Neue Dramaturgien (Seminar)

Neue Dramaturgien und innovative Werkzeuge der Dokumentation in den darstellenden Künsten

Ziel dieses Seminars ist es, zwei Kernelemente der zeitgenössischen Performance zu untersuchen: die neuen Dramaturgien, die die Betrachtung von Licht und Sound ins Zentrum der Bühnenkomposition stellen; und die theoretischen und praktischen Anforderungen zu diskutieren, die die Erhaltung und Aufzeichnung dieser multimedialen Kunstwerke (Performances, Installationen, immersive digitale Landschaften usw.) ermöglichen. In unserer Forschung setzen wir uns dabei mit den angewandt technischen als auch den theoretischen Dimensionen auseinander und bewegen uns von der Analyse der kreativen Prozesse und Werke zur Entwicklung eines Prototyps der Dokumentation der darstellenden Künste (Filme, Videos, u.a. Formen der Dokumentation). Das Seminar beinhaltet dabei eine theoretische Ebene mit der Analyse individueller Arbeiten und auch eine praktische Workshopkomponente, in welcher die Studierenden die Chance haben, story boards für die Dokumentation auf Basis der gemeinsam diskutierten Inszenierungen zu entwickeln.

Diese Dokumentationsarbeit trägt zur Aufbewahrung und Verbreitung des wachsenden immateriellen Kulturgutes bei. Mit anderen Worten, unsere Arbeit im Seminar entwickelt mithilfe von Technologien innovative Werkzeuge für die Forschungsarbeit in den darstellenden Künsten und fasst dadurch den Rahmen unseres Fachs neu.

Formen der Präsenz (Seminar)

Formen der Präsenz: Tanz, Technologien und Immersion

Ausgehend von einer interdisziplinären Auseinandersetzung mit Körper, Wahrnehmung und Technologien im zeitgenössischen Theater (insbesondere unter Berücksichtigung der Neurophysiologie, Architektur und der immersiven Künste), wird es in diesem Seminar um die Definition einer Ästhetik der Präsenz von Körperlichkeit auf der Bühne gehen. Wir werden eine Übersicht über Kernpraktiken der choreographischen Komposition und der Bühnenregie erhalten und uns dabei mit Beispielen aus den Medienkünsten in Japan, Kanada, den USA und Europa auseinandersetzen, sei es Merce Cunnigham, William Forsythe, Wayne McGregor, Ginette Laurin, Isabelle Van Grimde, Sabura Teshigawara u.a. Das Seminar hat zwei Kernziele: 1. es analysiert den Einfluss der Technologie auf die Wahrnehmung des Performers in der Bewegungskomposition; 2. definiert es die Komposition der audiovisuellen Bühne selbst. Im ersten Schritt geht es um die neurophysiologischen Funktionen von Bewegung und Präsenz; hier werden wir uns besonders auf die Rolle der Imagination in der Komposition von Gesten in und auch jenseits technologischer Intervention fokussieren  – z.B. in motion capture und anderen Systemen des Werdens. Dabei wird Technologie nicht nur als szenisches Mittel verstanden sondern vielmehr als ein Vorgehen, um das sinnliche Wissen des Körpers hervorzuheben und neue Gesten entwickeln zu können. Im zweiten Schritt beschäftigen wir uns mit dem Auftauchen autonomer Formen von Objekttheater und Maschinen, die ein Teil der neuen Manifestationen von multimedialer Performance sind und in Abwesenheit des Schauspielerkörpers fungieren. Deren Präsenz ergibt sich ausschließlich durch Licht und Ton. Hier berücksichtigen wir außerdem die neue Komposition von Mittel, die der Szenerie eine immersive Qualität verleihen und dadurch eine außergewöhnliche Ästhetik entwickeln, die man provisorisch als Logik der Latenz bezeichnen könnte. Hier wird zudem die Funktion von Empathie als aktives Miteinbeziehen der Zuschauenden in das mediale Geschehen relevant. 

Am Rande des Sichtbaren (Seminar)

