Draußen schlafen

Grau, kalt, nass – in dieser Jahreszeit zieht einen nicht vieles nach draußen. Erst recht nicht nach Sonnenuntergang, wenn die Temperaturen weiter sinken und das sowieso schon kaum vorhandene Tageslicht erlischt. Jetzt Wildcampen? Im Winter lockt eher der Gedanke daran, es sich mit heißem Tee und einer dicken Decke vor dem knisternden Kamin gemütlich zu machen – oder eben auch nur vor der Heizung; Hauptsache, da ist eine dicke Wand zwischen einem selbst und der Kälte, und ein Dach, das den Regen abhält. Und wenn es mal Abwechslung vom Alltag geben soll, dann möglichst weit weg ins Warme, in ein Hotel am sonnigen Strand. Oder etwa nicht?

Es geht auch anders. Ganz anders. Und wenn man eine Abwechslung vom Alltag sucht, dann ist es vielleicht genau das, was erfüllend sein kann. Raus gehen, hinein ins Ungemütliche. Sack und Pack schultern, durch Kälte und Nässe stiefeln, weg von den trauten vier Wänden, hinein in den Wald. Raus aus der Komfortzone, ganz buchstäblich. Dick eingepackt, die Mütze ins Gesicht gezogen und den Schal um den Hals geschlungen, so kennen wahrscheinlich viele herbstliche oder gar winterliche Wanderungen. Einmal im Hellen schnell die Natur genießen, die sich in diesen Monaten so unwirtlich zeigt, und abends wieder im Warmen sitzen. Nein, so einfach wollen wir es uns heute nicht machen. Denn um unsere Komfortzone wirklich zu verlassen, müssen wir länger bleiben. Über Nacht.

Zugegeben, gerade jetzt, wenn es wirklich eiskalt und verregnet ist, würde ich mich auch nicht gerne auf Übernachtungstour ins Freie begeben und es auch keinem empfehlen – außer ihr habt wirklich Lust auf ein kleines Survivalabenteuer, seid masochistisch veranlagt und bringt eine ordentliche Menge Erfahrung mit. Ganz im Gegenteil: Die Kälte ist lebensgefährlich. Wenn ihr in dieser Jahreszeit (in der Stadt) unterwegs seid und wohnungslose Menschen seht, die schutzlos draußen schlafen müssen, habt am besten schon die Nummer des örtlichen Kältebusses parat. Wenn ihr Isomatten und Schlafsäcke überhabt, könnt ihr diese häufig auch spenden.

Womit wir auch bei einem wichtigen Punkt beim Wildcampen wären: der Ausrüstung. Auch wenn man im Sommer oder Herbst in der Natur schlafen will, ist das, was ihr dabeihabt, sehr ausschlaggebend dafür, wie gemütlich und ob ihr überhaupt schlafen werdet. Beim Wort Wildcamping werden viele vermutlich zuerst an ein Zelt denken: das ist quasi die Luxus-Option, aber nicht überall erlaubt. Vor allem in nordischen Ländern gibt es ein traditionelles Recht, die Natur zu nutzen, das sogenannte Jedermannsrecht. In Schweden, Norwegen, Finnland und auch Schottland ist es demnach jeder Person erlaubt, sich im Freien zu bewegen, zu übernachten, Pflanzen für den Eigenbedarf zu nutzen und sogar mit Vorsicht Feuer zu machen, wobei sich die einzelnen Richtlinien im Detail unterscheiden können. Mit dem Jedermannsrecht kommen auch Pflichten einher, ein verantwortungs- und respektvoller Umgang mit der Natur und miteinander, sowie das Hinterlassen eines Ortes wie man in aufgefunden hat.

In Dänemark und Deutschland gibt es ein solches Recht nicht (in Dänemark sind allerdings viele Wälder zum Wildcampen für eine Nacht freigegeben und vielerorts stehen Shelter – vor Wind und Wetter schützende Holzverschläge zur Verfügung). In jedem Forst können unterschiedliche Regeln gelten und die Rechtslage ist meist kompliziert und ungenau. Eines jedoch ist zumindest nicht verboten: das Biwakieren. Im Gegensatz zum Camping beschreibt dies das Übernachten unter freiem Himmel ohne Zelt. Auch hier gilt natürlich ein respekt- und verantwortungsvoller Umgang in und mit der Natur. Aber umgekehrt geht die Natur nicht immer ganz so rücksichtsvoll mit einem selbst um und ohne Zelt ist man Wetter, Wind und anderen Widrigkeiten weitaus mehr ausgesetzt. Und ohne ein Feuer machen zu können, was wegen der Brandschutzgefahr verboten aber auch ohnehin oft schwierig genug ist, werden die Sachen, einmal nass geworden, auch nicht mehr so schnell trocken und warm.

