Vortrag vom 25.04.2017
Im 18. und 19. Jahrhundert wurde Prometheus zum Sinn- bild des Menschen stilisiert, der gegen die Tyrannis der Vatergötter rebelliert und als freies Wesen durch Irrtümer hindurch zu seiner Selbstverwirklichung und Vollendung voranschreitet. Diese anthropozentrische Sichtweise beruht auf erheblichen Verkürzungen des aischyleischen Fragments, das entsprechend seiner Antipoden zwei Legenden aufweist: die anthropologische Erzählung des Prometheus und die Theogonie des Zeus. Beide sind ein- gebettet in die Erzählung einer Kosmologie, die keine Leh- re wiedergibt, sondern eine kosmische Topologie entfaltet, die in sich völlig ratlos ist. Inmitten dieser Kosmologie gerät Prometheus zu einem Ereignis, das seinen Horizont de nitiv nicht in einer zu sich selbst voranschreitenden Menschheit hat.
Die Kosmologie des Aischylos räumt den materiellen Kräften einen aktiven Part ein. Sie haben am Werden der Welt teil. Sie verlangen eine andere Aufmerksamkeit dafür, wie das «Menschliche» und seine «Gegenspieler» unter- schieden oder überhaupt begri en werden könnten. Das Fragment des Aischylos führt uns mit Io oder dem Vogel- Mädchen-Chor der Okeaniden Träger dieser anderen Aufmerksamkeit vor, die Grenzgestalten des Weiblichen bilden. In ihrem Horizont zeigt sich das Menschliche als etwas, das sich unter heterogenen, belebten und vermeint- lich unbelebten Kräften und Geschöpfen vor ndet. Falls
es sich positioniert, geschieht dies unter anderen, weniger inmitten als am Rand.