Am Rande des Sichtbaren: Theater, Philosophie, und Dramaturgien des Hörens

Dieses Seminar beschäftigt sich mit den verschiedenen Formen theatraler Komposition und verbindet diese mit philosophischen Konzepten, insbesondere aus der antiken und vorsokratischen Tradition. Wie Philosophie, so ist auch Theater ein Wissen um die Welt, d.h. auch eine Art des Verhaltens und der Existenz. Diese Überlegungen auf der Konzeptionsebene werden mit der Praxis des zeitgenössischen Theaters in Verbindung gebracht. Insbesondere geht es um eine Neudefinition des Theaters als sowohl Ort des Sehens (theatron), einer Klanglandschaft (akousma) und als Ort des Sprechens (phoné). In der Analyse von Arbeiten von Romeo Castellucci /Societas Raffello Sanzio, Teatro delle Albe, Shiro Takatani, Robert Wilson, Jan Fabre und Heiner Goebbels werden wir diese Verbindungen tiefergehend untersuchen und als Beispiele einer Dramaturgie des Hörens diskutieren. Auf der zeitgenössischen Bühne entstehen Formen, Geräusche und Farben, die das Primat des Sehens in Frage stellen. Es stellt sich also die Frage, was man im Theater eigentlich sehen kann: die Offenbarung verschiedener Seinsformen könnte eine Antwort sein. Das akustische Bild ensteht nämlich als Textur einer Szene, durch die das visuelle, optische Bild überhaupt erst Gestalt annimmt. Beispiele wären hier sowohl elektronische Klanglandschaft als auch das Theater der Stimme von Carmelo Bene oder Ermanna Montanari u.a. In diesen Arbeiten wird Ton als grundlegendes Element gedacht, das die Szene strukturiert, indem es auf latente Weise die Aufmerksamkeit des Publikums fasst und die Modalitäten des Hörens neu setzt: Töne, wie Farben, repräsentieren die Temperatur einer Szene und verwandeln die Wahrnehmung des Publikums in eine Form des immersiven Erlebens. Über Atmosphäre im theatralen Sinn zu sprechen, heißt die akustischen und chromatischen Elemente zu erkennen, die die Szene mitbestimmen. Die Atmosphäre ist dabei etwas Diffuses, sowohl grundlegend als auch unsichtbar und zeit sich in Form von chromatischen Variationen, tonalen Impulsen, Licht und akustischen Figuren.

Sound Knowledge (Masterclass)

13. bis 15. Februar 2020 / Studio Naxos / Goethe Universität Frankfurt

Exploring the Dramaturgies, Philosophies, and Politics of Listening

Theaterwissenschaften, Institut für Theater-, Film- & Medienwissenschaften, Goethe Universität Frankfurt/M., in Kooperation mit Studio Naxos
Koordiniert von Ramona Mosse, Nikolaus Müller-Schöll, and Enrico Pitozzi

Wie lässt sich das Hören dramaturgisch, philosophisch, aber auch politisch denken? Dieser Frage wollen wir in unserer diesjährigen Masterclass nachgehen und damit der wachsenden Bedeutung auditiver Kulturen in und jenseits des Theaters Rechnung tragen. Der sogenannte „aural turn“, der in den letzten 15 Jahren zu einer Welle neuer Forschungsansätze in den Geistes- und Sozialwissenschaften geführt hat und in dessen Zentrum das interdisziplinäre Feld der Sound Studies steht, ist dabei ebenso relevant wie innovative Performance Formate, die sich in Form von headphone theatres, sound walks oder ‚immersiven‘ Theatererfahrungen die expandierenden Möglichkeiten der digitalen Medien zu eigen gemacht haben. Die radikale Relationalität des Hörens bietet dabei die Möglichkeit, visuelle Primate zu hinterfragen, Wahrnehmungsabläufe multimodal zu fassen und dabei gleichzeitig Aufmerksamkeitsökonomien und die auditiven Komponenten des öffentlichen Raumes zu untersuchen.

Die Masterclass bildet den Abschluss eines im Wintersemester 2019/20 angebotenen Seminars des derzeitigen Friedrich Hölderlin-Gastprofessors Enrico Pitozzi, kann aber auch unabhängig von diesem aktiv besucht werden. Sie will Studierenden die Gelegenheit bieten, eigene Forschungsergebnisse in Impulsvorträgen vorzustellen und zu diskutieren. Ergänzt werden diese Beiträge durch Diskussionsrunden, Panels und Vorträge einer Reihe von Künstlern und wissenschaftlichen Gästen.

Donnerstag, 13. Februar 2020

Veranstaltungsort: Studio Naxos, Waldschmidtstr. 19

18:00 – 18:15Opening
18:15 – 19:15Rasmus Nordholt: Musical Relations: Resonance, Methexis, Modulations
19:15 – 20:00Reception
20:00 – 21:00Performance Gesten der Zärtlichkeit (directed by Simon Möllendorf)
21:00 – 21:45Artist Talk with Simon Möllendorf & performers
22:00 – 23:00Film Screening & Discussion with Enrico Pitozzi

Freitag, 14. Februar 2020

Veranstaltungsort: Goethe Universität, Westend Campus, IG-Farben Gebäude, Raum 1.411

