Vom norddeutschen Studenten zum einzigen Überlebenden einer Forschungsreise im Namen des dänischen Königs – viele Punkte der Geschichte Carsten Niebuhrs erscheinen aus heutiger Sicht unglaublich. Sie erzählt von einer jahrelangen Expedition, unbekannten Krankheiten und Begegnungen mit Menschen, Kulturen und Kulturdenkmälern. Und da Niebuhrs Aufzeichnungen auch forschungsgeschichtliche Relevanz haben und von archäologischen und historischen Stätten berichten, haben sich Archäologie-Studierende der Goethe-Universität unter Leitung von Dr. Stephanie Döpper und Katja Thode die Stationen seiner Reise genauer angeschaut. Auch ich nahm an dem Seminar teil, in dem mit dem Dithmarscher Landesmuseum eine Ausstellung in Meldorf, Niebuhrs späterem Wohnort, konzipiert wurde.
Carsten Niebuhr wurde am 17. März 1733 in Lüdingworth-Westerende in eine Bauernfamilie hineingeboren. Nach dem Tod seines Vaters zog er nach Hamburg und schloss dort eine Ausbildung zum Landmesser ab. Während seines anschließenden Mathematikstudiums in Göttingen besuchte er häufig Veranstaltungen des Theologen und Orientalisten Johann David Michaelis. Dieser wollte mit einer Reise in den Orient die Orte der biblischen Erzählungen erforschen. Schon 1756 bekam er dazu die Zusage des dänischen Königs Friedrich V und ließ seinen Studenten Niebuhr fragen, ob er denn mit nach Arabien wolle. Nach einigen Jahren ging es für die Expeditionsteilnehmer aus Deutschland, Dänemark und Schweden los: mit dem Segelschiff von Kopenhagen aus bis nach Alexandria.
Auf seiner Reise durch den Orient durchquerte Carsten unter anderem Ägypten und den Jemen und lebte sogar ein Jahr lang in Indien, bzw. dem damals britischen Bombay (heute Mumbai). Reisen gestaltete sich vor 250 Jahren schwieriger und zeitintensiver als heute. Erst sechs Jahre später, im Jahre 1767, sollte Niebuhr nach Kopenhagen zurückkehren – mit jeder Menge Aufzeichnungen, jedoch ohne seine Mitreisenden. Denn die Anfangszeit war schwieriger als erwartet. Nicht nur gab es Uneinigkeiten in der Gruppe, was Planung und Geldverwaltung anging, die Reisenden litten auch zunehmend unter Krankheiten.
Heute kennen wir die Krankheit Malaria, damals schrieb die Gruppe ihr Unwohlsein ihren Lebensumständen und dem fremdartigen Essen zu. Carsten Niebuhr hielt im Nachhinein fest, dass er es für besser gehalten hätte, sich den Lebensgewohnheiten vor Ort anzupassen, um die „Erkältungen“ auszukurieren. Doch Malaria lässt sich nicht auf die einfache Schulter nehmen. Der Expeditionsleiter Friedrich Christian van Haven, Theologe und Orient-Philologe, starb bereits zu Beginn der Reise in Mokka. Auch der Naturwissenschaftler Peter Forsskål, der die Aufgabe hatte, Flora und Fauna zu dokumentieren, erlag seinen Leiden im Jemen. Später, auf der Überreise von Mokka nach Bombay starb der bedienstete schwedische Dragoner Lars Berggren sowie der Zeichner und Maler Georg Wilhelm Baurenfeind, dessen große Reise bereits mit 25 Jahren ein jähes Ende fand. In Indien starb schließlich der Arzt Christian Carl Cramer und ließ Niebuhr, der als Kartograph an der Reise teilnehmen sollte, als einzig Überlebenden zurück.
Aber dieser entschied sich, die Expedition dennoch fortzusetzen. So übernahm er alle Aufgaben selbst, um die 349 formulierten Fragen zum Alten Testament zu beantworten. Er schrieb Briefe an Michaelis und den dänischen König, führte Tagebuch und dokumentierte alles, was er für wichtig hielt. Auf diese Weise fertigte er nicht nur Karten und Wetteraufzeichnungen an, sondern zeichnete und beschrieb die Stätten, die er besuchte, versuchte aus Inschriften schlau zu werden, notierte Bemerkungen zur Kultur und den Menschen und ihren Gewohnheiten. In den folgenden Jahren kam er recht erfolgreich durch die Fremde, indem er sich dem Kleidungsstil und dem Verhalten der Einheimischen anpasste und sich an ortskundige Führer hielt.
