Ich hatte in den vergangenen Monaten die Gelegenheit, ein Weiterbildungsangebot zu nutzen, bei dem ich (als Lerner mit akademischem Hintergrund und Interesse) ein e-Learning-Angebot in einer Gruppe wahrnahm, in der ein Großteil der Teilnehmer die Weiterbildung vom Chef verordnet bekommen hatten. So nach dem Motto „E-Learning klingt trendy, vielleicht kann man das Geld sparen, macht das mal.“
Im Rahmen dieser Weiterbildung wurden einige Fragen angeschnitten, die Lore Reß in ihrem aktuellen Blog-Beitrag zur letzten Woche des #opco11 ebenfalls anspricht und so seien denn kurz einige meiner Eindrücke hier festgehalten.
Offene oder geschützte Umgebung und wie werden Unternehmen auf dieses Format reagieren?
Bei dieser Frage war ich überrascht von der Skepsis, die PLEs gegenüber zum Vorschein kam. Schnell brachte man da die schrecklichen Tentakel der Datenkrake auf’s Tablett, Facebook beforscht seine Nutzer anhand ihrer Daten, bei zunehmend verschmelzenden PLEs und VLEs gelangt zu viel privates ins Netz; es ist aus Moderatorenperspektive kaum zu „kontrollieren“, wenn viele verschiedene Kommunikationskanäle benutzt werden; offene Umgebungen erschweren fokussiertes Lernen, da auf allen Kanälen immer auch jede Menge Beifang mitströmt – gerade für Lerner, denen die Differenzierung „wichtig-unwichtig“ schwer fällt, können schnell den Überblick und somit die Motivation verlieren; Lernen heißt Fehler machen, öffentlich lernen heißt öffentlich Fehler machen – sind wir als Gemeinschaft reif genug, um damit sachlich genug umzugehen?
Wir haben ja im Verlauf der letzten Wochen gelernt, dass die Idee geschützter Lernumgebungen im Grunde nichts weiter ist als die Übertragung des alten Lehr-Lern-Paradigmas auf das Internet, angereichter vielleicht mit ein paar fancy Multi-/Social Media-Elementen. Offene Umgebungen verlangen ein höheres Maß an Medienkompetenz und sind flüchtiger als die im Grunde immer gleich aussehende Moodle-Oberfläche. Tools kommen und gehen, manche mit Potenzial für’s Lernen, andere erweisen sich als Luftnummern. Manche probieren als early adopters gerne selbst alles aus, andere warten ab, was die early adopters entscheiden. Manche lernen in diesem Prozess, andere lenkt er vom Lernen ab.
Um die Anbindung an die Frage von Lore Reß zu schaffen – im Bezug auf das e-Learning in Unternehmen denke ich, offene Lernumgebungen werden es hier schwer haben. Da sind zum einen Leute, die eigentlich gar keine Interesse am Lernen haben, die lieber von 9 bis 5 mit der Nase in der Finanzbuchhaltung stecken und die werden sich einen feuchten Kehricht um Twitter, G+ und Blogs scheren – zumindest während der Arbeitszeit. Und wenn die dann vorbei ist, gehen sie nach Hause und machen irgendwas anderes, aber nur die wenigsten werden sich auch im Feierabend noch an den Computer hocken und Blogs lesen oder Tweets absetzen.
Hinzu kommt natürlich die Tatsache, dass Offenheit nicht unbedingt das ist, was sich Leute aus Wirtschaft und Industrie an erster Stelle wünschen. Die Leute, die ich bisher getroffen habe, die nicht aus dem Akademischen kamen und sich e-Learning angeschaut haben, die wollen gar keinen öffentlichen Beitrag in eine diffuse Gemeinschaft der Netzlernenden einspeisen. Die wollen nicht für ein schwammiges „Wir“ produzieren, das sie nie mit eigenen Augen gesehen haben. Und die haben überhaupt kein Interesse an einem kollektiven Lernprozess, der über die Facetten des eigenen Tätigkeitsbereiches hinausgeht.
Mein Eindruck nach nunmehr sechs Monaten Weiterbildung mit Leuten von außerhalb der Uni ist daher, dass betriebliches Lernen in geschlossenen Umgebungen wohl besser aufgehoben ist. In den meisten Fällen werden die Leute nicht die Zeit und Lust haben, die eine Einarbeitung in Web 2.0-Werkzeuge verlangt. Ich habe betrieblich Lernende kennen gelernt, die sich sagen „Ich sitze hier von 9 bis 5, muss heute in der Zeit X, Y und Z erledigen und dann nebenbei noch ein bisschen was e-lernen weil’s der Chef so will – wie gesagt, bis 5 hab ich Zeit, gib mir Inhalte und ich klick mich durch.”
Wenn ich wieder in Richtung Uni schiele, habe ich da etwas mehr Hoffnung. Ich frage mich aber auch gerade jetzt post opco: Wie lässt sich das opco-Konzept sinnvoll in den akademischen Lehrbetrieb einbinden? Welche Anliegen haben die opco-Teilnehmer diesbezüglich, in welchen Kontexten würden sie selbst opco-Spirit in ihre Lehrveranstaltungen tragen und v.a. welche konkreten Szenarien sind in welchen Kontexten denkbar und angedacht?
