Zeitgenössische künstlerische Praktiken im Libanon. Handlung, Darstellung und Sprache in der Kunst ‘nach dem Krieg‘
Seminar in englischer Sprache
Mi. 14-18, 14-tägl., beginnend am 13.04.2016. IG Farben-Haus, Raum 1.411
„Wer da?“ fragt Bernardo zu Beginn der ersten Szene des ersten Akts von Hamlet: Eine entscheidende und unumgängliche theatrale, aber auch par excellence politische Frage – kritisch in dem Sinne, dass sie sich selbst in eine Krise versetzt.
„Ist Horatio da?“ fragt Bernardo dann. „Ein Stück von ihm“, antwortet Horatio. Welches Stück? Und was ist mit dem anderen Stück? Was ist es? Wer ist es? Der Schauspieler selbst? Wie verbinden sich zwei Stücke, die zu zwei verschiedenen Wesen gehören, auf mehr als einer Ebene? Wie verhält es sich mit einem Schauspieler, der seine eigene Rolle spielt, wie in zahlreichen gegenwärtigen Performances?
Doch die wahre Antwort auf diese Frage, ihre Daseinsberechtigung, ist ein Gespenst. Was ist ein Gespenst? Was stellt es dar? Wie kann man es darstellen? Die Darstellung, die Repräsentation: eine ebenso künstlerische wie politische Frage. Die gegenwärtige Abwesenheit, die Gegenwart des Abwesenden, würde Jacques Derrida sagen. Die verkleidete, verfremdete Wiederkehr des Verdrängten, sagt Michel de Certeau: Und ihm zufolge ist das nicht allein eine psychologische, sondern auch eine politische Frage. Aber auch eine Rede – politisches Handeln nach Hannah Arendt –, das die anderen nicht in Frieden leben lässt, das Fragen, Zweifel, Reden hervorruft – eine schreckliche Rede, die die anderen nicht in Frieden leben lässt, sondern Wahnsinn, Mord und Totschlag hervorruft – nicht-politisches Handeln nach Hannah Arendt.
Das Seminar versucht keine neue Studie des Hamlet; vielmehr soll die Definition einer gewissen Anzahl von Worten, Konzepten und Begriffen, die uns evident erscheinen und unser Bild von der Welt ebenso wie vom Theater prägen, neu befragt werden – wie:
- beginning
- Abwesenheit/Anwesenheit
- Dokument
- Handlung/Darstellung, Handlung/Sprache
- Biographie, Familienname etc.
- political art
Wir versuchen sie zu dekonstruieren, ihren politischen Gehalt freizulegen und die binären Dichotomien zu überwinden, indem wir uns auf zeitgenössische Philosophen und auf zeitgenössische künstlerische Praktiken stützen.
Das Seminar basiert auf der Sichtung und Präsentation von zahlreichen Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler (hauptsächlich, aber nicht nur aus dem Libanon), deren Studium und Analyse es gestatten, Diskussionen und kritisches Denken zu öffnen und zu leiten. Ausschnitte aus „zeitgenössischen“ philosophischen Texten wie auch Artikel von Künstler*innen sowie eine vorläufige Bibliographie folgen im Laufe des Seminars.