwegisch etwas unüblich formuliert wurde. Daher war die Übersetzung ihres Buches mit vielen Herausforderungen verbunden, sagt Vego seufzend. Sie überlegt kurz und erzählt dann von den grammatikalischen Unterschieden der beiden Sprachen, wie zum Beispiel im Genus. Dialoge auf Norwegisch zu verfassen findet sie generell etwas schwierig, in ihrem Buch gibt es jedoch kaum Dialoge. Sie hatte Angst, die norwegische Variante würde sich fremd anfühlen, denn dänische Texte prüft sie immer mit kritischeren Augen. Beim Übersetzen sind ihr einige Dinge aufgefallen, die ihr im dänischen Original nicht gefielen, also änderte Vego sie direkt.
Die Schriftstellerin teilt einige interessante Erkenntnisse mit der Exkursionsgruppe, die sie durch das Leben in Dänemark und Norwegen gezogen hat. Heimische Orte haben eine viel größere Bedeutung für Norweger als für Dänen. Die Norweger sind stolz auf ihre (Sprach-)traditionen und Dialekte, die sie mit bestimmten Orten, Regionen und Städten verbinden. Ein Norweger erkennt einen bestimmten norwegischen Dialekt in einer Konversation nach ca. 5 Minuten oder weniger, schätzt Vego. Auch in ihrem Buch spielen verschiedene Städte eine wichtige Rolle für die Figuren. Laut der Autorin ist Kopenhagen aus der Sicht der Norweger viel kontinentaler als Oslo. Sie hat eine Zeit lang in Kopenhagen gelebt und findet auch, dass die Stimmung dort viel europäischer und vergleichbar mit der in Paris oder Berlin ist.
Auf eine Frage hin, antwortet Vego dass ihr Lieblingsplatz zum Schreiben tatsächlich ein Ort ist, den sie in der Titelgeschichte in Se en sidste gang på alt smukt beschreibt und zwar eine Sommerhütte in Schweden. Ihre Inspiration findet die Schriftstellerin in Alltagssituationen, in bestimmten Orten und Städten, sowie in Personen, Freundschaften und eben Beziehungen, aber auch bei anderen Schriftstellern wie zum Beispiel Virgina Wolf. Sie gibt den Studierenden an dieser Stelle einen guten Schreibtipp: Man darf sich von anderen Künstlern inspirieren lassen und von ihnen einen Schreibstil oder -technik lernen, wichtig dabei ist, dass man auch seinen eigenen Stil entwickelt und seine eigene Stimme findet.
Ein Student möchte gerne wissen, ob man die Stadt kennen muss, um es einen Handlungsort einer Geschichte werden zu lassen. Vego sagt, dass es nicht unbedingt notwendig ist, persönlich dort gewesen zu sein. Sie selbst braucht eine gewisse Distanz zu Orten, um ein Sehnsuchtsgefühl zu entwickeln und ihre Kreativität zu entfalten. Sie muss eine Stadt fühlen, um von ihr schreiben zu können. Sie zwingt sich ihre Vorstellungskraft zu wecken, indem sie sich fragt, wie wohl die Stimmung und die ganze Atmosphäre an einem bestimmten Ort ist.
Im Gespräch entsteht die Frage, ob sich die Grenze zwischen Autor und Figur im Schreibprozess manchmal vermischen, dass sich also Äußerlichkeiten und Charakter ähneln. Vego sagt darauf, dass sie eine klare Grenze zwischen sich und den Figuren zieht. Die beschriebenen Situationen hat sie häufig auch selbst so ähnlich erlebt, aber ihre Figuren reagieren ganz anders darauf.
Sie erwähnt ganz lässig, dass sie schon dabei ist etwas Neues zu schreiben und zu veröffentlichen. Etwas anderes erwartet man von der talentierten Autorin auch nicht.
Nach dem inspirierenden Gespräch bedankt sich die Exkursionsgruppe bei Kristin Vego mit einem Strauß Blumen und Bethmännchen, einer Spezialität aus der Heimat. Sie verabschieden sich und die Frankfurter:innen beschließen, die Abendsonne auf dem modernen Osloer Operngebäude zu genießen.
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Über die Autorin: Christina war schon immer von Skandinavien fasziniert. Sie wuchs mehrsprachig auf und liebt es, neue Sprachen zu lernen. Im Rahmen ihres Bachelorstudiums der Skandinavistik, das sie 2021 begann, lernt sie Dänisch und Schwedisch. Für Kulturkiosk schreibt sie ab und zu Gastbeiträge über das Studium der Skandinavistik.