Mit dem Zelt habe ich schon sehr häufig draußen geschlafen. Mit meinen Eltern verbrachte ich meine Sommerurlaube schon immer auf Campingplätzen, und irgendwann habe ich dann angefangen, in Norwegen und Schweden meine ersten mehrtägigen Wandertouren zu machen. Alles, was ich für die Zeit brauchte, befand sich in meinem Rucksack. Ebenso Zelt, Isomatte und Schlafsack, sodass ich am Ende eines Tages abseits des Weges eine geeignete Stelle suchen und meine Schlafstätte einrichten konnte. Das ist natürlich kein Luxusurlaub und ich habe auch auf diesen Touren schon viele Erfahrungen mit nächtlicher Kälte und nassem Hab und Gut gemacht – meist jedoch wegen fehlender Erfahrung und schlecht geplanter Ausrüstung. Auf der anderen Seite hat so ein kleines Abenteuer in der Wildnis seine Vorzüge: ohne Wildcamping wäre es kaum möglich, die abgelegenen Trekkingrouten entlangzuwandern und die Natur abseits der Zivilisation zu entdecken. Und nachts mitten im Wald zu liegen und das Rascheln der Blätter im Wind zu hören, um dann morgens von den ersten Sonnenstrahlen und Vogelgesängen aufgeweckt zu werden und in aller Einsamkeit den Blick hinaus auf den still liegenden See zu genießen, hat etwas Besonderes.

Ohne Zelt ist das nochmal anders. Die Vorstellung, direkt unter dem freien Himmel zu liegen und über einem die Sterne leuchten zu sehen, wirkt verlockend. Zudem spart man sich eine Menge Gepäck und ist tagsüber leichtfüßiger unterwegs. Je nach Jahreszeit und Wetter ist das relativ unproblematisch möglich. Im Juli habe ich meine Geburtstagsnacht an einem Seeufer verbracht. An einen Baum haben wir ein Moskitonetz aufgehängt (gerade in Gewässernähe sollten beim Wildcampen nie die Mücken vergessen werden) und haben in einen dünnen Schlafsack eingerollt auf einer Isomatte und einer kaputten Luftmatratze geschlafen. Nächtliche Vogelrufe und das Knacken von Ästen können am Anfang gruselig sein, doch man gewöhnt sich schnell daran. Entlohnt wird man mit dem morgendlichen Sprung ins Wasser und dem Privileg, als Tageserster den Blick über die noch unberührte Natur schweifen zu lassen.

Eine Möglichkeit, nicht direkt auf dem Boden liegen zu müssen und nachts herumkriechenden Tieren aus dem Weg zu gehen, ist das Mitbringen einer Hängematte. Es gibt spezielle Biwakhängematten, die im Transport leicht und sehr klein sind und, zwischen zwei Bäumen aufgehängt, auch noch ein Moskitonetz über dem Kopf bieten. In einer Hängematte unter freiem Himmel zu schlafen, ist etwas Besonderes – an die leicht schräge Lage, damit man in der Mitte nicht so durchhängt, muss man sich gewöhnen, um dann auch wirklich schlafen zu können. Und eine Sache musste ich definitiv lernen: durch die kalte Luft, die nachts vom Boden aufsteigt, kommt man schnell ins Frieren. Biwakhängematten haben dafür eine Art Tasche auf der Unterseite, in die sich eine Isomatte schieben lässt, die eine Isolierschicht zwischen dem Rücken und der Kälte bildet.

In Aarhus bin ich einmal spontan in den Wald gezogen und habe meine Hängematte unweit von der Abbruchkante zur Küste Kattegats aufgehängt. Es war Spätsommer, und ich habe weder Isomatte noch Schlafsack mitgenommen. Ich wollte ausprobieren, ob ich meinen Kilt als Schlafsack nutzen kann: das Beinkleid, dass ich gefaltet und mit Gürteln befestigt an meinem Körper trug, ist im ausgerollten Zustand ein fünf Meter langes, dicht gewebtes Stück Wolle. Tatsächlich konnte ich mich darin komplett einrollen und unter anderen Umständen wäre es vermutlich so warm und gemütlich geblieben, wie es bei Anbruch der Dunkelheit zunächst noch schien. In der Nacht kam ich aber kaum zum Schlafen. Immer wieder wachte ich auf, von der vom Boden aufsteigenden kalten Luft komplett durchgefroren, und versuchte in einer anderen Position wieder einzuschlafen. Irgendwann wartete ich nur noch auf den Sonnenaufgang.

