Alle Artikel in: Andere Produktionsweisen

Schaut man sich die Produktionsformen der Stadt- und Staatstheater im deutschsprachigen Raum an, so stößt man dort auf den vorherrschenden Typus einer in ungefähr sechs Wochen zustande gekommenen Theaterproduktion, deren künstlerischen Entscheidungen in aller Regel eine große Zahl außerkünstlerischer Entscheidungen zugrunde liegen, die von Künstlerinnen und Künstlern wie Publikum als Voraussetzung mehr oder weniger stillschweigend akzeptiert und nicht weiter zum Thema erhoben werden. Doch die außerkünstlerischen Vorentscheidungen bestimmen in entscheidender Weise mit, was auf der Bühne später zu sehen ist: Ein bestimmter Ablauf der Produktion folgt weniger den Wünschen der daran Beteiligten als vielmehr den Gepflogenheiten, Gewohnheiten und Notwendigkeiten der Häuser. Die Auswahl der Schauspielerinnen und Schauspieler gehorcht häufig weniger künstlerischen als organisatorischen Gründen. Die für die Produktionen gewählten Räume verdanken sich nicht so sehr einer eigens getroffenen Entscheidung als vielmehr einer durch die architektonischen Gegebenheiten vorgegebenen Notwendigkeit: Theaterräume, die für ein bestimmtes historisches Publikum, sein Theater, seine Stücke, seine Ästhetik und seine politischen Erwartungen gebaut wurden, müssen in der Gegenwart auf irgend eine Weise mit neuem Leben gefüllt werden, auch wenn sich die Bedingungen wie die Funktion der Theater in den Städten zum Teil vollkommen verändert hat: Man muss die große Bühne bespielen oder braucht noch etwas für das Kammertheater. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Gegen die in dieser Weise vorbestimmten Produktionsweisen richteten sich verschiedene, bereits historisch zu nennende Revolten im 20. Jahrhundert: Künstlerinnen und Künstler flüchteten aus der Institution, suchten andere Räume auf, setzten längere Probezeiten durch oder gründeten eigene Truppen, die in der gleichen Formation über Jahre und Jahrzehnte hinweg eine eigene Ästhetik und Theatersprache entwickelten. Solche Revolten gegen den „Betrieb“ lassen sich etwa mit den Namen Appia, Brecht, Artaud, Grotowski, Brook, Mnouchkine, Wilson, Le Compte und Szeiler im historischen Kontext, aber auch mit vielen freien Gruppen, die aus dem Umfeld der 68er-Bewegung, aus Kunstakademien oder Theaterhochschulen wie DasARTS oder PARTS hervorgegangen sind, verbinden. Während der Wunsch nach anderen Produktionsweisen heute in Deutschland zu den Hauptgründen dafür zählt, dass sich Künstlerinnen und Künstler gegen eine Arbeit an den hochsubventionierten Häusern und für eine Arbeit in der „freien Szene“ entscheiden, stellen diese anderen Produktionsweisen in Ländern ohne eine der deutschen vergleichbare Subventionskultur die Regel dar – zumindest unter den Theatermachern, die nicht vorrangig mit dem Ziel einer kommerziellen Vermarktung ihrer Inszenierung arbeiten.

Im Rahmen einer Ringvorlesung sollen im Sommersemester 2015 verschiedene künstlerische Ansätze vorgestellt, analysiert und diskutiert werden, in deren Mittelpunkt der Versuch steht, anders zu produzieren: In Gestalt des Versuchs, kollektive Arbeitsstrukturen umzusetzen, über längere Zeiträume hinweg, in Gruppen, die sich eine freie künstlerische Arbeit durch Brotjobs finanzieren, die ihnen ein von den Zwängen der Institutionen unabhängiges Produzieren erlauben, etc. Dabei sollen einerseits diese anderen Praktiken beleuchtet werden, andererseits aber auch nach deren gesellschaftlichem, politischem und historischem Hintergrund gefragt werden: Wie hat sich generell die Arbeit im Bereich der darstellenden Künste verändert? Inwiefern liegt das Politikum heutiger Theaterarbeit nicht zuletzt in der Art und Weise, wie sie produziert wird? An welche historischen Avantgarden knüpfen heutige Künstler ihrem Selbstverständnis nach an? Worin bestehen ihre Revolten und wie lassen sie sich mit den nicht minder harten Zwängen des Arbeitens im freien Bereich verknüpfen? Eingeladen werden sollen zu dieser Ringvorlesung sowohl Künstler wie auch Theoretiker, darunter neben solchen aus dem deutschsprachigen Bereich auch solche aus dem Ausland.

