Vortrag vom 15.11.2023
Ein zentrales Merkmal im Denken zahlreicher deutsch-jüdischer Autoren und Intellektuellen des frühen 20. Jahrhunderts ist die Spannung zwischen einer Temporalität der Plötzlichkeit und Unmittelbarkeit einerseits und einer Zeit des Aufschubs – des Wartens, des Zögerns und Verzögerns – andererseits. Im Vortrag soll diese Spannung gegen den Hintergrund von Carl Schmitts Dezisionismus und seiner Auffassung der Entscheidungsmacht eines quasi göttlichen Souveräns reflektiert werden. Dabei wurden Denkbilder in den Schriften von jüdischen Zeitgenossen Schmitts – Franz Kafka, Gershom Scholem und vor allem, und, explizit in Auseinandersetzung mit Schmitt, Walter Benjamin – herangezogen, die diese Spannung im Licht der jüdischen Tradition konfigurieren. Gezeigt werden soll, wie ihre respektiven Ansätze als Kritik an den Voraussetzungen des schmittschen Dezisionismus gelesen werden können.
Vivian Liska ist Professorin für deutsche Literatur und Direktorin des Instituts für jüdische Studien an der Universität Antwerpen und seit 2013 Distinguished Visiting Professor an der Hebrew University, Jerusalem. Forschungsschwerpunkte: Deutsche Literatur der Moderne, Literaturtheorie, Deutsch-jüdische Denker und Autoren. Herausgeberin der Zeitschrift Arcadia (mit Vladimir Biti) und der Reihe Perspectives on Jewish Texts and Contexts (De Gruyter).