Die Kälte, die nachts über einen hereinbricht, wenn man draußen unterwegs ist, ist wirklich nicht zu unterschätzen. Während die Hängematte im sommerlichen Süden ohne Bedenken eine schöne Nacht unter dem Sternenhimmel versprechen kann, sollte man sich unter anderen Bedingungen mehr Gedanken zur Wärmeerhaltung machen. Wind kann ebenfalls auskühlen, und nass möchte man ohnehin nicht werden. Um sich gegen solche Einflüsse ohne Zelt zu schützen, gibt es Tarps. Ein Tarp ist eine Art Plane, die sich zwischen Bäumen oder am Boden befestigt aufspannen lässt und so ein schräges oder dreieckiges Dach bietet, das den Regen abhält.

Im Mai war ich mit einem Freund im Taunus unterwegs (als Beherbergung in Deutschland coronabedingt nicht möglich war, war Wildcamping sozusagen auch die einzige Möglichkeit, woanders zu schlafen als in der eigenen Wohnung). Nach einem langen Wandertag haben wir uns eine schöne Stelle in Gipfelnähe gesucht und zwischen knorrigen Bäumen unser Lager aufgebaut. Es war nicht gerade warm und hat so gut wie durchgängig geregnet, aber wir haben es geschafft, ein Tarp so zu spannen, dass wir beide mit unseren Hängematten darunter Schutz fanden. Trocken blieben wir, und auch wenn der Blick zum Himmel verdeckt ist, bleibt mit den offenen Seiten das Gefühl, mitten in der Wildnis zu schlafen. Trotz Isomatte, Schlafsack und Kilt wurde es später in der Nacht übrigens sehr kalt. Häufiges Aufwachen und ein leichter Schlaf sind die Regel, auch wegen der ungewohnten Geräuschkulisse. Ein solcher Schlafrhythmus ist vielleicht aber eine Umstellung auf den natürlichen Schlafrhythmus von Menschen, als wir noch regelmäßig ohne ein Dach über dem Kopf hausten – und Wärmeerhaltung und Aufmerksamkeit wichtig waren.

Achtsamkeit ist tatsächlich auch ein gutes Stichwort – gezwungen, sich dem Tag-Nachtrhythmus anzupassen, und alleine oder zu zweit für viele Stunden nur von Bäumen und Stille umgeben zu sein, lässt einem Zeit, nachzudenken und sich zu reflektieren. Einmal abzuschalten, von all dem Alltagsstress. Sich auf ganz andere Dinge und Empfindungen einzulassen. Wärme und Geborgenheit, die sonst selbstverständlich sind, rücken mehr in den Vordergrund, andere Dinge werden unwichtig; ständige Erreichbarkeit und schnelle, unterschiedliche Eindrücke auf Social Media fallen weg. Natürlich kann man auch ein Smartphone mit in den Wald nehmen, aber selbst wenn Empfang da ist, würde ich dazu raten, abzuschalten und das Handy nur für Fotos, Orientierung, oder eventuelle Notrufe zu nutzen.

Tatsächlich kann es schwierig sein, auf einmal so mit sich und seinen Gedanken allein zu sein. Ohne Ablenkung und soziale Kontakte würde ich gerade auf mehrtägigen Touren dazu raten, diese mit Freund:innen zusammen zu bestreiten. Auf YouTube ist gerade eine Serie eines deutschen Bushcrafters in den Trends, in denen sieben Teilnehmer sieben Tage lang mit nur sieben Sachen in der schwedischen Wildnis auszukommen versuchen. In „7 vs. Wild“ auf dem Kanal von Fritz Meinecke versuchen die Männer, alle an unterschiedlichen Stellen im Wald ausgesetzt, für Unterschlupf, Feuer, Wärme und Nahrung zu sorgen und dabei tägliche Challenges zu meistern. Spannend ist aber auch, dass es vor allem die Einsamkeit ist, die ihnen Tag für Tag mehr zu schaffen macht. Wer sich für das Thema interessiert, dem kann ich empfehlen, mal in diese toll gemachten Videos hineinzuschauen und Einblicke in die Herausforderungen des Wildcampings zu erlangen. Dabei wird auch klar, was auf solchen Touren ebenfalls wichtig ist: die richtige Kleidung, Essen und Wasser, das, wenn der Natur entnommen, möglichst abgekocht oder mit einem Wasserfilter trinkbar gemacht werden sollte.

Ich jedenfalls kann es kaum erwarten, dass die Witterung es bald wieder zulässt, raus in die Natur zu entfliehen. Unter den Sternen liegend, umgeben nur von Wald, in Gedanken auf Reisen zu mir selbst und allem anderen. Habt ihr Erfahrungen mit dem Zelten in der Natur? Könnt ihr euch vorstellen, auch mal ohne ein Zelt draußen zwischen den Bäumen zu schlafen?


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