Appendix (Lecture Performance)

Appendix

Lecture Performance, in französischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Mittwoch, 4. Mai 2016, 19 Uhr, Künstlerhaus Mousonturm

„Ich wollte von jeher nach meinem Tod eingeäschert werden. Aber es ist im Libanon verboten, sich einäschern zu lassen. Aus religiösen Gründen. Staub zu Staub, sagen alle monotheistischen Religionen, zumindest fast alle.“

Appendix befragt die Beziehungen und Kombinationen von Körper (und seiner Freiheit), Sprache, Gesetz (mit seinen Imperativen und Bestimmungen), Kunst und Handel.

Was gehört zur Ordnung der Kunst, was nicht? Welches sind die Grenzen? Wer bestimmt sie? Die künstlerische oder kulturelle Institution? Das Gesetz? Oder der künstlerische Blick? Und wenn es zu Konflikten zwischen den Bestimmungen kommt, wer hat das letzte Wort?

Wie kann man Nutzen ziehen aus der Kluft zwischen den Worten und den Dingen, zwischen den Tatsachen und ihren (künstlerischen oder gesetzlichen) Bestimmungen, um zum Wohl der Freiheit und der Emanzipation die Kompromisse umzukrempeln, welche die gesetzgebenden Kräfte zum Imperativ gemacht haben?

Wie bekämpft man die rechtliche Dichotomie, welche das Individuum als frei einsetzt und gleichzeitig religiösen und Identitäten beanspruchenden Gemeinschaften exklusive und imperative Befugnisse einräumt?

Das vertraute Fremde (Szenisches Projekt)

Das vertraute Fremde

26.05.2016 bis 29.05.2016

13.06.2016 bis 18.06.2016   

Probebühne Bockenheim / in englischer Sprache.

Maximal 15 Teilnehmende. Anmeldungen unter Angabe von Studiengang und Fachsemester bitte an: anmeldung-theater@web.de

Dieser zweiwöchige Intensivworkshop ermöglicht es, die beiden Seminare „Zeitgenössische künstlerische Praktiken im Libanon“ und „Die Erzählung des Anderen“ in eine Beziehung zueinander und in Praxis (um)zusetzen. Dennoch ist es für den Besuch dieses Workshops absolut nicht nötig, eines der beiden Seminare zu besuchen; er bleibt unabhängig und autonom.

Im Workshop werden individuelle oder kollektive praktische Übungen vorgestellt, die um die Beziehung zwischen dem Persönlichen und dem Gemeinsamen kreisen: Wie können wir, von einer Erfahrung, einer Geschichte oder einem persönlichen Objekt ausgehend, das Gemeinsame eröffnen; oder umgekehrt: Wie können wir durch Aneignung, Einmischung oder andere Formen der Entwendung und Umdeutung – zum Beispiel von medialen Nachrichten – unseren Teil an Verantwortung in der Geschichte finden; wie können wir, indem wir mit Identität und Alterität spielen, zum einen das Ferne näherbringen und zum anderen das Nahe, das Vertraute von uns trennen und es eigentümlich oder fremd werden lassen?

Es geht auch darum zu lernen, mit jedem Material zu arbeiten – wenn wir Walter Benjamin glauben, dass es keine kleinen im Gegensatz zu großen Geschichten gibt uns dass alles „zitierbar“ ist. Deshalb gilt es, Verbindungen zwischen Gegebenheiten finden, die zunächst nichts miteinander zu tun haben, unterirdische Diskurse freizulegen, sie abzubauen, andere mögliche zu imaginieren, an der Grenze von wahr und falsch zu bleiben und sich eine schöpferische und störende Freiheit zu leisten.

Der Workshop findet in zwei Blöcken von einigen Tagen statt. Der erste Block im Mai ist eine Einführung in eine Arbeitsmethode, die noch nicht an einen Gegenstand oder eine besondere Thematik gebunden ist; der zweite Block, der im Juni während der Projektwoche zu Flüchtlingsdarstellungen stattfinden wird, wird sich natürlich diesem Thema widmen: Wie kann man sich des Ortes bewusst sein, von dem aus man das Wort ergreift und/oder von dem aus man handelt – und dabei die Dichotomien verneinen, die auf „fatale“ Weise trennen?

Zeitgenössische künstlerische Praktiken im Libanon (Seminar)

Zeitgenössische künstlerische Praktiken im Libanon. Handlung, Darstellung und Sprache in der Kunst ‘nach dem Krieg‘

Seminar in englischer Sprache

Mi. 14-18, 14-tägl., beginnend am 13.04.2016. IG Farben-Haus, Raum 1.411

„Wer da?“ fragt Bernardo zu Beginn der ersten Szene des ersten Akts von Hamlet: Eine entscheidende und unumgängliche theatrale, aber auch par excellence politische Frage – kritisch in dem Sinne, dass sie sich selbst in eine Krise versetzt.

„Ist Horatio da?“ fragt Bernardo dann. „Ein Stück von ihm“, antwortet Horatio. Welches Stück? Und was ist mit dem anderen Stück? Was ist es? Wer ist es? Der Schauspieler selbst? Wie verbinden sich zwei Stücke, die zu zwei verschiedenen Wesen gehören, auf mehr als einer Ebene? Wie verhält es sich mit einem Schauspieler, der seine eigene Rolle spielt, wie in zahlreichen gegenwärtigen Performances?