LISTENING TO THE SUBALTERN

10:00 – 11:30Mounira Zennia: Imperfect Sense
Marque Pham: De- and Re-Territorialization Through SoundAria Baghestani: Oral stories: Listening, Retelling, Resisting
11:30 – 12:00Break
12:00 – 13:00Andrea Geissler: Miskin Al Jaza’ir: A mixtape for a 
non-national radio show 
Antigone Akgün: Theatre of the Speechless
13:00 – 14:00Catered lunch
14:00 – 15:00Inga Bendukat & Eva Döhne: About the loss of the body 
and the lamentation of mothers

LISTENING INTERMEDIALLY

15:00 – 16:00Maren Haffke: This Must Be Underwater Love: 
Field Recordings, Acoustic Ecologies, and Non-Human Musicians
16:00 – 16:30Break
16:30 – 17:30Agne Pupelyte: Visual-Acoustic Renditions of Classical Music 
Rupert Jaud: Sonic Worlds & Audio Augmented Reality
17:30 – 17:45Break
17:45 – 20:00Film Screening & Discussion with Rembert Hüser

Samstag, 15. Februar 2020

Veranstaltungsort: Goethe Universität, Westend Campus, IG-Farben Gebäude, Raum 1.411

LISTENING TO THE POLITICAL

10:00 – 11:00Artist Talk with Hannes Seidl (Artist Collective Kötter/Seidl)
11:00 – 12:00Ilit Ferber: ‘In Voice Land’: Walter Benjamin’s Radio Work for Children
12:00 – 12:45Catered Lunch
12:45 – 13:45Ramona Mosse: Listening to Democracy
13:45 – 14:45Jonathan Kirn: The Waves In-Between – The Relation of Sound, 
Space and BodyMarten Weise: From Listening to Being-With: Jean-Luc Nancy’s 
Reading of Hannah Arendt’s onto-political Thinking

Enrico Pitozzi (Wintersemester 2019/20)

Sound Knowledge (Masterclass)Am Rande des Sichtbaren (Seminar)Formen der Präsenz (Seminar)Neue Dramaturgien (Seminar)

Als zehnten Gast im Rahmen der Friedrich Hölderlin- Gastprofessur begrüßen wir im Wintersemester 2019/20 Prof. Dr. Enrico Pitozzi von der Universitá di Bologna am Institut für Theater-, Film-, und Medienwissenschaft.

Prof. Dr. Pitozzi hat an verschiedenen Universitäten in Venedig, Padua, Montréal, Valencia, Paris und Porto Alegre gelehrt. Er ist Senior Researcher im ERC Starting Grant Projekt INCOMMON. In praise of community. Shared creativity in arts and politics in Italy (1959-1979) unter der Leitung von Annalisa Sacchi. Er ist außerdem Mitglied des „MeLa“-Wissenschaftkollegs an der IUAV Universität von Venedig und kollaboriert mit „Sensory Studies“ an der Concordia University (Kanada) und dem Projekt „Poéticas Tecnològicas“ unter der Leitung von Ivani Santana an der Universidade Federal de Bahia (Brasilien). Zu seinen Publikationen zählen:  Co-Autor mit A. Sacchi, Itinera. Trajectoires de la forme Tragedia Endogonidia, Arles, Actes Sud, 2008; On presence, in « Culture Teatrali », n. 21, 2012; The choreographic composition of Cindy Van Acker, Macerata, Quodlibet, 2015; Bodysoundscape. Perception, movement and audiovisual developments in contemporary dance,in Yael Kaduri The Oxford Handbook of Sound and Image in Western Art, Oxford University Press, 2016; Akousma. The figure and the voice in a theatre by Ermanna Montanari, Macerata, Quodlibet, 2017; Teatri del suono, in « Culture Teatrali », n. 27, 2018; Co-Autor mit I. Choinière and A. Davidson, Through the Prism of the Senses. Mediation and New Realities of the Body in Contemporary Performance. Technology, Cognition and Emergent Research-Creation Methodologies, Bristol, Intellect Books ( Januar 2020).

Vom 13. -15. Februar 2020 organisierte Prof. Dr. Pitozzi in Zusammenarbeit mit Dr. Ramona Mosse, Sophie Osburg und Prof. Dr. Nikolaus Müller-Schöll im Anschluß an seine Seminare die Masterclass Sound Knowledge: Exploring the Dramaturgies, Philosophies and Politics of Listening.

Am 21. Januar 2020 fand die Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Pitozzi zum Thema “On the Edge of the Visible: Theatre and the Dramaturgy of Sound” auf dem Campus Westend (IG-Farbenhaus 1.411) statt, die sich mit dem theatralen Hören und alternativen Wahrnehmungsvorgängen auseinandersetzte.