Beachtlich ist dabei die Unvoreingenommenheit, mit der er seine Beobachtungen niederschrieb. Der nahe Osten wurde von seinen Zeitgenossen eher mit Vorurteilen belastet und wertend betrachtet, während Niebuhr seine Beobachtungen höchstens kommentiert. Seine für damalige Verhältnisse sehr objektiven Beschreibungen haben mich überrascht, als ich mich zu Beginn des Seminars auf eurozentristische Aussagen und fragwürdige Standpunkte gefasst gemacht habe. In sein Tagebuch soll er geschrieben haben, dass „Kulturen nicht gut oder schlecht sind, sie sind nur unterschiedlich“. In Indien bewunderte er auch die Toleranz und das Miteinander verschiedener Religionen, wie es in Europa unvorstellbar war.
Neben seinen Bemerkungen und schönen, teils sehr genauen Zeichnungen von Tempeln und anderen Monumenten, beschäftigte sich Niebuhr auch mit der Entzifferung von Hieroglyphen und Keilschrift. Seine Abschriften spielten für spätere Entschlüsselungen dieser Rätsel des Altertums eine große Rolle. Auch wenn sich diese Abenteuer teilweise wie Szenen aus Action-Adventure-Videospielen wie Tomb Raider oder Uncharted, hatten sie dennoch seinen Sinn und auch Bedeutung für die Forschung.
Nachdem Niebuhr als einziges Expeditionsmitglied und nach sechs Jahren 1767 nach Kopenhagen zurückkehrte, begann der nächste Teil der wissenschaftlichen Arbeit: das Verschriftlichen und Publizieren. Im Jahre 1772 veröffentlichte er zunächst das einführende Werk „Beschreibungen von Arabien“, in den Jahren 1774, 1778 und schließlich 1815 erschienen dann die „Reisebeschreibungen nach Arabien und andern umliegenden Ländern“ in drei Bänden. An öffentlicher Anerkennung mangelte es jedoch, und so lebte Niebuhr ab 1778 als zivildienstlicher Landschreiber in Meldorf, wo er am 26. April 1815 fast erblindet starb.
Wer das Abenteuer Carsten Niebuhrs und die verschiedenen Stationen seiner Reise näher unter die Lupe nehmen möchte, kann im Herbst einen Ausflug nach Dithmarschen unternehmen. Der Meldorfer Dom öffnet seine Pforten zur Ausstellung am letzten Oktoberwochenende. In dem Seminar der Universität Frankfurt recherchierten die Studierenden zwei Semester lang, entwarfen Poster und planten eine Ausstellung. Ziel war es, Niebuhrs Aufzeichnungen auch aus der Sicht moderner wissenschaftlicher Erkenntnisse archäologisch zu betrachten und die Posterausstellung so zu organisieren, dass sie sowohl Archäologie-Interessierte als auch andere Abenteuerlustige ansprechen. Neben den Stationen und Postern mit Text und Bild gibt es im Museum ebenfalls eine Niebuhr gewidmete Ecke mit Exponaten. In Meldorf ist seine Vergangenheit hautnah zu erleben: Niebuhrs Wohnhaus befindet sich direkt gegenüber, seine Grabplatte sogar im Dom.
Weiterführende Literatur und Quellen:
Niebuhr, C. (1774), Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern. Band 1.
Niebuhr, C. (1778), Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern. Band 2.
Baack, Lawrence J.: Undying Curiosity. Carsten Niebuhr and The Royal Danish Expedition to Arabia (1761-1767), Vol. I, Bd. 22, Stuttgart 2014, S.204-209.
Karnofsky, E.: Carsten Niebuhr: Reisebeschreibung nach Arabien und andern umliegenden Ländern. SWR2 Buch der Woche vom 17.02.2019 https://www.swr.de/swr2/literatur/bookreview-swr-2906.html
Huvenes F.: Carsten Niebuhr. Det Store Leksikon. https://snl.no/Carsten_Niebuhr
Mikkelsen, J./Svane-Knudsen, A./Kjellberg, J.: Carsten Niebuhr og Den Arabiske Rejse (1761-1767). https://www.sa.dk/da/moed-danmarks-historie/historier-fra-arkivet/carsten-niebuhr-og-den-arabiske-rejse-1761-1767/