Auf die Al Halqa-Aufführungen in Marokko, um einen Erzähler oder Sänger herum auf den Plätzen gebildeten Versammlungen, hatten die rapiden Veränderungen seit der Kolonialzeit (1912-1956) tiefgreifende Auswirkungen. Ihre Neuerfindung im gegenwärtigen marokkanischen Theater ist durch komplexe kulturelle und ideologische Strömungen der heutigen Öffentlichkeit geprägt. Im Zuge der Verpflanzung der Techniken und der zirkulären Erscheinungsform der Al Halqa in Theaterhäuser werden existierende Dramaturgien revidiert oder genauer: neu geschrieben. Der traditionelle Erzähler wird zum Agenten der kulturellen und politischen Mobilisierung. In der Entwicklung von Tayeb Saddikis Sidi Abder-rahman Al-Majdoub (1967) zu Naima Zitans Dialy (2012) zeigt sich eine Obsession mit der Al Halqa als einem tief verankerten Performance-Paradigma in Marokko, das fortwährend umgestaltet und erneuert wird. Beginnend mit Saddiki hat die Wiederherstellung von Al Halqa dazu geführt, dass die Theaterpraxis nach der Unabhängigkeit von einem spezifischen marokkanischen Geist geprägt wurde. In Dialy werden die Strategien des Rahmens und Erzählens der Al Halqa ins Spiel gebracht, um patriarchalische Strukturen und die soziale Reproduktion von Ungleichheiten der Geschlechter über die Generationen hinweg infrage zu stellen. Angesichts der sich ausbreitenden islamischen Orthodoxie und der Gewalt gegen Frauen ist diese künstlerische Intervention an der Zeit. Keine andere Aufführung hat vergleichbare Gegenreaktionen in den marokkanischen Medien hervorgerufen. Vortrag in englischer Sprache. Khalid Amine ist Professor für Performance Studies an der Abdelmalek Essaadi University in Tétouan, Marokko, sowie Gründungspräsident des internationalen Zentrums für Performance Studies (ICPS) in Tanger. 2007 gewann er den Helsinki-Preis der IFTR. Von 2008-10 war er Research Fellow an der FU Berlin. Zahlreiche Publikationen, u.a.: Beyond Brecht (1996), Moroccan Theatre Between East and West (2000), Dramatic Art and the Myth of Origins: Fields of Silence (2007), The Theatres of Morocco, Algeria and Tunisia: Performance Traditions of the Maghreb (2012) und The Art of Dialogue: East–West (Hg. 2014).