Als elften Gast im Rahmen der Friedrich-Hölderlin-Gastprofessur begrüßen wir im Wintersemester 2021/2022 den Regisseur und Autor Gerardo Naumann am Institut für Theater-, Film-, und Medienwissenschaft.
Gerardo Naumann, geboren 1974, ist überwiegend in Südamerika in den Bereichen Theater, Film und Performance tätig, unterrichtet dort und in Europa an verschiedenen Hochschulen und hat für zahlreiche deutschsprachige Theater und Festivals gearbeitet. 2010 entwickelte er die Vorstellung Die Fabrik, in der Werksmitarbeiter während der Arbeit in ihren Alltag einführen. Dieses Konzept setzte er unter anderem in einer Waffelfabrik in Indien, einem Stahlwerk in Polen, einer Druckerei in Singapur und einem Mercedes-Benz-Werk in Berlin um. Fabriken wurden darin als sozialer Kosmos inszeniert: In einem Parcours durch eine Kartoffelchips-Fabrik am Rande von Zürich begegnete man den verschiedenen in der Fabrik arbeitenden Menschen, vom CEO bis zum zeitweiligen Hilfsarbeiter, die dabei durchweg über etwas erzählten, was sie neben ihrer eigentlichen Tätigkeit noch machten – der CEO zeigte seine Sammlung exotischer Visitenkarten, der Hilfsarbeiter führte vor, wie er in die tausende von Kartoffeln, die an ihm vorbeiziehen, kleine Gesichter schnitzt. Am Staatsschauspiel Hannover entwickelte er Die Vorstellung, einen Besuch hinter den Kulissen während einer laufenden Vorstellung: Man sah mit einem Schauspieler vom Schnürboden aus in die Vorstellung, bevor dieser dann dort wieder auftrat. Am Badischen Landestheater Karlsruhe brachte Naumann im Kontext eines Bürgerbühnenfestivals in einer Durational Performance die ganze Stadt auf die Bühne, zuletzt arbeitete er unter anderem mit ehemaligen Gefängnis-Insassen, die er als ‘Experten aus der Wirklichkeit’ ihre Einbruchtechniken erklären ließ. Das in Frankfurt realisierte Projekt, im Rahmen der Frankfurter Positionen, greift auf seine Erfahrungen mit diesen Arbeiten zurück, um sie auf einen neuen Zusammenhang zu übertragen.
Die Gastdozentur von Gerardo Naumann, die von der BHF-Bank-Stiftung getragen wird, soll es ermöglichen, neue Tendenzen und Forschungsfelder der Theatre and Performance Studies anderer Länder in das Frankfurter Lehrangebot zu integrieren und für den forschungsorientierten Nachwuchs zu öffnen. Mit Gerardo Naumann werden die Studierenden einen tiefen Einblick in Arbeits- und Präsentationsformen gegenwärtigen dokumentarischen Theaters erhalten und selbst erproben können. Darüber hinaus gibt ihnen die Vorbereitung auf das Projekt sowie die Untersuchung und Begleitung des Festivals, einen tiefen Einblick in die Funktionsweise und Strukturen zeitgenössischer Theater-, Kunst- und Musikfestivals.