Was man von hier aus sehen kann

© Mia Göbel

Mariana Leky hat einen zauberhaft witzigen Roman geschrieben. Was man von hier aus sehen kann, 2017 beim Dumont Verlag erschienen, erzählt die Geschichte einer jungen Frau, Luise, die sich ihren Weg im Leben sucht und dabei von vielen liebenswerten und eigenartigen Figuren begleitet wird. Rührend und poetisch geschrieben hat der Roman mich sofort in seinen Bann gezogen. Immer wieder halten zeitliche Vorgriffe die Spannung und doch haben mich die Ereignisse so unerwartet getroffen wie die erzählende Hauptfigur. Und all das beginnt schon im ersten Absatz: „Als Selma sagte, sie habe in der Nacht von einem Okapi geträumt, waren wir sicher, dass einer von uns sterben musste, und zwar innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden. Das stimmte beinahe. Es waren neunundzwanzig Stunden. Der Tod trat etwas verspätet ein, und das buchstäblich: Er kam durch die Tür. Vielleicht verspätete er sich, weil er lange gezögert hatte, über den letzten Augenblick hinaus.“

Über drei Jahrzehnte zieht sich die mit Selmas Traum beginnende Handlung, die um Luise und ihre Großmutter Selma herum gesponnen ist. Zu Beginn ist Luise zehn Jahre alt und erzählt davon, wie das ganze Dorf in Aufruhr gerät, weil Selma im Traum mal wieder einem Okapi auf der Uhlheck begegnet ist: Plötzlich werden Geheimnisse gelüftet und Dinge erledigt, denn morgen könnte es ja zu spät sein. So startet der Optiker mal wieder einen Versuch, Selma seine Liebe zu gestehen, nur um nach ein paar Sätzen abzubrechen und den Briefanfang zu all den anderen der vergangenen Jahre zu legen. Die Dorfbewohner wenden sich an die abergläubische Elsbeth, die gegen alles ein Hausmittel kennt, nur nicht gegen den Tod. 

Normalerweise ist das Dorfleben durch Eintönigkeit geprägt: Luise fährt jeden Morgen mit ihrem Freund Martin im Regionalzug zur Schule. Sie lehnen sich gegenüber voneinander mit den Rücken an die Türen und zählen einander auf, was hinter ihnen gerade vorbeizieht. Palm, der alkoholsüchtige Jäger, versucht regelmäßig das Reh auf seiner Wiese zu schießen, und Selma verjagt es vorher durch das Zuknallen ihres Garagentors. Luises Vater rät den anderen immer wieder, sie sollten doch mehr Welt hineinlassen, und die mürrische Marlies sitzt Tag für Tag in Unterhose und Norweger-Pullover in ihrem Haus, will mit niemandem reden und lässt sich von niemandem vor die Tür locken. Doch all das wird durch die Nachricht von Selmas Traum in den Hintergrund gedrängt und manch ein Dorfbewohner denkt sogar darüber nach, dem Tod bei der Wahl seines Opfers unter die Arme zu greifen.

Was man von hier aus sehen kann ist ein Buch, das einen zum Lachen bringt und zu Tränen rühren kann und einen doch unbeschwert zurücklässt. Einer der schönsten Romane, die ich seit langem gelesen habe! Mir war sehr schnell klar, dass ich dieses Buch in Zukunft noch einige Male verschenken werde.

Der Roman gelangte auf die Spiegel-Bestsellerliste, wurde mittlerweile in über 20 Sprachen übersetzt – unter anderem ins Dänische, Schwedische, Englische und Spanische – und wird laut Verlag derzeit fürs Kino verfilmt.*

Mariana Leky: Was man von hier aus sehen kann. Köln 2017. 6. Auflage 2020. (12,00 €)
ISBN: 978-3-8321-6457-7

* Quelle: https://www.dumont-buchverlag.de/buch/leky-was-man-von-hier-aus-sehen-kann-9783832198398/

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