Gabriel, Leon – Arbeit an der Differenz? Theater in der Globalisierung

Andere Produktionsweisen / Digitale Theaterforschung

Veranstaltung vom 02. Juni 2015 Aus unserem Programm: Was ist an künstlerischer Arbeit anders als an sonstiger Arbeit? Die Frage mag einerseits seltsam erscheinen, gilt doch Kunst landläufig als den Zwängen sonstiger Lebensbereiche enthoben. Andererseits: Theater im Speziellen ist ein ästhetischer wie auch sozialer Vorgang zugleich. Vor allem aber hat sich die Arbeitswelt der westlichen Industrienationen im Zeichen der sogenannten ‚Globalisierung‘ massiv gewandelt. Heute stehen immaterielle Produktionsweisen hoch im Kurs, welche denen des Theaters durchaus […]

Goebbels, Heiner – Musikalische Produktionsweisen im Theater (Gespräch)

Andere Produktionsweisen / Digitale Theaterforschung

Veranstaltung vom 26. Mai 2015 Aus unserem Programm: Wie wenige andere Künstler hat der Komponist, Regisseur, Theaterwissenschaftler und Intendant der Ruhrtriennale 2012-2014 in seinen experimentellen Kompositionen, Installationen, Musiktheater-Werken in seinen Arbeiten der vergangenen Jahrzehnte auch die Produktionsweisen verändert. Seine Stücke wurden zwar regelmäßig auf den großen Bühnen renommierter Theater gezeigt, sind jedoch abseits dieser Häuser und unter anderen Bedingungen entstanden: in engem Zusammenspiel der beteiligten Akteure – so wie es vielleicht am ehesten musikalischen Produktionsweisen […]

Moreira, Leonardo – Producing „fiction“

Andere Produktionsweisen

Veranstaltung vom 19. Mai 2015 Aus unserem Programm: Der Autor und Regisseur Leonardo Moreira gehört zu den vielversprechendsten und talentiertesten Künstlern Brasiliens. In São Paulo gründete er die Companhia Hiato, mit der er viele preisgekrönte Bühennarbeiten geschaffen hat und auf internationalen Festivals vertreten ist. Bei Theater der Welt in Mannheim zeigte er seine fünfstündige Arbeit Fiktion, in der Schauspieler in Monologen sehr ehrlich aus ihrem Leben erzählen, vom Erwachsenenwerden, von Verletzlichkeit, Emanzipation und Künstler-Comingout im […]

Matzke, Mieke – Das Theater auf die Probe stellen

Andere Produktionsweisen

Veranstaltung vom 28. April 2015 Aus unserem Programm: Zahlreiche Arbeitsformen des Gegenwartstheaters zeichnen sich durch kollektive Probenformen aus, die der traditionellen Unterscheidung von Dramatiker, Regisseurin und Schauspieler arbeiten. In den Proben von Regiekollektiven wie Rimini Protokoll oder Performancegruppen wie Gob Squad ist mehr der dramatische Text sondern ein Konzept Ausgangspunkt, andere Formen der Textgenese und Raumkonzeption werden sohervorgebracht. Anhand meiner Erfahrungen in der Probenarbeit zu der Inszenierung /Testament /der Gruppe She She Pop wie auch […]

Lehmen, Thomas – A Piece for you

Andere Produktionsweisen

Veranstaltung vom 21. April 2015 Aus unserem Programm: Seit April 2013 ist Thomas Lehmen mit seinem Motorrad auf einer Künstlerreise durch Europa und Asien unterwegs. Sein Reiseprojekt „A Piece for You“ besteht aus einer Serie von kurzen Tanzstücken, die er für Menschen entwickelt, die er unterwegs trifft. Jedes dieser Stücke wird in direkter Kollaboration mit den Beschenkten entwickelt. Diese Gegenseitigkeit, welche das Verständnis des eigenen Selbst in und durch den Anderen und umgekehrt impliziert, macht […]