Doch die wahre Antwort auf diese Frage, ihre Daseinsberechtigung, ist ein Gespenst. Was ist ein Gespenst? Was stellt es dar? Wie kann man es darstellen? Die Darstellung, die Repräsentation: eine ebenso künstlerische wie politische Frage. Die gegenwärtige Abwesenheit, die Gegenwart des Abwesenden, würde Jacques Derrida sagen. Die verkleidete, verfremdete Wiederkehr des Verdrängten, sagt Michel de Certeau: Und ihm zufolge ist das nicht allein eine psychologische, sondern auch eine politische Frage. Aber auch eine Rede – politisches Handeln nach Hannah Arendt –, das die anderen nicht in Frieden leben lässt, das Fragen, Zweifel, Reden hervorruft – eine schreckliche Rede, die die anderen nicht in Frieden leben lässt, sondern Wahnsinn, Mord und Totschlag hervorruft – nicht-politisches Handeln nach Hannah Arendt.

Das Seminar versucht keine neue Studie des Hamlet; vielmehr soll die Definition einer gewissen Anzahl von Worten, Konzepten und Begriffen, die uns evident erscheinen und unser Bild von der Welt ebenso wie vom Theater prägen, neu befragt werden – wie:

  • beginning
  • Abwesenheit/Anwesenheit
  • Dokument
  • Handlung/Darstellung, Handlung/Sprache
  • Biographie, Familienname etc.
  • political art

Wir versuchen sie zu dekonstruieren, ihren politischen Gehalt freizulegen und die binären Dichotomien zu überwinden, indem wir uns auf zeitgenössische Philosophen und auf zeitgenössische künstlerische Praktiken stützen.

Das Seminar basiert auf der Sichtung und Präsentation von zahlreichen Arbeiten zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler (hauptsächlich, aber nicht nur aus dem Libanon), deren Studium und Analyse es gestatten, Diskussionen und kritisches Denken zu öffnen und zu leiten. Ausschnitte aus „zeitgenössischen“ philosophischen Texten wie auch Artikel von Künstler*innen sowie eine vorläufige Bibliographie folgen im Laufe des Seminars.

Die Erzählung des Anderen (Seminar)

Die Erzählung des Anderen

Seminar in englischer Sprache

Mi. 14-18, 14-tägl., beginnend am 20.04.2016, IG-Farbenhaus, Raum 1.411

Zur Zeit interessieren mich besonders Arbeiten, die eine kritische Analyse des Bildes versuchen – ob dieses Bild nun ihre eigene Produktion oder die eines/einer anderen ist –, seiner Mittel und/oder der Kontexte seiner Produktion, und die zugleich eine doppeldeutige Beziehung auf das „Andere“ oder ein „Anderswo“ entmystifizieren – wobei dieses „Andere“ oder dieses „Anderswo“ eine mythische Epoche, ein fernes Land, eine andere Zivilisation, ein geschichtlicher Moment, den man nostalgisch erinnert usw., sein kann. Wie kann man sich dessen bewusst sein, was unsere eigene Kultur, unsere eigene Ideologie uns – ob man es will oder nicht, ob man dessen bewusst ist oder nicht – als Blick auf den Anderen hinterlassen hat? Wie kann man verhindern, dass man auf die Rückseite derselben Medaille fällt und, zum Beispiel, in die Falle des Kulturellen oder, schlimmer, der Gefälligkeit tappt? Wie kann man zugleich die Differenzen relativieren und den Universalismen entfliehen? Wo lassen sie jene Bande finden, die uns alle angehen, „gemeinsam“?

Als Kritik sowohl am orientalisch-kolonialistischen Blick und an gewissen postkolonialistischen Antworten soll das Seminar zunächst Folgendes in den Blick nehmen:

  • Die Figur des Boten in der antiken Tragödie
  • Die Kritik an Edward Saids Orientalismus durch libanesische und arabische Intellektuelle wir Sadek Jalal Al Azem und Mehdi Amel

Dann sollen folgende Filme gesichtet und kritisch studiert werden:

  • „Wait it is the soldiers, I have to hang up now“  von Avi Moghrabi,
  • „Bashar Tapes“ von Walid Raad,
  • „Ici et Ailleurs“ von Jean-Luc Godard,
  • „Anabasis“ von Eric Baudelaire,
  • „All is Well on the Border“ von Akram Zaatari,
  • „Recollection“ von Kamal Aljafari
  • und vielleicht andere. 

Wenn auch das privilegierte Medium in diesem Seminar der Film ist, so werden wir doch feststellen, wie jene Filme uns auch in unserer theatralen Arbeit nachdrücklich befragen.

Lina Majdalanie (Sommersemester 2016)

Zeitgenössische künstlerische Praktiken im Libanon (Seminar)Das vertraute Fremde (Szenisches Projekt)Die Erzählung des Anderen (Seminar)Appendix (Lecture Performance)

Als vierten Gast im Rahmen der Friedrich Hölderlin-Gastprofessur begrüßen wir im Sommersemester 2016 die Performerin, Schriftstellerin, Regisseurin und Dozentin Lina Majdalanie. Bis 2013 arbeitete sie als Dozentin an der Haute École d’Art et de Design in Genf,zuvor u.a. am Institute for Scenic and Audio-Visual Studies, Saint-Joseph University, Beirut, Libanon. Ihre Performances, darunter 33 RPM and a Few Seconds (2012), Photo-Romance (2009), I had a Dream, Mom (Video, 2006), Appendix (2007) und Biokhraphia (2002) wurden bei wichtigen internationalen Festivals, wie dem «kunstenfestivaldesarts» in Brüssel, dem «Festival d‘Avignon» und dem «Festival d’Automne» in Paris gezeigt und entstanden teilweise in Zusammenarbeit mit Rabih Mroué. Das Pseudonym Lina Majdalanie hat sie im April 2015 angenommen.

Als Antrittsvorlesung fand die Lecture Performance «Appendix» am 04. Mai 2016 im Künstlerhaus Mousonturm statt.

Lina Majdalanie unterrichtete im Rahmen ihres Aufenthalts in Frankfurt drei Seminare.