Zu hoch waren meine Erwartungen an die Professional Learning Europe, die auch dieses Jahr wieder im Rahmen der Zukunft Personal stattfand. Denn an die Stelle der erhofften Innovationen traten Vergewisserungen des Altbekannten und ein etwas zu lauter Lobgesang auf die Generation Y. Hier meine Auswertung vom zweiten Konferenztag zu den Themen Social Media und Mobile Learning.
Kontrolle abgeben und Kompetenzen aufbauen
Die Vorträge der Sektion Social Media räumten einmal mehr mit dem Irrglauben auf, das Social Media im Unternehmen reduzierten sich auf eine Marketing-Offensive. Tatsächlich aber erschöpft sich das Enterprise 2.0 nicht nur in Facebook-Pages und Twitter-Konten, sondern erstreckt sich auch über die weiten Felder der innerbetrieblichen Zusammenarbeit und des arbeitsplatznahen Lernens. Diese Bandbreite spiegelte sich auch in den Vorträgen der Sektion Social Media wider, welche die bekannten Annahmen durch Theorien und Beispiele untermauerten. Social Media reformieren lang tradierte Arbeitsweisen- und Kulturen (Prof. Dr. Niemeier, Centrestage GmbH), öffnen den Mitarbeitern neue Kanäle für den Austausch mit Kunden und Partnern (Carmen Hillebrand, Metro Cash & Carry Deutschland GmbH) und schaffen Plattformen für informelle und formelle Lern-Communities (Thomas Jenewein, SAP AG). So weit, so bekannt. Wirklich aufschlussreich war für mich erst die Betrachtung des gemeinsamen Motivs der Vorträge: Das Enterprise 2.0 funktioniert nur, wenn die Verantwortlichen ein großes Stück Kontrolle abgeben. Das Marketing muss öffentliche Kritik in Sozialen Netzwerken aushalten und bloggenden Mitarbeitern einen inhaltlichen Freiraum jenseits der offiziellen Unternehmensbotschaften einräumen. Es ist an den Führungskräften, sich vom Raster der Abteilungen und Zuständigkeiten zu lösen und statt dessen spontane Arbeitsgruppen und flexible Wissensarbeit zuzulassen. Die Personalentwicklung hat zur Aufgabe freie Lernräume einzurichten, User Generated Content als Lerninhalt aufzunehmen und Lernprozesse im Zuge der Arbeit systematisch zu unterstützen. Für all dies brauchen Mitarbeiter wie Führungskräfte die entsprechenden Kompetenzen. Zu diesen gehören auch die Einhaltung des Urheberrechtes und des Datenschutzes, wie der Vortrag von Prof. Dr. Ruprecht Vogel (Kanzlei Vogel & Partner) sehr eindrucksvoll verdeutlichte.
Knackige Inhalte für mobile Lernende
Dass die allgemeine Smartphone-Euphorie nicht automatisch zu einer entsprechend großen Nachfrage nach Mobile Learning führen wird, war Konsens im World Café zum Thema Mobile Learning. Nicht nur ist Lernen als Aktivität weniger attraktiv als Spielen, Chatten und Navigieren sondern existiert an Computerarbeitsplätzen einfach kein Bedarf nach mobilen Angeboten. Die Branche hat dies erkannt und sich daher auf das Was und Wer des Mobile Learning geeinigt: kurze Nuggets für mobile Zielgruppen. Diese Tatsache haben die verschiedenen Beiträge und Diskussionen des Cafés noch einmal verdeutlicht. Denn sowohl die von PWC vorgestellten Video-Podcasts als auch das dynamische Lexikon der Allianz sind keine Innovationen, sondern Beispiele für eine gelungene Umsetzung des Bekannten. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass Mobile Learning nun einen gewissen Reifegrad erreicht hat, der es E-Learning Anbietern ermöglicht diese Lernform als Standard in ihr Portfolio aufzunehmen.
Ganz ohne ein paar Gedankenspiele jenseits des Bewährten musste ich das World Café dann doch nicht verlassen. Trudi West von der Ashridge Business School besprach an ihrem Tisch eine Studie über Mobile Learning für Führungskräfte und die damit zusammenhängenden Hoffnungen, Ängste und Erwartungen. Im Laufe der Diskussion kamen wir schließlich zu der Frage, welche Lernaktivität eigentlich “mobile specific”, also mit keinem stationären Gerät durchführbar, sei. Mit Blick auf die Führungskräfte antwortete Frau West, dass Menschen die Lösung für ein Problem oft erst jenseits ihres Schreibtisches in den Sinn käme. Dann bräuchten sie sofort ein Tool, dass ihnen hilft diese Lösung festzuhalten, weiter zu denken und zu teilen. Genau in solchen Situationen können Smartphones schließlich ihr Alleinstellungsmerkmal der Portabilität ausspielen. Denkbar wäre etwa eine Art “Executive App” mit Notiz-, Mindmapping- und Social-Features. Mobile Learning würde hier also keinen Inhalt vermitteln, sondern die Lernenden lediglich beim selbstständigen Lernen unterstützen.
Mit der neuen Generation wird alles besser?
Da sowohl Social Media als auch Mobile Learning noch mit Akzeptanzproblemen im Unternehmen kämpfen, erhoffen sich die Fürsprecher beider Themen einen Aufschwung durch die Generation Y: junge Menschen, die Social Media und Smartphones fest in ihren Alltag integriert haben und dies selbstverständlich im Berufsleben fortsetzen wollen. Doch zu hoffen, Social Media und Mobile Learning würden durch diese Generation zum Selbstläufer, ist zu kurz gedacht. Denn die Funktionen eines Tools zu beherrschen ist nicht gleichbedeutend mit der Fähigkeit diese auch strategisch am Arbeitsplatz einsetzen zu können. Mit anderen Worten ist jemand, der weiß, wie er Partyfotos bei Facebook hochlädt und kommentiert nicht automatisch in der Lage zeitlich und räumlich versetzt an einem Projekt zu arbeiten. Weiterhin mag der saloppe Umgang mit Urheberrecht und Datenschutz im Privaten wenig Konsequenzen haben, kann aber im beruflichen Kontext ernsthaften Schaden anrichten. Was die unter anderem von Martin Ebner hervorgehobene Verbreitung von Smartphones unter Schülern betrifft, hilft zur richtigen Einschätzung ein Blick in die Charts des App Stores. Diese werden dominiert von Spielen, Arbeitswerkzeugen und Kreativ-Tools. Lern-Apps suchen Sie auf den oberen Rängen vergeblich – ein paar Social Media Tools mit Lernpotential einmal ausgenommen. Dies zeigt: Smartphones sind beliebt, Lernen ist es nicht. Es ist sicher richtig, dass die Generation Y eine Menge Vorwissen, Akzeptanz und Motivation mitbringt, auf dem das Enterprise 2.0 und das Mobile Learning aufbauen können. Doch erst durch eine professionelle Unterstützung und ein weitreichendes Change Management, können diese Themen ihren rechtmäßigen Platz im Unternehmen einnehmen.
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