Wie viel Führung/Anleitung benötigen Teilnehmer, um motiviert mitzuarbeiten?
Eine Antwort auf diese Frage hängt glaube ich davon ab, was man unter „Führung/Anleitung“ versteht. Anleitung im Sinne einer „How To“ wie man twittert, googleplusst oder blogt ist in offenen Umgebungen vermutlich überflüssig. In geschlossenen Lernumgebungen mit nicht so lernaffinen TN wird man hier aber vermutlich einiges mitdenken müssen.
Was das Maß an Führung in offenen Formaten angeht, haben die Veranstalter des #opco für meinen Geschmack eine sehr gute Balance getroffen. Ich für mich ersetze die Begriffe „Führung“ und „Anleitung“ lieber mit dem Begriff von „Lernanreizen“ (incentives, teaser). Ich verspüre sehr selten das Bedürfnis nach „Führung“ oder „Anleitung“. Ich habe aber immer Hunger auf Lernanreize. Solche Lernanreize erfasst die Sprachlehr- und –lernforschung mit Blick auf den unterrichtlichen Diskurs in sog. Input-Hypothesen. Die bekannteste von Stephen Krashen (1982) postuliert, dass der Mensch Sprache durch Kontakt mit „verständlichem Input“ erwirbt. Dabei findet Lernen dort statt, wenn die kognitiven Ansprüche des Lerninhalts minimal über dem momentanen Kompetenzgrad des Individuums liegen (Krashens berühmtes „i+1“). Verständnis wird dabei durch den Kontext und außersprachlichen Input ermöglicht. Wenn man das „i+1“ dann einmal selbst erfolgreich eingesetzt hat, wird es zunehmend automatisiert, man muss zum Lernen demnach auch zum Produzenten werden. Das letzte Postulat von Krashens Input-Hypothese ist imho auch für das e-Learning relevant und wert, aus Edmondson/House (2006:263) zitiert zu werden: „Die Fähigkeit zur Sprachproduktion entwickelt sich von selbst. Sie wird nicht direkt gelehrt.“
Also: meine Antwort auf Lore Reß` Frage (die von anderen sicher anders beantwortet wird) ist: Anleitung und Führung ersetze ich durch Lernanreize und die sollen mich fordern, aber nicht überfordern. Dazu suche ich Kontakt zu Leuten, die kompetenter sind als ich. Meine Fähigkeit zu lernen entwickelt sich von selbst. Sie muss nicht direkt gelehrt werden.
Wofür zahlen die Teilnehmer?
Schwierige Frage. Rückblickend auf die o.g. Weiterbildung habe ich vermutlich für ein Zertifikat bezahlt. Beim #opco habe ich nichts bezahlt aber mächtig was dazu gelernt. Ist doch irgendwie ungerecht, oder?
Vielleicht sind irgendwann die Kontakte, die wir zueinander knüpfen, nicht mehr kostenfrei. Vielleicht geht es irgendwann nicht mehr so leicht, andere Leute etwa wie bei G+ in irgendwelche Kreise zu stopfen, auf dass sie unseren Stream mit substanziellen Beiträgen füllen mögen. Vielleicht bezahlen wir uns irgendwann gegenseitig Mikrobeträge für die subjektiv wahrgenommene Nützlichkeit des Austausches?
Welche Medien/Tools können speziell im Unternehmensfeld eingesetzt werden?
Not my piece of cake. Ich erinnere mich dabei aber an ein Statement, dem ich letzte Woche auf G+ begegnet bin, wo irgendjemand sowas geschrieben hat wie „And people – please – leave your mothers at Facebook“. Ich hoffe, Unternehmen bleiben weiter bei geschlossenen Tools.
Wie viele Teilnehmer müssen es sein, gibt es eine Obergrenze an zahlenden Teilnehmern?
Die gibt es bestimmt, wenn alle gleich engagiert sind. Erinnern wir uns an die achte opco-Woche: Bei Etherpad liegt die Obergrenze bei 16 TN. Nur waren in manchen Pads halt auch einfach Leute, die nichts beigetragen haben, die dann potenziellen Produzenten die Plätze weggenommen haben. 16 Leute gleichzeitig aktiv in einem Etherpad – sounds like stress to me! 16 TN, bei denen nur drei was eintippen und der Rest sich bespaßen lässt – *gähn*. Also synchron sind da – wie in jedem Präsenzunterricht – wohl irgendwo Grenzen.
Asynchron darf’s ruhig auch ein bisschen mehr sein. Beim #opco etwa hätte ich durchaus noch einige aktive Blogger mehr vertragen. Aber das gibt’s ja dann vielleicht bei #change11?
Und zum Schluss noch die Frage von Lore Reß, ob G+ mehr Orientierung hätte geben können: Mir vielleicht schon, weil mein Auge den G+-Stream als übersichtlicher wahr nimmt als das Getwittere, aber vielleicht hab ich auch nur zu wenig Erfahrung mit Twitter.